Magnus Carlsen verabschiedet sich vorzeitig aus Tiflis.

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Die letzten Momente.

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Wien/Tiflis – Das hatte sich der Weltmeister aber anders vorgestellt. Ein großartiges Format sei der alle zwei Jahre ausgetragene World Cup mit seinen 128 im K.-o.-System gegeneinander antretenden Spielern, hatte Magnus Carlsen immer wieder betont. In einem viel beachteten Kommentar erlärte der Norweger sogar, er würde seinen Titel eigentlich lieber in diesem Modus zur Disposition stellen als in einem klassischen WM-Match gegen nur einen einzigen Gegner.

Bu schlägt zu

Und dann das. Nachdem Carlsen gleichsam zum Aufwärmen in Runde eins den nigerianischen Amateur Oluwafemi Balogun locker ausgeschaltet und sich in Runde zwei mit schönen Siegen an Routinier Alexei Drejew gütlich getan hat, passiert es. Der Chinese Bu Xiangzhi, Nummer 35 der Weltrangliste, zeigt mit Schwarz spielend keinen Respekt vor dem Primus Omnium, lässt seinen Läufer frech auf h3 in Carlsens Königsstellung krachen und bezwingt den Weltmeister mit einem zwingend vorgetragenen Angriff.

In Partie zwei des Mini-Matches führt Carlsen die schwarzen Steine und würde nun unbedingt einen Sieg benötigen, um noch das Schnellschach-Tiebreak zu erreichen. Der Weltmeister versucht es nicht mit der Brechstange, sondern – seinem Stil gemäß – in gediegen positionellem Fahrwasser. Bu aber bleibt unbeeindruckt, steht erst besser und wickelt dann unter Opfer in ein Dauerschach ab: Magnus Carlsen ist draußen!

Zwei Kandidaten

Weltmeister bleibt der Norweger aber auch nach seinem Ausscheiden, der Weltschachbund ist seinem Vorschlag nicht gefolgt, der Titel wird weiterhin in einem klassischen Match vergeben. Wer Carlsen im Herbst 2018 als nächstes fordern darf, dafür hat der in Tiflis, Georgien über die Bühne gehende World Cup allerdings höchste Bedeutung: Die beiden Finalisten des Turniers qualifizieren sich nämlich direkt für das im Frühjahr 2018 zu spielende achtköpfige Kandidatenturnier, in dem Carlsens Gegner ermittelt wird.

Carlsen hatte mit seiner Teilnahme in Tiflis eine Lücke im Fide-Reglement genutzt, nirgendwo steht geschrieben, dass der Weltmeister nicht ebenfalls im World Cup mitspielen kann, selbst wenn dieser indirekt der Ermittlung seines nächsten Herausforderers dient. Nicht zuletzt ist das Turnier auch eine der besten Einnahmequellen für Schachprofis. Dem Sieger winken 120.000 US-Dollar, schon für die Teinahme an Runde eins werden immerhin je 6.000 Dollar ausgeschüttet.

Favoritensterben

Auch deshalb hatte sich neben Carlsen gleich die gesamte übrige Weltelite zum K.-o-Spektakel in die georgische Hauptstadt bemüht. Und siehe da, als wären die Kollegen von Carlsens Straucheln angesteckt, mussten sich in Runde drei mit Wladimir Kramnik und Hikaru Nakamura noch zwei weitere Kapazunder frühzeitig verabschieden. Auch Lewon Aronjan, Fabiano Caruana, Maxime Vachier-Lagrave und Anish Giri war es nicht gelungen, ihre nominell teils deutlich schwächeren Drittrundengegner in den beiden Partien mit langer Bedenkzeit auf Distanz zu halten. Sie alle müssen nun im Tiebreak um den Einzug in die nächste Runde kämpfen, das nach zwei 25-Minuten-Partien bei fortgesetztem Gleichstand noch zwei Zehnminüter und danach mehrere Runden Blitzschach vorsieht.

Bisher bestätigte sich in Tiflis allerdings ein schon länger anhaltender Trend im Spitzenschach: Während es im klassischen Schach auch für die Top-Spieler immer schwieriger wird, den Sieg gegen auf Remis gebürstete Gegner zu erzwingen, treten die Spielstärke-Unterschiede mit verkürzter Bedenkzeit umso deutlicher hervor. Die Tiebreaks der ersten beiden Runden konnten die Favoriten dementsprechend deutlich für sich entscheiden. Das für K.-o.-Turniere charakteristische Favoritensterben, dem auch Vizeweltmeister Sergej Karjakin in Runde zwei zum Opfer fiel, vollzog sich wie im Falle Carlsens paradoxerweise bereits in den Partien mit langer Bedenkzeit.

Carlsens Dame

Bis 27. September wird das K.-o.-Spektakel fortgesetzt, der Weltmeister wird es wohl von Zuhause aus beobachten. Kürzlich hatte Carlsen auf Facebook ein Foto geposted, auf dem er mit einer jungen Dame zu sehen war, der nun viele die Schuld an seinem Formeinbruch in den vergangenen Monaten geben. Die alte Schachspieler-Weisheit, nach der eine Ehe etwa hundert Elo-Punkte kostet, hat schon manchen Profi zu ewigem Junggesellendasein verdammt. Carlsen, bisher immer nur in familiärer Begleitung zu sehen, dürfte nun immerhin auch abseits der Turniere etwas mit seiner Zeit anzufangen wissen, alles weitere wird sich weisen.

Übrigens: Carlsens Idee, den WM-Titel im Knockout-Format zu vergeben, ist alles andere als neu. Zwischen 1998 und 2004 praktizierte der Weltschachbund genau diesen Modus, eine massive Entwertung des Titels war die Folge. Fide-Weltmeister wie Alexander Khalifman und Rustam Kasimjanov wurden nicht als Erben der anno 1886 mit Wilhelm Steinitz begonnenen Ahnenreihe akzeptiert, Carlsen hingegen steht heute unangefochten in dieser Tradition. Wer weiß, vielleicht lässt sein frühes Ausscheiden in Tiflis den Weltmeister dessen ja zukünftig eingedenk sein. (Anatol Vitouch, 11.9.2017)