Franz-Joseph Huainigg und seine Assistentin bei seiner Rede im Plenum.

Foto: Matthias Cremer

Ich bin Abschiede gewohnt. Als mich 2002 Bundeskanzler Schüssel als unabhängigen Quereinsteiger ins Parlament holte, konnte ich noch selbst schreiben, meinen Elektrorollstuhl bedienen und selbstständig atmen. Heute kann ich das nicht mehr, manche sagen, ich hätte meine Funktion als Behindertensprecher gar zu ernst genommen.

Trotz meiner Behinderungen kann ich mit Unterstützung von verschiedensten Geräten und vor allem durch persönliche Assistentinnen vollwertig arbeiten. Sie lesen mir Texte vor, schreiben die Mails, die ich ihnen diktiere, manövrieren geschickt den Rollstuhl hinter das Rednerpult, übernehmen medizinische oder pflegerische Tätigkeiten und retten zwischendurch mein Leben. Das alles funktioniert perfekt, bis auf Abstimmungen, bei denen die Assistentin meine Hand heben muss und es immer wieder Diskussionen gibt, ob ich das eh wirklich will.

Durch meine Lebensrealität im Parlament ist es gelungen, die persönliche Assistenz am Arbeitsplatz zu schaffen. Die neue Regelung im Gesundheits- und Krankenpflegegesetz ermöglicht es, dass Behindertenbetreuer und persönliche Assistenten Pflegetätigkeiten durchführen dürfen. Das gefiel manchen gar nicht. Vor dem Parlament wurde mit Särgen demonstriert, und in der U-Bahn stellte mich eine Frau lautstark zur Rede und warf meiner Assistentin vor, dass sie mit einem Fuß im Kriminal stünde. Ich bat die Dame, die offenbar von der Pflegegewerkschaft gut gebrieft war, mir meine Atemkanüle abzusaugen, da ich es dringend benötigte. Daraufhin verschwand sie wortlos.

Heute ist es möglich, notwendige Pflegetätigkeiten ganz selbstverständlich in den Alltag zu integrieren. Ich zum Beispiel kann zu Hause mit meiner Familie leben und muss nicht in ein "Alters"-Heim, wo immer wieder junge, pflegebedürftige Menschen mit Behinderungen landen.

Es braucht im Parlament Menschen, die selbst betroffen sind und gelernt haben, reflektiert mit der persönlichen Situation umzugehen. Daher: nichts über uns ohne uns. Ab und zu braucht es in der Politik unorthodoxe und kreative Methoden. Heute werden alle Plenarsitzungen in Gebärdensprache übersetzt. Um bei den Kollegen bewusstseinsbildend zu wirken, suchte ich mir eine Gebärdendolmetscherin und lies alle meine Reden im Plenum von ihr übersetzen. Am Ende meiner Reden führte ich einen kleinen Sprachkurs für meine Abgeordnetenkollegen ein. So ließ ich die Namen von prominenten Abgeordneten gebärden: für Khol einen Kohlkopf; für Fischer einen Fisch, und bei Peter Pilz war es ein Pilz. Ich fragte, ob es ein Eierschwammerl oder ein Giftpilz sei; die Grünen riefen raus: Das wissen wir auch nicht. Heute sind wir klüger, es war ein einzelliger Mikroorganismus, ein sogenannter Spaltpilz.

Wieso die ÖVP?

Wissen Sie, was in den letzten 15 Jahren die am häufigsten an mich gestellte Frage war? Warum sind Sie, nein, nicht behindert – die häufigste Frage war: Warum sind Sie bei der ÖVP? Wenn man es kurz und bündig sagen will, dann sind es die christlich-sozialen Werte, um die immer wieder neu im Sozialstaat gerungen werden muss. Und hier ist es vor allem das christliche Menschenbild. Dazu gehört die unantastbare Menschenwürde, die jedem und jeder zuteil ist und nicht gegeneinander aufgewogen werden kann.

Viele kritisieren die ÖVP wegen ihres Leistungsprinzips. Natürlich darf man den Menschen an sich nicht über Leistungskriterien definieren. Aber meine Erfahrung ist, dass man behinderten Menschen oft gar keine Leistung zutraut. Das ist die andere Seite, und die ist nicht fair, weil dies dazu führt, dass ein Mensch ob seiner Behinderung nicht ernst genommen wird. Ich bin daher für den klaren Blick auf Leistung, aber dass jeder und jede im Rahmen ihrer Möglichkeiten gefordert, gefördert und anerkannt wird. Und das muss schon in der Schule durch einen gemeinsamen Unterricht mit individualisierten Lehrplänen beginnen.

In unserer Gesellschaft muss oft alles perfekt sein. Der perfekte Lebenslauf, der perfekte Körper, das perfekte Haus bis hin zum perfekten Kind zur perfekten Zeit. Werdende Eltern, bei denen der Verdacht auf ein behindertes Kind besteht, verspüren oft massiven gesellschaftlichen Druck, dieses Kind nicht zu bekommen. Es ist im Rahmen der sogenannten eugenischen Indikation möglich, dass bei Verdacht auf eine Behinderung ein Kind über die Fristenregelung hinaus bis hin zur Geburt abgetrieben wird. Es wird dabei durch einen Herzstich im Mutterleib getötet. Das ist unerträglich. Darüber müssen wir sprechen. Ich habe das in 15 Jahren immer wieder versucht, und mir wurde gesagt: "Ich komme auf Sie zu!" Ich warte noch immer.

Es ist wichtig zu begreifen, dass ein Leben mit Behinderung nicht nur Schicksal und Leid bedeutet, sondern auch Glück und Freude. Ich habe in den letzten Wochen nach Bekanntgabe meines Abschieds aus dem Parlament unglaublich viele positive E-Mails, Briefe, Kommentare und Anrufe bekommen. Danke sehr für die vielen berührenden und wertschätzenden Rückmeldungen.

Politische Kultur

Ich habe mich sehr gefreut und freue mich, denn in der Regel erlebt man derart positive Rückmeldungen in der Politik erst nach dem Ableben. Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich diese Wertschätzung noch zu Lebzeiten erfahren darf, denn positive Rückmeldungen geben sehr viel Kraft. Haben Sie, sehr geehrte Kollegen, den Mut, den politischen Gegner über Parteigrenzen hinweg auch einmal zu loben, wenn sie etwas als gut empfunden haben. Ich bin überzeugt, das würde der politischen Kultur guttun, und durch einen gegenseitigen wertschätzenden Umgang würde auch die Demokratie gestärkt.

Ich habe 2007 ein Gedicht mit dem Titel Abschied geschrieben und ergänze dieses um eine neue letzte Strophe, die ich dem Parlament widmen möchte (siehe unten). (Franz-Joseph Huainigg, 20.9.2017)