Arnon Grünberg ist "Der Ersatzvater"

Kollage: Armin Karner

Die Nacht fängt früh an bei der Familie im Ferienpark, der ich meine Dienste als Ersatzvater angeboten habe, obschon neulich eine Ex hämisch meinte, ich sei doch nicht mehr als ein Reserve-Babysitter. Die Mutter Marjolein hingegen zieht in Erwägung, eine Vaterschule zu eröffnen, wenn dieses Experiment gelingt. Ich könnte durchaus der erste Student sein, der an ihrer Schule Examen macht.

Ein Roboterstaubsauger, von der Familie Staubi genannt, bewegt sich über den Teppich. Die vier Mädchen liegen in dem großen Bett, in dem auch Marjolein schläft. Sie sagt: "Vielleicht wäre es gut, wenn du dich die erste Nacht ins Kinderzimmer legst, die Mädchen sind noch nicht so ganz an dich gewöhnt."

Das verstehe ich, heimlich ist es eine Erleichterung. Darum schlage ich sofort vor, das leere Bett von Ronja zu nehmen, der Ältesten, aber Marjolein will eine Matratze neben das Kinderbett legen. Sie wirft eine Kinder-Bettdecke darauf. "Du liegst bestimmt zum ersten Mal unter einer Meerjungfrau?", fragt sie.

Wir trinken unten noch eine Tasse Tee und schauen Staubi zu, der einsamen Menschen Trost spenden könnte.

"Ja, der Rini", sagt Marjolein über ihren Freund und Kindesvater, "das Problem ist, das ich ihn nicht brauche. Ich brauche niemanden. Obwohl ich mich ohne Kinder nackt fühle."

"Nackt", sage ich, "interessant."

Rini, der auf Geschäftsreise in Brasilien war, lässt sich momentan durch Lissabon treiben, um dem Ersatzvater nicht vor die Füße zu laufen. Vielleicht geht es zu weit, dem echten Vater den Zutritt zu seinem Haus zu verwehren, weil der Ersatzvater da ist, und ich bemerke auch Marjoleins Zweifel daran, dass sich Rini in Lissabon so recht amüsiert.

Ich gehe schlafen. Eine Puppe, die aussieht wie ein Embryo zu medizinischen Forschungszwecken, einschließlich Pimmel, hängt neben meiner Matratze in einem Eimer und starrt mich an. Unten höre ich die Jüngste husten. "Morgen um sechs Uhr fängt das Leben wieder an", hatte Marjolein mich gewarnt.

Am nächsten Morgen gibt es Sonntagsfrühstück. "Für dich habe ich Marmelade geholt", sagt Marjolein. "Wir essen keinen Zucker."

Nach dem Frühstück hängt Marjolein die Wäsche auf. Ich frage, ob ich helfen kann.

"Nein", sagt sie, "dass tut Rini auch nicht." Ich soll tun, was Rini tut.

Marjolein schaut ein wenig angeschlagen.

"Bist du traurig?", frage ich.

"Ja", antwortet sie.

"Liegt das an mir?"

"Zweifelsohne."

Dann werden wir beide von einem Kind besprungen. Die Kinder sind Kletteraffen an diesem Morgen.

(Fortsetzung folgt Montag)

(Arnon Grünberg, 23.9.2017)