Die Wahl ist geschlagen, jetzt werden Plakate abmontiert und Koalitionsgespräche geführt.

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STANDARD: Nach der Ankündigung der SPD, in Opposition zu gehen, bleibt Angela Merkel nur eine Option: die Jamaika-Koalition. Ist zur großen Koalition in Deutschland tatsächlich schon das letzte Wort gesprochen?

Stefan Marschall: Die SPD hat mehrfach und glaubhaft versichert, dass sie nicht mehr in die Regierung will. Das ist durchaus eine logische Konsequenz: Die Partei hat das schlechteste Ergebnis seit je eingefahren. Nun ist ein Neuanfang nötig. Organisatorisch, inhaltlich und personell kann man sich nur aus der Opposition heraus erneuern. Die SPD übernimmt zudem bewusst die führende Oppositionsrolle, damit die AfD nicht die größte Oppositionspartei ist.

STANDARD: Für Merkel bleibt nur mehr eine Option, nämlich eine Koalition mit den Grünen und der FDP.

Marschall: Ja, darauf läuft es hinaus. Merkels Verhandlungsposition in den Koalitionsgesprächen ist natürlich jetzt, wo klar ist, dass es nur eine Karte gibt, auf die sie setzen kann, deutlich schlechter geworden. Sie kann nicht glaubwürdig mit einer Alternative drohen und ist zum Erfolg verdammt.

STANDARD: Aber auch Christian Lindner scheint nicht sehr begeistert davon, in eine Jamaika-Koalition mit Union und Grünen zu gehen.

Marschall: Sollte die Koalition zustande kommen, wird das tatsächlich eine sehr herausfordernde Zusammenarbeit, denn alle Parteien sind schwierige Partner. Die CSU ist hier ein besonderer Fall, weil sie Wahlen in Bayern vor sich hat. Auf dieser Grundlage werden Koalitionsverhandlungen sehr kompliziert.

STANDARD: Wie ernst meint Seehofer seine lauten Überlegungen, die Union infrage zu stellen? Nur ein Mittel der CSU, vor Koalitionsgesprächen den Druck auf die Schwesterpartei zu erhöhen?

Marschall: Die CSU versucht deutlich zu machen, dass sie eine eigene und selbständige Partei ist, die sich von ihrer Schwesterpartei unterscheidet. Das ist zunächst symbolisch, hat aber in der Tat etwas damit zu tun, dass man sich für die schwierigen Koalitionsverhandlungen positioniert.

STANDARD: Könnte sich Deutschland eine Minderheitsregierung aus Union und FDP leisten?

Marschall: Minderheitsregierungen haben in Deutschland zumindest auf Bundesebene keine Tradition. Das Grundgesetz mag keine Minderheitsregierungen, wir haben auch nicht die politische Kultur dafür. Eine Minderheitsregierung würde zu einer Instabilität in der deutschen Politik führen, die weder in Deutschland noch in Europa gewünscht sein kann.

STANDARD: Also die Gefahr von Neuwahlen?

Marschall: Neuwahlen werden wie ein Damoklesschwert über den Verhandlungen hängen. Aber ein weiterer Wahlgang würde nicht bedeuten, dass danach klare Verhältnisse herrschen. Vielmehr würden nur die Parteien von den Wählern abgestraft werden, die es nicht geschafft haben, eine Koalition zu bilden. Und diejenigen, die sich als Alternative zu diesen Parteien positionieren können, würden wohl belohnt. Es kann also von den regierungsbildenden Parteien keinerlei Interesse daran bestehen, die Verhandlungen scheitern zu lassen. Sollte eine Koalition zustande kommen, muss man allerdings auch erst einmal sehen, wie lange sie hält.

STANDARD: Wie wird sich die politische Ausrichtung der Regierung ändern, auch mit der AfD im Bundestag?

Marschall: Für die Unionsparteien wird es ein großes Projekt werden, die AfD wieder überflüssig zu machen und durch geänderte Politik die Wähler zurückzugewinnen. Die CDU/CSU kann aber in einer Regierung mit den Grünen nicht ohne weiteres nach rechts rutschen. Die CSU wird trotzdem versuchen, in den Koalitionsverhandlungen bestimmte Punkte, zum Beispiel in der Asylfrage, durchzusetzen. Auch die FDP hat die Flüchtlingspolitik der bisherigen Regierung stark kritisiert und wird daran mitwirken, diese restriktiver zu gestalten.

STANDARD: Frauke Petry hat am Montag bekanntgemacht, dass sie als fraktionslose Abgeordnete in den Bundestag geht. Kam sie einer Meuterei in der Partei zuvor?

Marschall: Der Wahlkampf hat die Konflikte in der AfD ja nur überdeckt. Insofern ist das ein konsequenter Schritt, der Konflikt ist damit aber längst nicht erledigt. Es gibt noch eine Reihe von nationalkonservativen Petry-Anhängern in der Fraktion. Es könnte also zu weiteren Abspaltungen kommen. Ob sich eine eigene Fraktion unter Petry bildet, ist aber fraglich. Schließlich sind dafür zumindest fünf Prozent aller Abgeordneten nötig.

STANDARD: Über eineinhalb Million Wähler sind von den Regierungsparteien zur AfD gewandert. Nur Protestwähler?

Marschall: Zum Großteil ja. Die Menschen sind enttäuscht von allen anderen Parteien. Denn auch von links hat die AfD Wähler gewonnen, das kann also nicht nur eine rein ideologische Entscheidung sein. Hier geht es in der Tat primär um den Ausdruck von Protest gegenüber den sogenannten etablierten Parteien.

STANDARD: Wie würde sich eine Jamaika-Koalition auf die Europa- und Außenpolitik auswirken?

Marschall: Was ich oft beobachte, ist, dass zum Beispiel Journalisten von außen sehr präsidentiell denken, was Merkel und ihren Einfluss betrifft. Auch wenn Merkel Bundeskanzlerin bleibt, bedeutet das nicht gleichzeitig Kontinuität. Viel bedeutender als die Tatsache, wer an der Spitze steht, ist die Frage, wer an der Regierung beteiligt ist. In dieser Koalition haben wir mit der FDP einen Akteur, der europapolitisch nicht auf Merkel-Kurs ist. Die Liberalen haben sich ausdrücklich gegen die bisherige europäische Finanzpolitik ausgesprochen. Das wird man an der deutschen Politik merken. Die Grünen wiederum werden versuchen, ihre Handschrift in der Klimapolitik zu hinterlassen. Es wird insgesamt komplizierter werden, mit Deutschland umzugehen. (Manuela Honsig-Erlenburg, 25.9.2017)