Alle Augen sind auf Angela Merkel und Martin Schulz gerichtet

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Was für ein Erfolg! Schon am Sonntagmorgen, also Stunden bevor das Duell überhaupt angefangen hat, vermeldet die SPD: "TV-Duell: Merkel verliert klar gegen Martin Schulz." Das zumindest ist in einer Google-Anzeige zu lesen, die versehentlich viel zu früh freigeschaltet worden ist. Die SPD zieht sie zurück und entschuldigt sich, muss aber Hohn und Spott ertragen.

Tatsächlich beginnt das einzige Duell dieses Bundestagswahlkampfs zwischen der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel und SPD-Herausforderer Martin Schulz am Sonntagabend um 20.15 Uhr. Es findet im Berliner Studio Adlershof statt und wird von ARD, ZDF, RTL und Sat.1 live übertragen.

Die erste Frage geht an Schulz: Warum sind er und die SPD in Umfragen so abgestürzt? Schulz lässt sich nicht aus der Ruhe bringen und erklärt: "Jeder zweite Bürger ist noch nicht entschieden." Merkel wird nach ihren vielen Meinungen gefragt: mal Willkommenskultur, mal Abschottung gegen Flüchtlinge, mal Klimakanzlerin, mal Autokanzlerin. Auch sie bleibt ruhig und sagt: "Die Herausforderungen sind immer wieder neue."

Thema Flüchtlingspolitik

Die Flüchtlingspolitik ist natürlich das erste große Thema, und Merkel versichert: "Ich empfinde es nicht als Bedrohung, sondern als große Aufgabe." Aber man habe gelernt, dass Deutschland stärker die Fluchtursachen in Afrika bekämpfen müsse. Auch Schulz erklärt, man stehe vor "großen Herausforderungen".

Hier kommt auch ein erster Angriff von Schulz auf Merkel. Er zitiert aus einem aktuellen Interview, in dem sie erklärte, sie würde heute in der Flüchtlingspolitik wieder genauso handeln wie in den Septembertagen 2015. Schulz: "Dazu kann ich nicht raten. Wir haben den Fehler gemacht, dass wir die europäischen Nachbarn nicht vorher gefragt haben." Merkels Konter: "Das sehe ich anders, und Herr Schulz weiß es eigentlich auch."

Alle hätten gewusst, dass Ungarn sich nicht beteiligt werde, und dann habe sie am 4. September 2015 der damalige österreichische Bundeskanzler angerufen und erklärt, die Leute kämen zu Fuß. Merkel: "Es musste entschieden werden. Wir hatten eine dramatische Situation damals." Aber es sei richtig, man habe sich zu wenig um die Zustände im Libanon gekümmert – im Übrigen "auch der Bundesaußenminister", nämlich damals Frank-Walter Steinmeier, ein Sozialdemokrat.

Gehört der Islam zu Deutschland?

Aber man muss auch nach vorne schauen, also wird Merkel gefragt, wie sie die Deutschen überzeugen wolle, dass der Islam zu Deutschland gehöre, zwei Drittel der Bürger würden das nämlich nicht so sehen. "Ich verstehe, dass die Menschen skeptisch sind", sagt Merkel. Sie setze auf die "Geistlichkeit des Islam", dass diese deutliche Worte gegen Terroristen finde. Aber sie sagt auch: "Vier Millionen Muslime tragen zum Erfolg dieses Landes bei." Der Islam gehöre mittlerweile zu Deutschland. Auch Schulz erklärt: "Der Islam ist eine Religionsgemeinschaft wie andere auch." Aber: "Die Hassprediger haben in unserem Land nichts zu suchen."

Schulz übt bei dieser Gelegenheit Kritik an der Türkei: "Wenn ich Kanzler werde, werde ich die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei abbrechen."

Und weil es auch um die Religion geht, werden beide gefragt, ob sie am Sonntag in der Kirche waren. Merkel: "Ich war heute nicht in der Kirche, aber gestern, weil mein Vater seinen Todestag hatte." Schulz: "Ich war in einer Kapelle."

Streit um Abschiebungen

Weiter geht es mit der Frage, warum nicht mehr Personen aus Deutschland abgeschoben werden. Man schiebt sich gegenseitig die Schuld zu. Merkel erklärt: "Wir haben es wegen der rot-grünen Landesregierungen nicht geschafft, die Länder Nordafrikas als sichere Herkunftsländer zu definieren."

Schulz sieht das nicht so und erklärt, auch im "schwärzesten Land", nämlich in Bayern werde nicht konsequent abgeschoben. Aber er halte auch "nichts davon, dass dieses Schwarze-Peter-Spiel läuft". Er wünsche sich vielmehr ein europäisches Einwanderungsrecht, daran müssten sich aber auch Polen und Ungarn beteiligen. Und das Motto solle heißen: "Wer legal kommt, der kann einwandern."

Doch auf die Türkei kommt man noch mal zu sprechen. Merkel stellt klar, dass sie sowieso noch nie für einen Beitritt gewesen sei – im Gegensatz zu den Sozialdemokraten. Und überhaupt: Die Beitrittsverhandlungen fänden derzeit ohnehin nicht statt.

Türkei: Merkel will Deutsche schützen

"Dann könnte man sie ja auch abbrechen", fährt Schulz dazwischen. Merkel antwortet klar, aber verärgert, sie wolle im Gespräch bleiben, solange Deutsche in der Türkei inhaftiert seien. "Denen möchte ich helfen." Sie wolle auch nicht die diplomatischen Beziehungen abbrechen, nur weil jetzt gerade Wahlkampf in Deutschland herrsche. Jetzt kommt Schulz in Fahrt: In Ankara verstehe man nur eine "klare Sprache ..." Er freue sich, dass "hier zwei unterschiedliche Konzepte vorhanden sind". Bisher ist es ihm noch nicht gelungen, Merkel wirklich aus der Reserve zu locken.

Nach einer Stunde geht es dann um Innenpolitik, es geht um das Thema "Gerechtigkeit", das Schulz im Wahlkampf zur zentralen Botschaft gemacht hat. Ob er in einem anderen Land lebe, wird er gefragt. Die Wirtschaft boome, die Arbeitslosigkeit sei doch niedrig? "Nicht alle Menschen im Land sind wohlhabend", erwidert Schulz und kritisiert, dass viele Menschen keine Wohnungen finden.

Merkel streicht gleich mal heraus, dass es in Deutschland bei ihrem Amtsantritt 2005 fünf Millionen Arbeitslose gegeben habe und sie "froh" sei, dass es nun nur noch 2,5 Millionen seien. Es sei zudem "falsch", dass die Union die Rente mit 70 einführen wolle, fügt sie hinzu, und ist hörbar erzürnt, dass ihr das vorgeworfen wird. Doch es gibt an dieser Stelle – erstaunlicherweise – Lob von Schulz: "Frau Merkel, finde ich toll, à la bonne heure!" Jetzt habe Merkel zum ersten Mal Position bezogen. "Danke, dass Sie die sozialdemokratische Position übernehmen", lästert er. Allerdings, so Schulz, er traue ihr nicht.

Schulz gegen Pkw-Maut

Er erinnert an die Pkw-Maut für Ausländer. Die habe Merkel ja im entsprechenden TV-Duell vor der letzten Bundestagswahl 2013 auch abgelehnt, dann aber zugestimmt. Er werde die Maut jedenfalls nicht einführen, weil Aufwand und Ertrag in keinem Verhältnis stünden.

Man bleibt beim Auto – Stichwort Dieselgate. Schulz erklärt: Wenn Fahrzeuge umgerüstet werden müssten, "dann müssen die Verursacher zahlen". Merkel ist da nicht so deutlich und wird gefragt, warum sie so zurückhaltend gegenüber der Autoindustrie sei. Das will sie so nicht stehenlassen und erklärt: "Ich bin entsetzt, ich bin stocksauer. Ein Hauptpfeiler unserer Wirtschaft ist in Gefahr geraten."

Was die von der SPD geforderte Musterfeststellungsklage anbelangt, so sei diese im Kanzleramt angekommen, aber sie sei "zu bürokratisch". Schulz wendet sich direkt aus dem TV an den zuständigen Justizminister Heiko Maas (SPD), er solle das klarstellen.

Es geht auf den Schluss zu und noch um das Thema Steuern und Abgaben: "Wenn Sie Kanzler sind, wie viel mehr hat eine Familie mit 3500 Euro Bruttoeinkommen in der Tasche?", wird der SPD-Herausforderer gefragt. Schulz rechnet und kommt auf "zwischen 200 und 250 Euro weniger Belastung" im Monat. Merkel tut es ihm gleich, spricht von Freibeträgen und Kindergelderhöhung, nennt aber keine konkrete Summe, sondern nur die Gesamtsumme von 15 Milliarden Euro.

Koalitionsfragen

Dann geht es am Schluss noch um künftige Koalitionen. Ob er eine große Koalition ausschließe, wird Schulz gefragt. Er weicht aus und erklärt: "Ich strebe die Kanzlerschaft an." Von Merkel wollen die Moderatoren wissen, wie sie zu Schwarz-Grün stehe. Ihre Antwort: "Die Union wird auf keinen Fall mit der Linken oder der AfD zusammenarbeiten."

Beim Schlusswort ist Schulz der Erste. Er vergleicht die unterschiedliche Löhne von Krankenschwestern und Managern und erklärt, dass man in einer Zeit des Umbruchs lebe. Es brauche "Mut zum Aufbruch". Für die Idee eines starken Deutschlands habe er ein ganzes Leben gekämpft.

Merkel wendet sich direkt an die Zuseher und Zuseherinnen: "Ich bin dankbar, dass Sie sich die Zeit genommen haben. Wir müssen jetzt die Weichen für die Zukunft stellen. Geben Sie zwei Stimmen der Christlich Demokratischen Union." Das war’s, nur RTL-Moderator Peter Kloeppel erlaubt sich eine kleine Spitze und sagt, man hätte am kommenden Sonntag durchaus Zeit für ein zweites TV-Duell. Ein solches abermaliges Aufeinandertreffen hat Merkel ja strikt abgelehnt. (Birgit Baumann aus Berlin, 3.9.2017)