Wien – Die am 18. September in Wien-Favoriten erstochene 14-Jährige hatte ihren 18-jährigen Bruder, der wegen Mordverdachts in U-Haft sitzt, und ihren Vater zweieinhalb Monate vor ihrem Tod wegen fortgesetzter Gewaltausübung angezeigt. Das Verfahren musste allerdings eingestellt werden.

Das Mädchen war bereits Ende Juni von zu Hause geflüchtet, nachdem es dort wiederholt zu Handgreiflichkeiten gekommen sein soll. Die Staatsanwaltschaft Wien bestätigte am Freitag entsprechende Informationen der APA.

Die aus Afghanistan stammenden Eltern waren vor über zehn Jahren nach Österreich gekommen. Bei der Erziehung ihrer Kinder orientierten sie sich an der traditionellen, in ihrer ursprünglichen Heimat gültigen Lebensweise und den Glaubensregeln des Koran. Zuletzt waren sechs Kinder an der Adresse des Paares gemeldet. Zwei weitere Töchter sollen sich in Pakistan befinden – angeblich wurden sie dorthin verheiratet.

14-Jährige nicht über Entschlagungsrecht aufgeklärt

Die 14-Jährige dürfte sich zu Hause eingeengt gefühlt haben und zusehends unter Druck gesetzt worden sein, weil sie sich gegen die elterlichen Vorgaben auflehnte. Sie durfte beispielsweise die Wohnung nur in Begleitung verlassen. Weil sie auch geschlagen worden sein soll, flüchtete sie schließlich nach Graz, wo sie sich in ein Krisenzentrum begab. In Graz erstattete sie Anzeige gegen den Vater und den 18-jährigen Bruder.

In der Folge leitete die Staatsanwaltschaft Wien gegen beide ein Ermittlungsverfahren wegen fortgesetzter Gewaltausübung ein. Die Verdächtigen wurden als Beschuldigte vernommen, bestritten dabei aber die Vorwürfe. Die 14-Jährige wurde als Zeugin befragt, aber nicht über ihr Entschlagungsrecht aufgeklärt – in einem Strafverfahren, das gegen Angehörige geführt wird, ist man von der Pflicht zur Aussage befreit. Die 14-Jährige wurde daher von der Staatsanwaltschaft zu einer neuerlichen Aussage gebeten. In dieser entschlug sie sich, mittlerweile nach Wien zurückgekehrt, der Aussage.

Verfahren gegen Vater und Bruder eingestellt

Die Angaben der Schülerin bei der ersten Befragung durften aus rechtlichen Gründen nicht verwertet werden. Das Verfahren gegen den Vater und den Bruder wurde daher Ende Juli von der Wiener Staatsanwaltschaft eingestellt, bestätigte deren Sprecher Thomas Vecsey.

Die U-Haft über den nunmehr mordverdächtigen 18-Jährigen – er soll seine Schwester mit zumindest 13 Messerstichen in einem Innenhof in der Puchsbaumgasse getötet haben – ist vom Landesgericht vor wenigen Tagen bis Anfang November verlängert worden. Ob und inwieweit der Vater oder andere Familienmitglieder in die Tat verwickelt waren oder davon wussten, ist noch Gegenstand von Ermittlungen. (APA, red, 6.10.2017)