Bei Nationalratswahlen werde ich als Mathematiker und Statistiker immer wieder gefragt: Wie wird bei der Nationalratswahl die Mandatszahl der Parteien aus den Stimmenzahlen errechnet? Und dann gibt es noch eine Zusatzfrage: Wie wird ermittelt, wer von der Bundesliste, von den Landeslisten und von den Regionalwahlkreislisten ein Mandat erhält?

Die detaillierte Beschreibung findet man in der Nationalrats-Wahlordnung. Allerdings muss man sich da durch 129 Paragrafen durcharbeiten. Deshalb hier eine Zusammenfassung, die auch zu erklären versucht, was der Grund für die scheinbar komplizierten Verfahrensvorschriften ist.

Wie werden die Mandate in Österreich verteilt?
Foto: APA/HELMUT FOHRINGER

Verschiedene Rechenverfahren

Das Verfahren ist dreistufig, und auf jeder Stufe kommt ein etwas anderes Verfahren zum Einsatz. Aber zunächst sollten die Rechenverfahren angeschaut werden, die in Österreich zur Mandatsvergabe eingesetzt werden oder wurden.

Gemeinsam ist allen beschriebenen Verfahren, dass – in jeweils einer regionalen Einheit – eine Wahlzahl ermittelt und dann die Zahl der Mandate der einzelnen Parteien bestimmt wird, indem man die Stimmenzahl durch die Wahlzahl dividiert und abrundet.

Dazu gibt es zwei Typen von Verfahren: solche, die nur die Zahl der gültigen Stimmen – oder die Summe der Stimmen der zur Mandatsverteilung zugelassenen Parteien – verwendet, und solche, die die Stimmen der Parteien verwenden.

Das Verfahren nach Hare ist am einfachsten zu verstehen: Die Zahl der gültigen Stimmen wird durch die Zahl der zu vergebenden Mandate dividiert.

Beim Verfahren nach Hagenbach-Bischoff errechnet man die Wahlzahl, indem man die Gesamtstimmenzahl durch (Anzahl der Mandate + 1) dividiert – und in jedem Fall aufrundet.

Wodurch unterscheiden sich Hare und Hagenbach-Bischoff? Die Wahlzahl bei Hare ist – besonders bei wenigen zu vergebenden Mandaten – kleiner. Wenn in einem Wahlkreis vier Mandate zu vergeben sind, dann ist die Hare-Wahlzahl 1/4 der Stimmen, die Hagenbach-Bischoff-Wahlzahl 1/5 der Stimmen. Die Mandate sind bei Hagenbach-Bischoff also "billiger".

Das Verfahren nach d’Hondt ist etwas komplizierter. Wenn man 183 Mandate zu vergeben hat, dann bildet man für jede Partei die Zahlenfolge: Stimmenzahl, Stimmenzahl/2, Stimmenzahl/3, …, Stimmenzahl/183, dann wirft man all diese Zahlenreihen in einen Topf und sucht die 183-größte dieser Zahlen. Das ist dann die Wahlzahl. Warum tut man das? Man kann mit etwas Mathematik nachweisen, dass das die größtmögliche Wahlzahl ist, mit der man gerade alle 183 Mandate vergeben kann. Das d’Hondt-Verfahren heißt in den USA übrigens "Jeffersson method", weil Thomas Jefferson diese Methode schon früher als Victor d’Hondt eingeführt hat.

Im großen Redoutensaal in der Hofburg wird sich der neue Nationalrat nach der Wahl konstituieren.
Foto: APA/Roland Schlager

Österreichs Mandatsrechenverfahren

Das Mandatsermittlungsverfahren der österreichischen Nationalratswahlordnung kombiniert Hare und d’Hondt. Es gibt die drei Hierarchieebenen: Regionalwahlkreis, Landeswahlkreis – ein Landeswahlkreis besteht jeweils aus mehreren Regionalwahlkreisen – und Bundesgebiet. Zunächst wird die Wahlzahl nach Hare in allen neun Landeswahlkreisen (=Bundesländern) berechnet und mit dieser Wahlzahl werden die Mandate in den einzelnen Regionalwahlkreisen eines Bundeslandes vergeben. Entsprechend viele Kandidaten von den Regionalwahlkreislisten erhalten Mandate.

Im zweiten Ermittlungsverfahren werden wieder die Landeswahlkreis-Wahlzahlen verwendet und damit die Mandate im Bundesland vergeben. In den meisten Fällen gibt es für die Parteien mehr Landeswahlkreismandate als Regionalwahlkreismandate in diesem Bundesland. Diese (Überschuss-)Mandate erhalten Kandidaten von den Landeslisten.

Im dritten Ermittlungsverfahren werden dann alle 183 Mandate mittels d’Hondt vergeben. Wieder werden die schon über die Landes- und Regionalwahlkreise vergebenen Mandate angerechnet, und nur die Überschussmandate – also die Differenz der Mandate laut drittem Ermittlungsverfahren und der Summe der Landes- und Regionalwahlkreismadate – werden über die Bundesliste vergeben.

Am zweiten und dritten Ermittlungsverfahren dürfen nur Parteien teilnehmen, die mindestens ein Regionalwahlkreismandat oder bundesweit vier Prozent der Stimmen erzielen konnten.

Wenn man nur das Mandats-Gesamtergebnis berechnen will, dann reicht in den meisten Fällen das dritte Ermittlungsverfahren, und dazu benötigt man nur das bundesweite Gesamtergebnis. Der Ausnahmefall träte ein, wenn eine Partei zwar Regionalwahlkreismandate erzielte, aber keine Bundesliste mit Kandidaten eingereicht hätte. Das ist aber seit Gültigkeit dieser Nationalrats-Wahlordnung bisher nicht geschehen.

Ergebnis der Nationalratswahl 2013.
Grafik: Apa

Wie kann man das selbst berechnen?

Sie können hier ein Excel-Workbook herunterladen, in dem alle diese Berechnungen durchgeführt werden. Die Berechnungen gibt es da in zwei Varianten: Zuerst nach der Gebietseinteilung und den Mandatszahlen der Nationalratswahl 2013. Inzwischen stehen aber neue Volkszählungsergebnisse zur Verfügung und die administrative Einteilung Niederösterreichs in Bezirke wurde geändert. Aufgrund dieser Änderungen ändert sich die Zahl der Mandate, die in Regional- und Landeswahlkreisen vergeben werden. Die zweite Variante der Berechnungen im Workbook berechnet die Mandatsverteilung mit den Stimmenzahlen von 2013 und der Gebietseinteilung und Mandatszuteilung von 2017. (Erich Neuwirth, 3.10.2017)

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