Washington/Wien – Auf die Frage, was in den Vereinigten Staaten alles auf seine Amtszeit zurückzuführen sei, hat der ehemalige Präsident Barack Obama sich vermutlich vorgestellt, einiges erzählen zu können. Die Gesundheitsreform Obamacare, die Reform der Finanzaufsicht, die Mitgliedschaft im Pariser Übereinkommen zum Klimaschutz, das Kuba-Abkommen, die landesweite Ehe für alle – in den acht Jahren der Obama-Ära ist einiges passiert.

Dass sein Nachfolger Donald Trump diese Linie nicht weiterführen würde, war zu erwarten, denn mit einem Präsidentenwechsel kommt meistens eine Kursänderung – besonders in den USA, in denen sich die konkurrierenden Parteien der Demokraten und Republikaner bei der Besetzung des Postens in den letzten Jahrzehnten bis auf wenige Ausnahmen abgewechselt haben.

Im Gegensatz zu vielen seiner Amtsvorgänger scheint es Trump allerdings nicht nur um einen Richtungswechsel zu gehen, sondern regelrecht darum, Obamas Hinterlassenschaft weitestgehend auszulöschen. Trumps jüngste Entscheidung, die Einwanderungsregelung Daca, die Kinder illegaler Einwanderer schützen soll, zu beenden, ist dabei nur einer von weit über hundert Angriffen auf seinen Vorgänger.

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Nach Donald Trumps Amtseinführung am 20. Jänner folgte nicht nur ein Kurswechsel, sondern der Versuch einer regelrechten Auslöschung von Barack Obamas Vermächtnis.
Foto: Reuters/Carlos Barria

Die ersten Tage im Oval Office

Bereits am 20. Jänner, Trumps erstem Tag im Oval Office des Weißen Hauses, wurden alle neuen und noch ausstehenden Regelungen der Obama-Regierung für 60 Tage ausgesetzt. Außerdem leitete der neue Präsident erste Schritte ein, um Obamacare mit seinem eigenen – erst zu entwickelnden – Gesundheitssystem zu ersetzen. Eine Initiative, die bisher noch nicht erfolgreich war: Bei den zwei Anläufen, Obamacare zu beseitigen, wurde die Regierung vom US-Senat eingebremst.

Am 23. Jänner gab Trump den Rückzug aus den Verhandlungen zur Transpazifischen Partnerschaft bekannt. Dessen Abschluss war ein Herzstück von Obamas Agenda gewesen, der bis zuletzt daran gearbeitet hatte, die wirtschaftlichen Beziehungen zu Asien zu stärken.

Noch am selben Tag folgte die Wiedereinführung des Mexico-City-Gesetzes, einer Regelung, die den Stopp des Geldflusses an Unternehmen vorsieht, die Abtreibung und Abtreibungsberatung betreiben. Betroffen war davon auch die Organisation "Planned Parenthood", die Dienstleistungen zu Schwangerschaftsprävention und -abbruch anbietet. Das erneute Inkrafttreten des "Mexiko-Gesetzes" ist allerdings nur bedingt als Affront gegen Obama zu verstehen: Seit die Regelung 1984 von Ex-Präsident Ronald Reagan eingeführt wurde, ist sie Gegenstand eines politischen Wechselspiels. Kaum im Amt, setzte Bill Clinton sie 1993 aus, George W. Bush führte sie 2001 wieder ein, Obama schaffte sie 2008 wieder ab.

Einen Tag später, am 24. Jänner, folgte die Wiederbelebung zweier hochumstrittener Pipeline-Projekte: Der Bau der Dakota-Access-Pipeline und der Keystone-XL-Pipeline. Nach monatelangen Protesten v.a. von Sioux-Indianern, die um heilige Stätten und ihr Trinkwasser besorgt waren, hatte Obama im Dezember 2016 kurz vor Ende seiner Amtszeit einen Baustopp verhängt.

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Monatelang demonstrierten Sioux-Indianer und ihre Unterstützer gegen die Dakota-Access-Pipeline. Nachdem Barack Obama den Bau gestoppt hatte, ließ Donald Trump ihn wieder aufleben.
Foto: Reuters/Stephanie Keith

143 Anordnungen gegen Obama-Regelungen

Das alles passierte innerhalb der ersten fünf Tage nach Trumps Amtseinführung. Seitdem ist viel geschehen. Die Bilanz nach knapp neun Monaten: 98 Anordnungen, die seit dem 20. Jänner durchgesetzt wurden, waren Angriffe auf bestehende oder geplante Gesetze von Obama. Dazu gehören ein neues Gesetz, 14 Gesetzesüberprüfungen und -abänderungen im Kongress, 66 Verordnungen durch Trumps Kabinett und 16 direkt vom Regierungschef initiierten Bestimmungen. Zusätzlich wurden 21 von Trumps Anordnungen, die sich gegen Obama-Regelungen richten, abgelehnt; 24 werden noch bearbeitet.

Februar und März: Muslim Ban im Mittelpunkt der Diskussionen

Die 98 bereits durchgesetzten Anordnungen sind hauptsächlich Abschaffungen und Änderungen von durch Obama eingeführten Gesetzen. Beispielsweise wurde Anfang Februar das Gesetz zum Schutz von Fließgewässern rückgängig gemacht, das Bergbauunternehmen verbot, ihren Abfall in nahegelegenen Wasserwegen abzuladen. Im selben Monat berichtete die Tageszeitung The Washington Post von der Rücknahme eines Gesetzes, das es verbot, Waffen an psychisch Kranke zu verkaufen.

Für großen Widerstand sorgte Trump, als er am 6. März eine eingeschränkte Version des sogenannten Muslim Ban, eines Einreiseverbots für Staatsangehörige sechs mehrheitlich muslimischer Länder, unterschrieb. Zusätzlich zu dem Einreiseverbot für Staatsbürger aus dem Iran, Sudan, Jemen, Somalia, Iran und Libyen, entschied Trump in Zukunft – nicht mehr wie von Obama angeordnet – 110.000 Flüchtlinge im Land aufzunehmen, sondern diese Zahl auf 50.000 zu senken. Bei dem umstrittenen Muslim Ban musste Trump bereits zwei Rückschläge einstecken: Sein Erstentwurf vom 27. Jänner, bei dem zusätzlich der Irak auf der Liste stand, wurde im Laufe des Verfahrens Washington gegen Trump am 3. Februar vom Bundesrichter James Robart mit sofortiger Wirkung aufgehoben. Am 7. September schränkte ein Berufunsgericht in San Francisco den Bann weiter ein: Zunächst war nur unmittelbaren Verwandten von in den USA lebenden Personen aus den betroffenen Ländern die Einreise erlaubt worden. Dazu zählten Eltern, Ehepartner, Verlobte, Kinder und Geschwister. Der Kreis der Berechtigten wurde nun auf Großeltern, Enkel, Tanten, Onkel, Neffen, Nichten, Cousins und Cousinen ausgeweitet.

Ab April: Einschnitte in die Umwelt und das Bildungssystem

Am 4. April berichtete die Online-Zeitung The Huffington Post, dass Trump ein Gesetz zur Dokumentierung von Verletzungen und Todesfällen am Arbeitsplatz abgeschafft habe, das die Sicherheit für Arbeiter erhöhen sollte. Ende des Monats kippte der Präsident ein von Obama erlassenes Gesetz zum Verbot von Ölbohrungen auf mehreren Millionen Hektar in der Arktis und im Atlantischen Ozean.

Anfang Juni kündigte die Umweltschutzbehörde unter Trump die Rücknahme eines Plans an, der den Ausstoß von schädlichen Stoffen regulieren sollte. Mitte des Monats wurde ein Gesetzesentwurf zum Schutz von Immigranten, dessen Kinder in den USA geboren oder aufgewachsen waren, zurückgenommen. Zusätzlich wurde erneut unterstrichen, was John F. Kelly, der Minister für Innere Sicherheit, Ende April in einem Interview mit CNN bestätigt hatte: Die sogenannte Daca-Regelung, die den Schutz ebendieser Kinder – auch "Dreamers" genannt – gesetzlich festlegt, würde bestehen bleiben.

John F. Kelly, der US-Minister für Innere Sicherheit, sagte am 23. April in einem Interview mit CNN, dass die "Dreamers" keine Zielscheibe für geplante Gesetzesänderungen seien.
CNN

Im Juli schaffte die Regierung von Trump unter anderem ein spezielles Visum für ausländische Unternehmer ab. Außerdem sorgte das Bildungsministerium unter Betsy DeVos für Aufruhr, als es eine Regelung außer Kraft setzte, die um Geld betrogenen Studenten Rückzahlungen garantieren sollte. DeVos wurde daraufhin von 18 Staaten verklagt.

The Washington Post schrieb Mitte August, dass eine Gruppe von Beratern zum Klimaschutz aufgelöst worden war. Ende des Monats unterschrieb Trump die Rücknahme eines Gesetzesentwurfes, der Unternehmen vorschrieb, detailliert die Bezahlung ihrer Mitarbeiter zu dokumentieren. Der Entwurf sollte dazu dienen, das geschlechterabhängige Lohngefälle aufzuzeigen und möglicherweise zu verringern. Am 5. September folgte nun das Ende von Daca.

Weitere Änderungen in der Zukunft wahrscheinlich

Zu den fast 100 bisherigen Erfolgen Trumps könnten sich bald weitere gesellen: Entscheidungen zu 24 Anordnungen von Trump und seiner Regierung stehen noch aus. Dabei geht es unter anderem um Gesetze zum "Fracking" – einer als schwer umweltschädigend geltenden Technologie zur Ölförderung –, zu bestimmten Vorschriften des Clean Water Acts (Gesetz zur Reinhaltung des Wassers) und zu dem Schutz von Landwirtschaftsarbeitern vor Pestiziden. Gefährdet sind auch Obamas Finanzreform Dodd Frank –das die Transparenz und Stabilität im Finanzsystem fördern sollte – und die Mitgliedschaft beim Pariser Klimaschutzabkommen. (Carla Márquez, 9.9.2017)