Sputnik ("Gefährte") 1 war mehr Demonstrationsobjekt als wissenschaftliches Instrument. Ausgestattet mit vier Radioantennen umrundete er alle 96,2 Minuten die Erde.

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Innenansicht: Sputnik 1 verfügte über Funksender, Silber-Zink-Akkus und ein Wärmeregulierungssystem.

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Vom Zwangsarbeiter zum Chefkonstrukteur: Sergej Koroljow, der entscheidende Mann hinter der sowjetischen Raumfahrt.

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Sputnik-Sondersendung des US-Senders CBS vom 6. Oktober 1957.

Alexandra S

Wien – Am frühen Morgen des 5. Oktober 1957 schlug die Sternstunde des Amateurastronomen Heinz Kaminski. Im Keller seines Hauses, den er zu einer Außenstation der Bochumer Sternwarte umfunktioniert hatte, empfing er als einer der ersten Menschen außerhalb der Sowjetunion das Signal. Das monotone Piepsen war Musik in Kaminskis Ohren, denn es bedeutete den Anbruch einer neuen Ära: Die Eroberung des Weltraums hatte begonnen.

Rund 4000 Kilometer weiter östlich, auf dem geheimen "Forschungs- und Versuchsgelände Nummer 5" in der kasachischen Steppe (heute Baikonur), hatte sich die Anspannung schon gelegt. Die verantwortlichen Ingenieure, Militärangehörigen und Funktionäre hatten den Raketenstart am 4. Oktober von einer eigens errichteten Überwachungsanlage aus mitverfolgt. Wie geplant hatten sich die vier Boosterraketen exakt 116 Sekunden nach dem Start abgetrennt.

Zittern in Baikonur

Doch nach 295,4 Sekunden kam der Schock: Das Triebwerk der Hauptstufe verabschiedete sich mehr als eine Sekunde früher als geplant, die Rakete erreichte die vorgesehene Höchstgeschwindigkeit nicht. Würde sie es dennoch schaffen? Als sich die kostbare Fracht keine 20 Sekunden später in einer unvorhergesehenen Bahn von ihrem Transporter trennte, erreichte die Spannung ihren Höhepunkt. Kurz darauf kam dann die Durchsage: Eine Station auf der Halbinsel Kamtschatka im äußersten Osten Russlands hatte das erlösende Signal empfangen. Sputnik 1, der erste künstliche Satellit der Menschheit, war im All.

Selbst die anwesenden Militärs vergaßen aufs Protokoll und fielen einander um den Hals, erinnerte sich Boris Tschekunow später. Dem damals 24-jährigen Artillerieoffizier war die Aufgabe zugekommen, auf Befehl seines Vorgesetzten die Raketentriebwerke zu zünden. Doch schon verstummte der spontane Jubel wieder, denn Sergej Koroljow, Mastermind des Satellitenprojekts, unterbrach augenblicklich: Zum Feiern sei es noch zu früh – um Fehler ausschließen zu können, müsse man erst abwarten, bis der Satellit seine erste Erdumrundung absolviert habe.

Chruschtschow erwacht

Eineinhalb Stunden später konnte das Piepsen der mit vier Radioantennen ausgestatteten Metallkugel auch in Baikonur registriert werden. Nun traute man sich auch, zum Telefon zu greifen und den Chef der Kommunistischen Partei, Nikita Chruschtschow, aus dem Schlaf zu läuten. Dessen Sohn Sergej erinnerte sich 50 Jahre später im deutschen Magazin "Stern" an den Anruf. Sein Vater sei aus dem Arbeitszimmer zurückgekommen und habe gesagt: "Heute haben sich große Dinge ereignet, wir haben den Sputnik in den Weltraum geschossen." Und schon war er wieder im Bett – vermutlich ohne auch nur zu ahnen, wie sehr sich die Welt soeben verändert hatte.

"Chruschtschow wusste so gut wie nichts über den Weltraum, ihn interessierten Raketen zunächst nur, wenn sie mit nuklearen Sprengköpfen bestückt werden konnten", sagt Asif Siddiqi. Der Professor für Wissenschafts- und Technologiegeschichte an der Fordham University in New York forscht seit Jahren zur sowjetischen Raumfahrtgeschichte und hat mehrere Bücher zum Thema veröffentlicht. Erst durch die weltweiten Reaktionen auf den Start von Sputnik habe Chruschtschow den Wert der Raumfahrt für die Sowjetunion erkannt, nicht zuletzt den propagandistischen. Der manifestierte sich in Westeuropa und mehr noch in den USA sehr unmittelbar.

Die spektakuläre Pionierleistung der Sowjetunion stellte nicht nur den westlichen Überlegenheitsanspruch infrage. Der breiten Öffentlichkeit wurde nun inmitten des Kalten Krieges schlagartig bewusst, dass die Sowjetunion über eine Interkontinentalrakete verfügte und somit auch das gesamte US-Territorium mit Atomwaffen erreichen konnte.

Inspiration und Bedrohung

Siddiqi, der auch als Historiker für die Nasa arbeitete und Mitglied eines Gremiums ist, das den US-Kongress in Raumfahrtfragen berät, betont aber auch gegenläufige Reaktionen: "Vor allem für die jüngeren Generationen war das eine aufregende, inspirierende Zeit – der Mensch ist in den Weltraum vorgestoßen. Plötzlich explodierte das Interesse an Astronomie, Bücher, Filme und Spielsachen mit Weltraumbezug standen höher im Kurs als je zuvor."

Auf politischer Ebene wurde der Enthusiasmus nicht geteilt, stattdessen fühlte man sich bedroht und gedemütigt. Washington hatte im Jahr 1955 – noch vor Moskau – die Entwicklung eines Satelliten bekanntgegeben. Wie nur konnte der Westen technologisch so weit hinter die Sowjetunion zurückfallen?

NS-Technologie

Am Ende des Zweiten Weltkriegs hatten sich die USA und die Sowjetunion ein Wettrennen um die Aneignung der NS-deutschen Raketentechnologie geliefert. Während die USA etliche deutsche Spitzeningenieure rekrutieren konnten, allen voran Wernher von Braun, den Entwickler der ersten funktionsfähigen Großrakete Aggregat 4, musste sich die Sowjetunion vor allem mit untergeordneten Ingenieuren und Technikern begnügen. Siddiqi: "Im Gegensatz zu den USA mussten die Sowjets erst lernen, die Raketen aus Einzelteilen und Überresten zu rekonstruieren. Ich glaube aber, für die sowjetische Raketenentwicklung war das ein Vorteil: Sie wuchs sehr schnell über die deutsche Technologie hinaus."

Ziel der Anstrengungen war freilich nicht das All, sondern eine global einsetzbare Waffe. Dass beides gelingen konnte, ist untrennbar mit einem Namen verbunden: Sergej Koroljow. Während der Zeit des Großen Terrors von einem Rivalen denunziert, war er nur knapp dem Tod im Gulag entkommen. Auf Initiative des Flugzeugbauers Andrej Tupolew freigelassen, stieg er nach dem Krieg zum Chefkonstrukteur des militärischen Raketenprogramms auf.

Die Aufholjagd beginnt

Unter Koroljows Leitung entstand die R-7 – die erste Interkontinentalrakete der Welt. Schon während der Entwicklung träumte er aber davon, ins Weltall zu fliegen. Durch seine geschickte politische Vorgehensweise wurde tatsächlich der Bau eines Satelliten genehmigt, das als militärisch unbedeutend eingestufte Projekt kam aber nur schleppend voran. 1956 verdichteten sich die Hinweise, dass die Amerikaner kurz vor einem Start standen. Koroljow nutzte die Gelegenheit und schlug den schnellen Bau eines einfacheren Satelliten vor. Diesmal stieß er auf größere Unterstützung.

Als die Sowjetunion im August 1957 den ersten erfolgreichen Testflug einer R-7 vermeldete, war in westlichen Medien noch von Propaganda die Rede. Am 5. Oktober gab es aber keine Zweifel mehr: "Soviet Fires Satellite Into Space", titelte etwa die "New York Times". Das Zeitalter der Raumfahrt hatte begonnen – und die USA wollten sich nicht mit dem zweiten Platz begnügen.

Washington hob die Militärausgaben an, zur Vernetzung der Kommunikation schuf das Verteidigungsministerium die Advanced Research Projects Agency (Arpa), aus der später das Arpanet, ein Vorläufer des Internets, hervorging. Um die bemannte Raumfahrt voranzutreiben, wurde die Nasa gegründet. Öffentliche Debatten über das Bildungssystem führten zu grundlegenden Reformen, Milliardenbeträge flossen in Ausbildungsprojekte und wissenschaftliche Nachwuchsförderung.

Noch behielt aber die Sowjetunion die Oberhand im Weltraum. Sputnik 1 sendete seine Signale bis zum 26. Oktober 1957, dann waren die Batterien leer. Gut ein Monat später startete mit Sputnik 2 der erste Passagier von der Erde ins All: die Mischlingshündin Laika. Ihr tragisches Ende war ebenfalls eine Premiere – sie starb nach wenigen Stunden im All. (David Rennert, 3.10.2017)