Es gibt 1.001 Gründe, Emmanuel Macron nach seiner Europarede scharf zu kritisieren. Der französische Staatschef will die Eurozone umkrempeln. Er möchte ein eigenes Eurobudget schaffen, das zum Teil aus gemeinsam erhobenen Steuern finanziert wird. Macron will einen gemeinsamen Finanzminister ernennen, eine Sozialunion vorantreiben.

Bei Ökonomen wie Politikern und wohl auch vielen Bürgern von Lissabon bis Riga werden diese Ideen auf Ablehnung stoßen. Politisch ist das alles nicht umsetzbar, argumentieren Kritiker. Das Vorhaben sei zu komplex und zu riskant. Viele Menschen fragen sich auch: Die Eurozone hat soeben erst mit Ach und Krach die Finanzkrise überstanden, und schon soll über eine Vertiefung geredet werden?

All diese Einwände sind berechtigt, und doch sollte man würdigen, dass Macron Mut beweist. In den vergangenen zehn Jahren befanden sich die Eurozone und die gesamte europäische Wirtschaftspolitik in ständigem Krisenmodus. Rettungsschirme wurden aufgespannt, Notkredite vergeben, Anleihenkäufe organisiert, die Regeln für Banken und Versicherungen verschärft. Diese Strategie hat trotz mancher erschreckender Nebenwirkungen wie der gestiegenen Armut in Griechenland dazu geführt, dass die Eurozone nicht auseinandergeflogen ist. Zweifelsfrei wurden damit viel größere wirtschaftliche und soziale Verwerfungen verhindert.

Bürokratische Problembearbeitung

Die Betriebsamkeit der vergangenen Jahre war aber in Wahrheit nichts anderes als eine bürokratische Problembearbeitung. Die neuen Vorschriften sind in den meisten Fällen hochtechnisch und viel zu komplex, um Interesse bei der Bevölkerung zu wecken. Auch das hat die Menschen von der EU entfremdet.

Demgegenüber hat Macron eine politische Vision für den Kontinent entwickelt. Europa soll näher zusammenrücken, Verantwortung und Risiken gemeinsam Tragen, in der Wirtschafts- und Steuerpolitik ebenso wie in der Verteidigungs- und Migrationspolitik.

Über die Forderungen nach einer neuen Vertiefung sollte nun trefflich gestritten werden – auch im österreichischen Wahlkampf. Zuletzt wurden die harten Auseinandersetzungen über Zukunftsfragen der EU und der Eurozone zu oft als Ausdruck einer Krise oder Dysfunktionalität des Systems dargestellt – auch von den Medien. Doch das ist falsch: Europa entsteht gerade durch den demokratisch und friedvoll ausgetragenen Streit, bei 28 oder 27 Mitgliedsländern ist das gar nicht anders vorstellbar.

Ein Beispiel: Nach den Bundestagswahlen in Deutschland wird behauptet, eine echte Reform der Eurozone sei unmöglich geworden, weil die FDP im Wahlkampf gegen eine Vertiefung des Währungsraums eine Kampagne geführt hatte. Das ist ein legitimes Argument. Zugleich ist aber eine Alternative vorstellbar: Frankreich und Deutschland könnten einen fruchtbaren Kompromiss aushandeln. So würde die Eurozone ein gemeinsames Budget erhalten, aber in einem ersten Schritt nur eines von überschaubarer Größe, mit dem erste Investitionsprojekte finanziert werden. Wenn das Modell funktioniert, könnte es über die nächsten 20 oder 30 Jahre zu einem echten Eurohaushalt ausgebaut werden.

Wer politische Veränderungen will, muss nicht jede Sachfrage beantworten können, so gibt es auch in Macrons Vorschlägen viele offene Fragen. Aber eine Richtung und eine Idee hat der französische Präsident vorgegeben. Er verdient eine Chance. (András Szigetvari, 26.9.2017)