Arnon Grünberg ist "Der Ersatzvater".

Kollage: Armin Karner

Kleine Kinder können mit einer Hingabe abstoßen und wieder anziehen, die vermuten lässt, Menschen seien für den Wankelmut erschaffen. Der Zivilisationsprozess hat uns gelehrt, davon abzusehen, und so haben wir uns zu scheinheiligen Säugetieren entwickelt.

Thura (4) beherrscht das Paradox von Nähe und Distanz am besten. "Du bist blöd!", ruft sie. "Geh nach Hause! Du sollst weggehen!"

Während sie das ruft, springt sie in meine Arme und weigert sich, mich loszulassen. Sie beißt und kneift auch, manchmal recht feste, und klammert sich dabei an den Blödmann. Dann ruft sie: "Du darfst mich nicht streicheln und mir auch keine Küsschen geben." Und sie beißt in meine Hand, bis ich sagen muss: "Das tut wirklich weh, Thura, hörst du bitte auf?" Ihr Haar ist dunkler als das ihrer Schwestern, und auch ihre Augen sind dunkler. Ein wenig erinnert Thura mich an einen jungen Wolf, verloren in der Menschenwelt und strotzend vor Kraft.

Nähe und Distanz

Sie erzählt mir etwas über die Liebe, denn ist das nicht ihre Essenz? Jemandem in die Arme springen und gleichzeitig rufen: "Du bist blöd, geh weg"? Oder lehrt Thura mich etwas über mich selbst? Erkenne ich etwas in ihr und sie intuitiv in mir? Wie ein Wolf den anderen riecht?

Menschen können sich manchmal nicht entscheiden, was unerträglicher ist, die Intimität oder der Abschied, und mit vielen unserer Handlungen nehmen wir einen Vorschuss auf den sich nähernden Abschied. Das ist, was Thura mir beibringt, wenn sie mich beißt und kratzt und kneift.

Die Älteste, Ronja, von Thura Lonja genannt, hat noch immer die meisten Probleme mit mir. Weil sie befürchtet, ich könne nie mehr weggehen?

Die Mutter schlägt vor, ich solle allein mit ihr etwas unternehmen. Ronja kann zwischen einer Zugfahrt nach Deventer und einer Fahrt mit dem Flüsterboot durch Zutphen wählen. Sie entscheidet sich für das Flüsterboot, aber ein Freund soll mitkommen.

Ein zusätzliches Kind

Nachmittags sagt Marjolein zu mir: "Wenn ich ehrlich bin, finde ich dich eher einen Sohn als einen Vater." "Oh, das ist ein Abstieg", bemerke ich. "Ich kam als Vater und gehe als Sohn."

"Nur so ein Beispiel", sagt sie, "wie du den Käse schneidest, so unbeholfen, aber mit so viel Hingabe."

Ich muss betreten dreingeschaut haben, denn sie fügt hinzu: "Die meisten Mütter sehen ihren Mann doch als zusätzliches Kind."

Vielleicht sind das meine Bedenken gegen die Langzeitbeziehung. Ich will nicht das Kind der Frau sein, mit der ich das Bett teile.

Übersetzung: Andrea Kluitmann

Fortsetzung folgt am Montag

(Arnon Grünberg, 29.9.2017)