Alleine Handstand üben? No way – auf keinen Fall künftig im Kindergarten. Verletzungsgefahr!

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Es mag angesichts der derzeitigen Wahlkampf-Aufgeregtheit seltsam erscheinen, aber viele Menschen außerhalb der Politik-Journalismus-Blase bewegte in der vergangenen Woche anderes als der Beinahe-Weltuntergang in Deutschland durch den Einzug der rechten AfD in den Bundestag oder die Beinahe-Erweckung der ÖVP in der Wiener Stadthalle durch Sebastian Kurz.

Die Rede ist von jenem Urteil, mit dem der Oberste Gerichtshof Österreichs der Schadenersatzklage eines Vaters Recht gab, dessen Kind sich im Kindergarten beim Rutschen den Ellenbogen gebrochen hatte.

Man muss sich da einmal hineinfühlen: Das eigene Kind bricht sich im Kindergarten den Arm. Aufregung, Herzflattern, vielleicht sogar Empörung. Aber dann? Tatsächlich zum Anwalt rennen? Und dann auch noch bei Gericht Recht bekommen?

Weitreichende Folgen

Offenbar hat niemand dort auch nur in Erwägung gezogen, dass eine gesunde Fünfjährige eigentlich in der Lage sein müsste, unfallfrei von einer Minimalhöhe aus zu rutschen. In dem Fall ist das misslungen – riesiges Pech, großes Malheur, imponierender Gips, großes Geschenk, viel Trost. Das wäre eine normale Reaktion gewesen.

Stattdessen: Klage, Instanzenzug, Verurteilung der Pädagogin – und damit aller anderen Kinder in Österreich, die ihren Bewegungsdrang in Zukunft im Kindergarten leider, leider unterdrücken müssen.

Zu wenig Bewegung

Schon jetzt leiden die meisten Kindergartenkinder darunter, dass es viel zu wenige (zu schlecht bezahlte) Pädagoginnen für knallvolle Gruppen mit 25 Kindern gibt. Manche gehen, wenn überhaupt, nur einmal pro Woche ins Freie, andere wiederum haben die strikte Hausregel, dass im Kindergarten nicht gelaufen werden darf. Begründung: Verletzungsgefahr.

Das Urteil wird dazu führen, dass sich Elementarpädagoginnen noch weniger getrauen werden, Kinder herumtollen oder sich einfach bewegen zu lassen. Die weiteren Auswirkungen kann man Jahr für Jahr in den Gesundheits- und Verletzungsstatistiken nachlesen: So schlugen Ärzte vor einiger Zeit Alarm, weil etwa jedes dritte Kind im Alter von fünf Jahren die Rolle vorwärts nicht beherrsche. Eine WHO-Studie wies nach, dass aktive Kinder auch als Erwachsene glücklichere Menschen sind, dass das Risiko, an Depression zu erkranken, ungleich geringer ist, wenn man als Kind genug Bewegung hatte.

Zweites Kindergartenjahr

Auf dem Internetportal des österreichischen Gesundheitsministeriums ist nicht zufällig nachzulesen, warum "Bewegung im Kindergarten" so wichtig für die Kindergesundheit ist. Das ist auch insofern wichtig, als in diesem Wahlkampf eigentlich parteiübergreifende Einigkeit besteht, dass auf lange Sicht ein verpflichtendes zweites Kindergartenjahr sinnvoll wäre. Das schließt freilich ausreichend Bewegung im Tagesverlauf ein. Alles andere wäre für die körperliche Entwicklung des Nachwuchses eher gesundheitsgefährdend.

Ein weiterer beunruhigender Aspekt an dem Fall ist, dass es offenbar Mode geworden ist, Kränkungen und Verletzungen sofort vor Gericht auszutragen. Dabei scheint jeglicher Hausverstand zu fehlen, jegliche Toleranz gegenüber der Tatsache, dass man nicht alles im Leben kontrollieren kann.

Unsinniger Aktenanfall

So hat etwa ein Mann im Jänner dieses Jahres einen Fünfjährigen verklagt, weil der ihn in den Finger gebissen haben soll. 2015 landeten insgesamt 5.907 derartige Fälle auf Richtertischen – ohne dass auch nur einer davon, wegen Minderjährigkeit der "Beschuldigten", Aussicht auf Erfolg gehabt hätte. Das war im aktuellen Fall zwar anders, die erwachsene Pädagogin muss künftig mit dem Makel leben, die "Aufsichtspflicht verletzt" zu haben, das hat der empörte Vater so nebenbei auch erreicht.

Die neue Regierung, wie immer sie aussieht, sollte solche Unsinnigkeiten abstellen: Keine Polizeidienststelle sollte sinnlose Anzeigen entgegennehmen, kein Staatsanwalt solche Akten überhaupt wälzen müssen. Stattdessen: Hausverstand. Der ist übrigens auch im Umgang mit Kindern nützlich. (Petra Stuiber, 27.9.2017)