Ein Gesetzesentwurf, den ein Anwalt als "Wunschtraum der Versicherungen" bezeichnet, sieht für Lebensversicherungsnehmer auch rückwirkend eine Abschwächung der Verbraucherrechte vor.

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Wien – Einen Paukenschlag in Sachen Verbraucherrecht plant die Regierung wenige Tage vor der Nationalratswahl. Konkret geht es um das Rücktrittsrecht bei Versicherungen, das künftig massiv eingeschränkt werden soll. Besonders betroffen sind Lebenspolizzen, bei denen Konsumenten derzeit noch ein unbefristetes Rücktrittsrecht haben, wenn sie nicht oder mangelhaft darüber belehrt wurden. Dies gilt auch für bereits erfüllte Verträge, also jene, die bereits ausbezahlt, gekündigt oder rückgekauft wurden. Auch Jahre später können diese noch rückabgewickelt werden.

Dem soll künftig ein Riegel vorgeschoben werden. Ein von SPÖ und ÖVP eingebrachter Gesetzesentwurf sieht vor, dass nach dem 22. Februar 2018 abgeschlossene Polizzen neue, vereinheitlichte Rücktrittsrechte von 30 Tagen bei Lebensversicherungen und von 14 Tagen bei allen anderen Versicherungen gelten. Die Krux dabei: Die unbefristeten Rücktrittsrechte von bereits erfüllten Verträgen werden gekippt. Das Rücktrittsrecht erlischt mit dem neuen Gesetz "spätestens einen Monat, nachdem der Vertrag von beiden Seiten vollständig erfüllt wurde". Mit Inkrafttreten würde also das vom Obersten Gerichtshof (OGH) als auch EuGH bestätigte, unbefristete Rücktrittsrecht bei mangelhafter Belehrung ausgehebelt.

Nachteile beim Rückkauf

Ebenfalls neu: Bei fondsgebundenen Polizzen, bei denen der Versicherungsnehmer ein Veranlagungsrisiko trägt, kann die Assekuranz künftig allfällige bis zum Rücktritt eingetretene Veranlagungsverluste den einbezahlten Prämien gegenrechnen. Sprich bei einem Rückkauf der Polizze werden Verbraucher künftig wirtschaftlich schlechtergestellt.

Sollte die Novelle wie von Thomas Hirmke, Leiter der Rechtsabteilung des Vereins für Konsumenteninformation (VKI), erwartet am 12. Oktober von den Regierungsparteien beschlossen werden, sieht er einen "massiven Einschnitt in Altfälle" und eine ebensolche Verschlechterung für Konsumenten. Bis Mitte September führte sein Haus eine eineinhalb Jahre laufende Sammelaktion durch, in der "einige Tausend" Polizzen auf Rücktrittsbelehrung und wirtschaftliche Sinnhaftigkeit geprüft wurden.

Das Ergebnis: Bei der überwiegenden Zahl der Verträge war ihm zufolge eine Rückabwicklung sowohl möglich als auch sinnvoll. Letzteres ist der Fall, wenn die bei einer Rückabwicklung eingeräumte vierprozentige Verzinsung auf die einbezahlten Prämien den Wert der Polizze übersteigt.

Zehn Millionen Polizzen

Laut Peter Kolba, früher selbst VKI-Chefjurist und nun Nationalratskandidat der Liste Peter Pilz, sollen seit Mitte der 1990er-Jahre etwa zehn Millionen Lebenspolizzen abgeschlossen worden sein. Davon, so schätzt er aufgrund der VKI-Erhebungen, soll bei rund der Hälfte der Verträge nicht korrekt belehrt worden sein. Vor einem Jahr hatte der vom VKI beauftragte Aktuar Philipp Schade nach einer ersten Sichtung der bereits eingereichten Lebenspolizzen errechnet, dass Verbraucher bei einem Rücktritt um 25 bis 60 Prozent besser aussteigen – allerdings mit Ausreißern in beide Richtungen, wie er einräumte.

Im Bereich Leben wurden laut Daten des Versicherungsverbands VVO allein im Vorjahr 6,1 Milliarden Euro an Prämien für Lebensversicherungen eingezahlt. Somit hängt ein milliardenschweres Damoklesschwert über den Assekuranzen. "Ganz offensichtlich wurde den Versicherungen in den letzten Monaten der Druck zu groß", vermutet Rechtsanwalt Norbert Nowak. Das Gesetz, das möglicherweise "krass europarechtswidrig" sei, ist aus seiner Sicht "Wunschtraum der Versicherungen". In einer Aussendung weist er zudem darauf hin, dass "der entsprechende Antrag durch den Anwalt einer namhaften Versicherung gestellt wurde, SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim". Den Vorwurf der Unvereinbarkeit wies Jarolim umgehend zurück, räumte aber ein: "Ob das die optimale Optik ist, sei dahingestellt."

Ringen um Lösungen

Bei den vom VKI betreuten Fällen gebe es Gespräche wegen einer Lösung mit dem Versicherungsverband, sagt Hrimke. Sollte keine außergerichtliche Einigung mit den Assekuranzen zustande kommen, will er Konsumenten nochmals die Gelegenheit einräumen, sich beim VKI zu melden. "Wenn es zu einer Sammelklage kommt, wollen wir allen die Möglichkeit bieten, daran teilzunehmen."

Nicht vom VKI betreuten Versicherungsnehmern rät Hirmke zu folgendem Vorgehen: Um sich die derzeitige Rechtslage für Rücktritte abzusichern, müssen Versicherungsnehmer bis zum Inkrafttreten des neuen Gesetzes, das er frühestens rund um den Nationalfeiertag für möglich hält, den Rücktritt erklären, betont er. Sollten Konsumenten zu dem Schluss kommen, ihre Versicherung sei schlecht gelaufen, rät er vorsorglich zu diesem Schritt. Das gelte auch für laufende Verträge, die nach Inkrafttreten des Gesetzes noch rückabgewickelt werden könnten, dabei jedoch wirtschaftlich schlechtergestellt würden.

Oliver Jaindl, Obmann der unabhängigen Plattform für Sammelaktionen Cobin Claims, sieht in dem Gesetzesentwurf ebenfalls eine "Schlechterstellung der Versicherungskunden". Sein Haus prüft daher, ob es noch vor Inkrafttreten der Gesetzesänderung eine eigene Sammelaktion in Sachen Lebensversicherung anlaufen lassen wird. (Alexander Hahn, Bettina Pfluger, 26.9.2017)