Mit Gegenwind ist zu rechnen: die fantastische Daniela Vega.

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Wien – "Eine Chimäre ist es, was ich sehe." Ein solches Mischwesen ist Marina (Daniela Vega) in den Augen der Frau, die Orlando (Francisco Reyes) ihretwegen verlassen hat. Doch nun ist der um zwanzig Jahre ältere Orlando, reicher Inhaber einer Textilfirma, tot, und die Frage, ob sie an den Trauerfeierlichkeiten teilnehmen darf, ist nur eine von vielen, mit denen Marina als Transsexuelle plötzlich konfrontiert ist. Obwohl sie insgeheim natürlich längst weiß, dass sie nicht nur zu diesem Begräbnis gehen, sondern sich in dem ihr feindlich gesinnten Umfeld behaupten wird müssen. Ein Kraftakt, den zu setzen sie Orlando und sich selbst schuldig ist.

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Eine fantastische Frau (Una mujer fantástica), inszeniert von dem in Argentinien geborenen Chilenen Sebastián Lelio (Gloria), erzählt mithin von einem Zustand des Danach, das nach einer Änderung der Verhältnisse verlangt – so wie auch der Körper von Marina (und Daniela Vega) ein anderer wird. Lelio hatte Vega zunächst nur als Beraterin engagiert, bis er sie schließlich zu seiner Hauptdarstellerin machte.

Die Herausforderungen, die Marina kämpferisch annimmt, sind in diesem Film so vielfältig wie erwartbar: respektlose Ärzte, eine aufdringliche Kommissarin, die Missbrauch vermutet, wo Liebe war; und nicht zuletzt ein auch physisch aggressiver Sohn, der mit der unkonventionellen väterlichen Beziehung in erster Linie die eigene Ehre beschmutzt sieht.

Symbolkräftige Bilder

Lelio scheut in keiner Hinsicht vor symbolkräftigen Bildern zurück: Der Gegenwind, der Marina entgegenbläst, entwickelt sich auf der Straße zu einem Sturm. Immer wieder taucht Orlandos Gesicht geisterhaft in der Menge auf, und einmal bringt sein Sohn die junge Frau mit einem Knebel buchstäblich zum Schweigen. Derart funktioniert die tatsächlich als fantastische Frau in Szene gesetzte Marina eher als ein Spiegel, in den alle anderen blicken (müssen). Für Schattierungen oder gar blinde Flecken bleibt dadurch jedoch kaum Platz.

Eine fantastische Frau, heuer bei der Berlinale mit dem Teddy Award und für das beste Drehbuch ausgezeichnet, ist ein Film, dem seine Festivalerfolge bereits vorab eingeschrieben sind, weil er sich in erster Linie über sein Thema und seine starke Hauptfigur definiert und Lelio gleichzeitig das Risiko der Verstörung in Grenzen hält. Deshalb hat er mit Disobedience auch mittlerweile schon seinen nächsten Film vorgelegt, der die Liebesgeschichte zweier Frauen im jüdisch-orthoxen Milieu erzählt. Diesmal mit Rachel McAdams und Rachel Weisz aus Hollywood. (Michael Pekler, 2.10.2017)