Was die Arbeit des Produzenten David Simon ausmacht, sind sehr langsam erzählte Geschichten, die sich viel Zeit nehmen, um Charaktere und Motive auszuforschen. Während das bei seiner wohl bekanntesten Serie, "The Wire", gut funktioniert hat und stilprägend war, kämpfen Werke wie etwa "Treme" mit der Problematik, den Zuschauer zu fesseln und ihn dazu zu bringen, die Geschichte bis zu ihrem Ende mitzuverfolgen. Mit seiner neuen mit HBO-produzierten Serie, hierzulande auf mobilen Diensten von Sky abrufbar, "The Deuce" widmet er sich einem neuen Projekt – und sein Stil ist unverkennbar.

Viele Vorstellungen, noch wenig Geschichte

James Franco und James Franco.
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Die Bühne in "The Deuce" ist das New York City der 70er Jahre, wo die Pornobranche gerade ihren Aufstieg erlebt. Geschwister Vinnie und Frankie, der eine ein von seiner fremdgehenden Ehefrau verärgerter Bartender, der andere ein unverantwortlicher Spielsüchtiger – beide gespielt von James Franco – führen aus einer selbst mehr oder weniger unwissenden Rolle in das Geschäft der Prostitution ein.

Besonders viel passiert in der ersten Folge der Serie nicht. Stattdessen wird die Leinwand gezeichnet, die Charaktere werden ausgiebig vorgestellt. Und es sind viele, viele Charaktere: Barkeeper und Spielsüchtiger, Zuhälter und Prostituierte, Studentin und Polizist, Mutter und Kind. Viele von ihnen stehen noch kaum in Verbindung zueinander, stattdessen sind es viele kleine Geschichten in derselben Stadt, die erzählt werden.

Ein Wiedersehen mit vielen bekannten Gesichern

Gary Carr und Jamie Neumann.
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Dafür nimmt sich die erste Folge viel Zeit – etwa wird eine Szene gezeigt, bei der eine Prostituierte mit einem einsamen älteren Mann, der sie dafür bezahlt, mit ihm Filme zu schauen, Zeit verbringt. Im Fernsehen läuft die letzte Szene einer Adaption von "A Tale of Two Cities" – fast in voller Länge. Solche Momente sind prägend für "The Deuce" – Simon legt einen großen Wert darauf, den Zuschauer für die Atmosphäre seiner Werke zu faszinieren.

Pornografie wird zu Beginn noch gar nicht angesprochen, Prostitution ist die Kernthematik. James Francos Frankie und Maggie Gyllenhaals Candy, eine unternehmerisch begabte Prostituierte, belegen die Rolle der Protagonisten, ihre Geschichten wirken wie die bedeutsamsten. Kenner von Simons Werken dürfen sich erfreuen – viele Schauspieler aus älteren Serien sind zurück, darunter Gbenga Akinnagbe, Daniel Sauli, Dominique Fishback, und, und, und.

Großes Fernsehen für Geduldige

Zoe Kazan spielt Francos Ehefrau.
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70er-Jahre Flair mit manchmal wunderschönen, manchmal abstoßenden Bildern und einer Geschichte, die sich in einer so detailreichen Welt abspielt, dass schnell klar ist, dass sie Zeit brauchen wird, um erzählt zu werden: Wer schnelllebige Erzählung will, wird mit "The Deuce" vermutlich enttäuscht sein. Wer allerdings Geduld hat, wird durch die Serie einen Blick auf Prostitution bekommen, wie man ihn nur selten im Fernsehen sieht.

Trotz der langatmigen Vorgehensweise schafft David Simon es beeindruckenderweise, die Geschichte spannend zu gestalten, sodass man an keinem Punkt das Gefühl hat, Zeit zu verschwenden. Und: Was seine Arbeit schon bei "The Wire" ausgemacht hat, ist, dass das Skript sich weigert, Gut und Böse klar zu definieren. Stattdessen erhält man eine gar objektive Sicht auf Arm und Reich in einer New York City, in der die Pornobranche gerade im Aufstreben ist. In gewisser Weise erscheint dieser Erzählstil journalistisch, was bei Simons Karriere als Journalist bei der "Baltimore Sun" nicht überraschend ist.

Prostitution selbst wird nie bewertet. Wenn Charaktere sich negativ über die Berufswahl von Prostituierten aussprechen, dann geschieht das aus Sorge um die Sicherheit, nicht aus moralischer Intention. In dieser Hinsicht schafft "The Deuce" eine urteilsfreie, kapitalistische Betrachtung des Themas, welche von Charakteren wie der Prostituierten Candy durch ihr wirtschaftliches Talent bestärkt wirkt. Spannend ist die Serie letztlich allemal – wenn man bereit ist, der Geschichte ihre Zeit zu geben. (Muzayen Al-Youssef, 11.9.2017)