Ende September 1977 veröffentlichte David Bowie die Single "Heroes" als Vorbote des gleichnamigen Albums seiner "Berlin-Phase".

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Gitarrist Robert Fripp von King Crimson, der mit Roxy Music bekanntgewordene Soundvisionär Brian Eno und David Bowie während der Aufnahme des Songs "Heroes" im Berliner Hansa-Tonstudio zwei im Sommer 1977.

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"Some Are" vom Bowie-Album "Low" (1977).

David Bowie

"Fantastic Voyage" vom Bowie-Album "Lodger" (1979).

David Bowie

"STay" vom Bowie-Album "Station To Station" (1976).

David Bowie

Nur wenige Monate nach den finalen Aufnahmen zum Album "Low" steht David Bowie im Juli und August 1977 wieder im Studio zwei der Berliner Hansa-Tonstudios, um den zweiten Teil seiner später "Berlin-Trilogie" genannten Schaffensperiode aufzunehmen. "Lodger", deren dritter Teil, wird 1978 im Wesentlichen schon nach Bowies Umzug von Berlin nach Frankreich entstehen.

Den Mittelteil wird er jedenfalls "Heroes" nennen und mit dem gleichnamigen Titelsong das – starke Behauptung – wichtigste Stück Popmusik aufnehmen, das jenseits der Beatles entstanden ist. Die Hansa-Studios an der Berliner Mauer dienen – so wie die geteilte Stadt, in der er von 1976 bis 1978 leben und eine der produktivsten Phasen seiner Karriere haben soll – nicht nur als Zufluchtsort.

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Er will sich hier von seiner über die Jahre zum erheblichen Problem gewordenen Kokainsucht befreien. Dies ausgerechnet in einer Stadt, die Bowie später einmal als damalige "Welthauptstadt des Heroins" bezeichnen sollte und der er zumindest seiner eigenen Legende nach den autobiografischen Song "Always Crashing In The Same Car" auf "Low" verdankt. Dieser beruht angeblich darauf, dass Bowie mit seinem Mercedes das Auto eines Dealers zu Klump fährt, der ihn und seinen Kumpel Iggy Pop betrogen hatte.

Das Klischee!

Nach seinem Durchbruch als Glamrocker Ziggy Stardust und den schlank machenden Jahren als "Thin White Duke" in den USA will sich der 30-jährige Brite ab 1976 in Berlin aber auch künstlerisch neu orientieren. Nicht nur die deutsche Kunst (und die Dekadenz und Morbidität) der Weimarer Jahre, also der Expressionismus, hat es ihm angetan.

Ein wenig hatte Bowie in seiner Kokserzeit zuvor ja auch mit Nazi-Images kokettiert ("Station To Station"), und er schätzt wohl auch die Klischees, die man so mit der noch immer zerschossenen und geteilten Stadt, dem Kalten Krieg und dem Leben an der Mauer verbindet.

Von den nahe am "Todesstreifen" gelegenen Hansa-Studios aus sieht man jedenfalls rüber in den Osten, eine harte unwirtliche Gegend in einer unwirtlichen Stadt. So wird teilweise auch die Musik klingen, die Bowie hier 1977 produziert. Bowie stürzt sich in die Arbeit. Er produziert nicht nur für seinen ebenfalls nach Berlin gezogenen Freund Iggy Pop dessen beste Alben, "The Idiot" und "Lust For Life".

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Er geht als Keyboarder in der zweiten Reihe mit Iggy auch auf US-Tour. An der Seite von Marlene Dietrich spielt er außerdem im Kinofilm "Just A Gigolo" und liest in New York außerdem eine Fassung von Sergei Prokofjews Komposition "Peter And The Wolf" ein, nachdem zuvor Alec Guinness und Peter Ustinov abgelehnt hatten.

Und Bowie entwickelt gemeinsam mit Brian Eno, dem Sounddesigner von Roxy Music, den er kennenlernte als sich die Band im Vorprogramm seiner Ziggy-Stardust-Tour verdingte, eine experimentierfreudige Musik, die sich im Wesentlichen der damals vor allem in Großbritannien ungemein einflussreichen deutschen elektronischen Musik verdankt.

Von den späten 1960er-Jahren herauf haben oft auch von der Avantgarde kommende Musiker und Bands wie Conrad Schnitzler, Can, Kraftwerk, Neu!, Harmonia, Cluster, Tangerine Dream und, und, und einen eigenen, sehr oft auch romantisch beeinflussten, repetitiv fließenden Sound entwickelt, der sich vom angloamerikanischen Rock 'n' Roll, dem auch David Bowie alles verdankt, wohltuend abhebt.

Brian Eno hatte zuvor schon mit Hans-Joachim Roedelius und Dieter Moebius von Cluster das Album "Cluster & Eno" improvisiert, das 1977 veröffentlicht wird. Ein weiteres namens "After The Heat" soll im Jahr darauf folgen. Bowie ist begeistert und will unbedingt mit deutschen Musikern zusammenarbeiten.

Speziell auch mit Schlagzeuger und Extremstoiker Klaus Dinger und Gitarrist Michael Rother von Neu!, mit einem Stück namens "Hero" im Programm. Die hatten sich zwar schon einige Zeit davor aufgelöst und waren überhaupt etwas unkoordiniert unterwegs. Dinger und Rother probieren aber zu dieser Zeit gerade unter dem Titel La Düsseldorf einen Neustart.

Die Musik!

Das Management David Bowies zeigt sich von dessen Absicht, in Berlin mit unzuverlässigen deutschen Musikern einen radikalen Stilwechsel weg vom Pop zu repetitiven zehnminütigen Improvisationen zu proben, wenig begeistert. Irgendwie schafft man es, dass die Einladungen Bowies zu Aufnahmen nach Berlin nicht (rechtzeitig) nach Düsseldorf gelangen.

Da die Studiozeit allerdings schon gebucht ist, verpflichtet man die gewohnten Studiocracks, etwa Bowies Langzeitbegleiter Carlos Alomar an der Rhythmusgitarre sowie den bekennenden "Nichtmusiker" Brian Eno an den Synthesizern und zuständig für "Sound Devices". Bowie selbst singt, spielt Keyboards und Saxofon. Für die Leadgitarre fliegt man den britischen Gitarristen Robert Fripp ein. Brian Eno hat mit dem experimentierfreudigen Kopf der Progrock-Band King Crimson 1973 und 1975 die Duoalben "No Pussyfooting" und "Evening Star" veröffentlicht.

Bowie und Eno haben für die Vorbereitung von "Heroes" Soundskizzen entworfen, die nun im Studio noch ohne Robert Fripp in Jamsessions verdichtet werden. Die Instrumentalstücke, etwa die spätere Single-B-Seite von "Heroes" namens "V-2-Schneider", die einerseits auf die Nazirakete anspielt, die den "Endsieg" bringen sollte, andererseits auf Florian Schneider von Kraftwerk verweist, sind Bowie neu.

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Auch harsche, andererseits doch auch einnehmende Stücke wie das auf dem Album enthaltene "Neuköln" (sic!) weisen darauf hin, dass Bowie damals etwas probiert, das ihn aus dem üblichen Trott bringen soll. Das zentrale Stück auf dem Mitte Oktober 1977 veröffentlichten Album ist und bleibt aber "Heroes". Der Song wie das Album werden übrigens von Bowie im Gegensatz zu den anderen Stücken bewusst mit Anführungszeichen geschrieben. Der Hörer soll die "ironische Distanz", die hinter diesem Titel steht, erkennen.

Gemeinsam mit Langzeitpartner Tony Visconti als Produzent wird Bowies und Enos noch ohne Text existierende Songskizze im Studio während stundenlanger Jamsessions so lange komprimiert, bis die Essenz des musikalisch eigentlich unaufgeregt rollenden Stückes zum Vorschein kommt. Man spielt sich mit Raum und Halleffekten und erhält so einen achtminütigen Basic-Track, der nun wochenlang mit zig Overdubs nachbearbeitet wird. Tonbänder werden geklebt, unnötige Parts herausgeschnitten, Kompressoreffekte nivellieren die Instrumente auf ein Niveau.

Die Stille des Studios wird aufgenommen und dazugemischt. Nerdbusiness. Das Endergebnis basiert auf Schichtbauweise, dem sonischen Dröhnen von Brian Enos tastenlosem EMS-Koffersynthesizer und Spinnerzeug. Aber irgendetwas fehlt noch. Robert Fripp hat gerade ein paar Tage Tourpause in den USA und wird eingeflogen, diverse Gitarrenverstärker im Studio so verteilt und so laut aufgedreht, dass Fripp allein mit Rückkoppelungseffekten spielen kann.

Für die drei schön vibrierenden, flirrenden und sägenden Tonhöhen der Feedbacks, die schließlich den Hauptcharakter dieses besten Songs der Welt ausmachen werden, klebt sich Fripp Bodenmarkierungen. Sein Gitarrenpart wird mehr zu Fuß als mit den Händen erarbeitet.

Der Text!

Was jetzt noch fehlt, das ist, wie bei David Bowie üblich, der Text. Zwar wird der Band bei den Jamsessions im Studio gern die Grundtendenz eines Stücks vorgegeben, von wegen: spielt traurig, aggressiv, pathetisch. Mit Notizbüchern gibt sich Bowie allerdings nicht ab. Er schickt die Leute zum Spazieren aus dem Studio und schaut dort aus dem Fenster. Mauer, DDR-Wachposten, unten auf der Straße ein Liebespaar, das sich küsst, blöderweise der damals noch verheiratete Produzent Tony Visconti mit neuer Freundin.

Heraus kommt nach einigen Stunden ein frei assoziierter Text, der in den ersten beiden Strophen mit Bowies bekannter Grundelstimme vorgetragen wird, bevor er sich ab der dritten Strophe um eine Oktave höher an den Rand der Hysterie schraubt. Er handelt von unter Anführungszeichen geschriebenen "Helden", die sich zwischen Ost und West, Liebe und Hass, Hoffnung und Verzweiflung und ganz im Banne eines schönen Scheiterns bewegen:

"We could be heroes just for one day" und "Oh, we can beat them, for ever and ever". Wer sich von diesem wunderbaren, nun sechseinhalbminütigen, hochpathetischen Song nicht überwältigen lässt, der ist für Popmusik verloren.

Gemini Moon

Noch schöner beinahe Bowies teilweise deutsch gesungene Fassung (die deutsche Küsserfreundin Tony Viscontis übersetzte so, dass Bowie das singen konnte, ohne sich die Zunge zu brechen): "Ich, ich glaub' das zu träumen / Die Mauer im Rücken war kalt" / Die Schüsse reißen die Luft / Doch wir küssen als ob nichts geschieht / Und die Scham fiel auf ihre Seite / Oh, wir können sie schlagen / Für alle Zeiten / Dann sind wir Helden / Nur diesen Tag." (Christian Schachinger, 30.9.2017)