Barcelona/Madrid – Der Artikel 155 der spanischen Verfassung wird wegen seiner Schärfe auch als "nukleare Option" bezeichnet. Er besagt, dass die Regionalregierungen des Landes dazu verpflichtet sind, die Verfassung und das allgemeine Interesse Spaniens einzuhalten. Tut eine der 17 autonomen Regionen das nicht, kann die Regierung in Madrid die Regionalregierung entmachten.

Der Artikel berechtigt die Zentralregierung, die "erforderlichen Maßnahmen" zu ergreifen, um die autonome Gemeinschaft "zur zwingenden Erfüllung dieser Verpflichtungen und zum Schutz besagten Allgemeininteresses anzuhalten". Zuvor müsste Ministerpräsident Mariano Rajoy aber einige vorgegebene Schritte einhalten – es würde somit einige Tage oder Wochen dauern, bis der Artikel 155 voll angewendet werden könnte.

Zuerst müsste die Zentralregierung den Chef der Regionalregierung – also Carles Puigdemont – offiziell auffordern, die in der Verfassung verankerten Pflichten einzuhalten. Sollte dieser sich weigern, müsste Rajoy den Senat einschalten, in dem seine konservative Volkspartei über eine absolute Mehrheit verfügt. Diese Mehrheit ist nötig, um die Anwendung des Artikels 155 zu genehmigen.

Welche Maßnahmen konkret ergriffen werden können, ist in dem Artikel nicht festgelegt. "Um die vorgesehenen Maßnahmen (...) umzusetzen, kann die Regierung allen Behörden der autonomen Gemeinschaften Anweisungen geben", heißt es vage im 2. Absatz des Verfassungsartikels.

Welche Weisungen das sein können, müsste zunächst festgelegt werden. Außerdem gibt die Verfassung keinen Zeitrahmen für die Aktivierung von Artikel 155 vor. Theoretisch wäre auch ein militärisches Eingreifen möglich. Dieses halten Beobachter aber bisher für unwahrscheinlich. (APA, dpa, 11.10.2017)