Bild nicht mehr verfügbar.

Eine der saudi-arabischen Aktivistinnen, die dem Fahrverbot trotzten und sich dabei aufnehmen ließen: Aziza Yousef 2014 in Riad. Es gab immer wieder Festnahmen, ab Juni 2018 ist es legal.

Foto: AP / Hasan Jamali

Riad/Wien – Die gelenkten saudischen Medien – etwa auch das im Westen bekannte Regimesprachrohr Al-Arabiya – taten sich am Mittwoch schwer: Wie lobt man den Fall des Fahrverbots für Frauen in Saudi-Arabien überschwänglich, ohne gleichzeitig zu konstatieren, dass es abgeschafft wurde, weil es ohnehin nie einen Grund dafür gab?

Man kann nur darum herumschreiben: Al-Arabiya etwa mit einem Porträt von Bertha Benz, die 1888 mit dem Auto ihres Gatten Karl Benz von Mannheim nach Pforzheim fuhr – obwohl es religiös suspekt war und sie ihren Sohn mitnehmen musste, weil sie nicht allein reisen durfte. Oder man berichtet über die erste saudi-arabische Frau, die bei Aramco arbeitete – bereits 1964 -, oder über die soeben ernannte erste Sprecherin der Botschaft Saudi-Arabiens in Washington ...

Er hat es also getan – nicht der saudische König Salman, in dessen Namen das Dekret zur Aufhebung des Verbots veröffentlicht wurde, sondern sein Sohn, Kronprinz Mohammed bin Salman. Alle Beobachter sind sich einig, dass die Modernisierungswelle von dem seit kurzem 32-Jährigen ausgeht, von dem erwartet wird, dass er seinem Vater noch vor dessen Ableben nachfolgt. Die Absichten Mohammeds liegen innerhalb und außerhalb Saudi-Arabiens. Erstens will er die Erwartungen und Bedürfnisse einer neuen Generation und Mittelschicht erfüllen, deren Frauen in die Arbeitswelt drängen. Der volkswirtschaftliche Nutzen ist enorm: 90 Prozent der männlichen Hausangestellten sind Chauffeure, meist Fremdarbeiter.

Im Ausland war das Frauenfahrverbot – und die Restriktionen für die Frauen in Saudi-Arabien allgemein – längst zur großen Peinlichkeit für die neue saudische Führung geworden, die sich und ihr Land als modern und weltoffen präsentiert. Politischer Islam? Nur bei den anderen! Die Erleichterung, mit der der saudische Botschafter bei der Uno in New York, Abdallah al-Muallimi, die Neuigkeiten berichtet, war aussagekräftig: Es klang, als verkündete er eine Geiselbefreiung.

Mehr persönliche Freiheiten

Der Fall des Fahrverbots für Frauen ist nur eine wichtige Etappe einer Entwicklung zu mehr persönlichen öffentlichen Freiheiten, die schon länger eingesetzt hat – gegen den Willen des konservativen Klerus. Auch die Religionspolizei wurde etwas gezähmt, die jungen Saudis strömen in Konzerte und Sportstadien, und auch an der männlichen Vormundschaft für Frauen wird bereits gekratzt: Sie werden auch den Führerschein machen dürfen, ohne ihren Mann, Vater, Bruder zu fragen.

Für Frauenaktivistinnen, von denen etwa Loujain Hathloul 2014 nach einer Autofahrt zweieinhalb Monate in Haft verbrachte, ist die Entscheidung Grund zur Freude – aber auch für ganz normale Frauen in der Arbeitswelt, die sich keinen Chauffeur leisten wollen oder können. Keinesfalls ist die Erweiterung persönlicher Freiheiten aber mit einer demokratischen Öffnung zu verwechseln. Im Gegenteil, Beobachter sehen eine Repressionswelle. Der in Ungnade gefallene saudische Publizist Jamal Khashoggi meldete sich vor zehn Tagen mit einem bitteren Kommentar in der Washington Post zu Wort. Anlass war eine aktuelle Verhaftungswelle: Unter den Festgenommenen – einige kamen inzwischen wieder frei – sind genauso Kleriker wie Aktivisten und politische Denker.

Kritik an USA unerwünscht

Es wird nicht nur gegen salafistische Einpeitscher, die den Modernisierungskurs kritisieren (könnten), vorgegangen, sondern auch gegen liberale Intellektuelle – etwa wenn sie die neuerblühte Freundschaft zwischen Saudi-Arabien und den USA infrage stellen oder US-Präsident Donald Trump kritisieren.

In Zeiten der Katar-Krise, in denen Saudi-Arabien versucht, den Nachbarn in die Knie zu zwingen, ist der häufige Vorwurf gegen Dissidenten, dass sie von Katar finanziert werden und dessen Agenda betreiben. Das passierte auch dem konservativen Kleriker Salman al-Odah, einer bekannten Figur aus der regimekritischen islamistischen Szene. Ein Tweet, in dem er Gott um die Einigkeit muslimischer Führer bat, genügte: Er wurde als Kritik an der Katar-Politik verstanden, Odah verhaftet.

Die saudi-arabische Frauenaktivistin und Gründerin von "women2drive" Manal al-Sharif stellt am Montag, 9. Oktober in der Hauptbücherei in Wien (Urban-Loritz-Platz 2a) ihr Buch "Losfahren" vor, Gudrun Harrer moderiert. (Gudrun Harrer, 27.9.2017)