Die Geschichte von Griechenland und dem Müll beginnt in den späten 1970er- und 80er-Jahren, als illegale Mülldeponien im ganzen Land wie Pilze aus dem Boden wuchsen. Die Müllentsorgung funktionierte lange Zeit mehr schlecht als recht, und in den zahlreichen (und oft wilden) Deponien wurde über Jahrzehnte einfach alles auf den Haufen geworfen, ganz egal, woher der Müll stammte.

Gifte und Schwermetalle sickerten mit der Zeit in den Boden sowie in das Grundwasser und die ersten Fälle von Arsen- und anderen Schwermetallbelastungen des Trinkwassers wurden publik. In der Zwischenzeit begann man auch zu begreifen, dass vermüllte Straßen und Landschaften dem Tourismus nicht besonders förderlich waren. Es wurde damit begonnen, die Müllentsorgung besser zu organisieren, und man widmete sich auch vermehrt der Landschaftspflege sowie der Reinigung des Straßenmülls.

Müllberge und Problemstoffe im Naturschutzgebiet.
Foto: Michael Radhuber

Aus den Augen, aus dem Sinn

Die meisten Touristen, die heute mit dem Flieger an einem der griechischen Flughäfen aufsetzen, und von dort mit dem Shuttle in ihr Ressorthotel oder ihren Club chauffiert werden, bekommen vom Müllproblem des Landes nicht mehr viel mit. Während die Umgebung Neapels, in der jahrzehntelang der Giftmüll aus allen Ecken Europas unter der Erde verscharrt wurde, heute aufgrund der örtlich explodierenden Krebserkrankungen diskutiert wird, sind Müll und Griechenland aus der öffentlichen Wahrnehmung gänzlich verschwunden.

Und doch würden ein paar Schritte abseits der Tourismus-Hotspots genügen, um zu erkennen, dass der Müll zwar aus der öffentlichen Wahrnehmung, aber noch nicht aus Natur und Landschaft Griechenlands verschwunden ist. Ganz im Gegenteil – seit der Schuldenkrise sowie den darauffolgenden Sparauflagen der Troika ist im griechischen Haushalt kein Geld zur Beseitigung der über das ganze Land verstreuten illegalen Müllablagerungen mehr vorhanden.

Mitten im Schutzgebiet: Reste des Militärflughafens gemischt mit Bauschutt, Asbest und Grünschnitt.
Foto: Michael Radhuber

Mangelndes Umweltbewusstsein

Anstelle der ordnungsgemäßen Entsorgung von Bauschutt sowie anderen, potentiell gefährlichen Abfällen wie zum Beispiel Asbestzement, wird heute wie einst der Müll vielerorts einfach irgendwo im Hinterland abgelagert. Denn eine ordnungsgemäße Entsorgung von Müll kostet und in Zeiten der Wirtschaftskrise ist dafür kein Geld vorhanden. Noch dazu ist das öffentliche Bewusstsein für Landschafts- und Naturschutz in Griechenland ohnedies nicht besonders ausgeprägt.

Wer jedoch die Verantwortung zur Lösung dieses Problems einzig bei den Griechen selbst sieht, dem sollte auch die Frage nach der kollektiven Mitverantwortung von uns Mitteleuropäern für die griechischen Müllprobleme gestellt werden. Immerhin waren wir es, die der griechischen Regierung durch unsere Finanzminister für die Gewährung neuer Überbrückungskredite praktisch unerfüllbare Sparauflagen vorgeschrieben haben. Jeder, der sich auch nur einen Moment ernsthaft mit der finanziellen Lage Griechenlands auseinandergesetzt hatte wusste, dass die Einforderung von solch harschen Einsparungsmaßnahmen ernsthafte Nebenwirkungen haben würde. Dabei haben wir implizit die Interessen der Geldgeber einer de facto zahlungsunfähigen Nation – an vorderster Front auch prominente deutsche und französische Banken – höher bewertet als den Gesundheits- und Naturschutz auf dem Gebiet eines europäischen Mitgliedslandes.

Kühlschränke, Möbel und Matratzen werden im Schutzgebiet "entsorgt"
Foto: Michael Radhuber

Giftmüll im Europaschutzgebiet

So kommt es auch, dass wer sich heute in der beliebten griechischen Urlaubsdestination Chalkidiki auf das Rad schwingt, und abseits der Touristenorte einen Ausflug in das Natura-2000-Europaschutzgebiet Agios Mamas unternimmt, nach ein paar Kilometern an einer illegalen Giftmülldeponie inmitten des Naturschutzgebietes ansteht. Dort wurden, von der Hauptstraße aus bereits von weitem sichtbar, nicht nur die Reste eines alten Militärflughafens entsorgt, sondern auch Asbestdächer und -ziegel, Autoreste, Plastikmüll sowie zahlloser anderer Abfall ungeklärter Provenienz. Inmitten der Müllberge, die sich dort offenbar schon seit längerem türmen und zum Teil bereits gut bewachsen sind, klafft ein giftig grünes Wasserloch.

Bereits im Jahr 2013 wurde an den damaligen EU-Umweltkommissar Janez Potočnik eine schriftliche Anfrage bezüglich des Natura-2000-Schutzgebietes gestellt, und darauf hingewiesen, dass im und angrenzend an das Schutzgebiet gröbere Nutzungskonflikte aufgetreten sind. Die Kommission sicherte damals weitere Nachforschungen zu. Auch die griechische Umweltdatenbank Filotis stuft das Schutzgebiet als akut gefährdet ein.

Wie kann es sein, dass in einem Land, in dem jeder Cent der öffentlichen Finanzen von der EU-Bürokratie seit Jahren mehrfach durchleuchtet wird, von derselben EU eine bereits seit langem bestehende Giftmülldeponie inmitten eines ausgewiesenen Europaschutzgebietes nicht einmal bemerkt wird? Wie kann eine Union, die für sich in Anspruch nimmt, die Interessen der Bevölkerung zu vertreten und zu schützen, es in Kauf nehmen, die unter ihrem Schutzschirm stehenden Gebiete nicht einmal alle paar Jahre zu besuchen und zu inspizieren? Während doch die selbe Union zur Verteidigung der Interessen der Geldgeber eines insolventen Landes keine Mühen scheut.

An zahlreichen Stellen inmitten des Schutzgebietes stößt man auf illegale Ablagerungen
Foto: Michael Radhuber

Kein Freispruch für die EU

Die Verantwortung für den schonungslosen Umgang mit der griechischen Umwelt und Natur trifft nicht die Europäische Union, sondern die griechische Regierung und Bevölkerung selbst. Die Union muss sich jedoch den Vorwurf gefallen lassen, mit doppeltem Maßstab zu agieren, wenn es einerseits die Interessen der Geldgeber einer insolventen Nation und andererseits den Umwelt-, Natur- und Gesundheitsschutz in ihrem Territorium betrifft. Eine Union, die sich zum Beistand potenter Geldgeber absolute Durchgriffsrechte im nationalen Haushalt zusichern lässt, sich beim Schutz der Bevölkerung ihrer Mitgliedsländer jedoch als vollkommen handlungsunfähig darstellt, muss sich zu Recht Kritik an der eigenen Daseinsgrundlage gefallen lassen.

Alle, die heute auf der centgenauen Rückzahlung "ihrer" Schulden durch die griechische Regierung und Bevölkerung bestehen, sollten beim nächsten Gemüseeinkauf im österreichischen Supermarkt oder dem nächsten Griechenlandurlaub vielleicht auch einmal einen Gedanken daran verschwenden, woher Wasser und Essen stammen, das sie dort einkaufen oder zu sich nehmen. (Michael Radhuber, 12.9.2017)

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