Am Freitag mobilisieren die Spitzenkandidaten der Parteien vor der Wahl am Sonntag ein letztes Mal ihre Funktionäre und Wähler. Die meisten begehen dabei ihren Wahlkampfabschluss, die Neos beenden erst am Samstag ihren Wahlkampf. Im Folgenden Reportagen von den aktuellen Veranstaltungen:

18:00 Uhr: Christian Kern schöpft Hoffnung

Der Fall Silberstein, die endlose Pannenserie, die Depression in den Umfragen: Es ist, als wäre all das nie passiert. Fanfarenhafte Klänge setzen an, als der wuchtige Bus vor der Parteizentrale der SPÖ vorfährt, Christian Kern kommt kaum bei der Tür heraus. "Yes we Kern" skandiert die Menschentraube um ihn herum, im Festzelt setzt es minutenlangen Applaus

Bundesgeschäftsführerin Andrea Brunner trägt zwar gar etwas dick auf, als sie den roten Wahlkampf als "großartig" bezeichnet, doch der Jubel wirkt nicht aufgesetzt. Letzte Umfragen stünden besser als erwartet, raunen sich Genossen zu: Da geht noch was!

Gelöst wirkt auch Kern selbst, nicht mehr so angespannt und fahrig wie in mancher TV-Debatte. Von der Angst der pflegebedürftigen Mindestpensionistin um ihr Sparbuch erzählt der Kanzler, und vom Bauarbeiter, "der lange vor dem Bankdirektor stirbt".

Nichts aber elektrisiert auch zehn Jahre danach so sehr wie die Warnung vor Schwarz-Blau. Der Film "die Mumie kehrt zurück" dürfe kein Revival erleben, sagt Kern: "Wir werden das gewinnen, ihr werds das sehen."

FPÖ-Anhänger auf dem Viktor-Adler-Platz.
Foto: MICHAEL DALDER

16 Uhr, Viktor-Adler-Markt: John Otti stimmt auf HC ein

Die Freiheitlichen feiern ihren Wahlkampfabschluss auf bewährtem Terrain: auf dem Viktor-Adler-Platz in Wiens zehntem Bezirk. Heinz-Christian Strache muss zunächst gar nicht selber da sein. Wenn die John Otti Band aufspielt, unterhält sich seine Stammwählerschaft auch so. Wenn der Bandleader "Haa Cee" ins Mikro brüllt, dann antwortet das Publikum verlässlich mit "Stra-Che". Und hält rot-weiß-rote Schals hoch, auf deren einer Seite der Name des Parteichefs steht – und auf der anderen "Österreich immer treu!".

Um vier Uhr nachmittags hat die Band zu spielen begonnen, politische Botschaften gibt es bis zum Eintreffen des Spitzenredners zur Dämmerstunde nur wohldosiert. Etwa wenn die Band "Wir sind eine große Familie" intoniert und alle mitschunkeln – da braucht es nur den dezenten Hinweis "wie die FPÖ", dann johlen alle mit. Stiegl-Bier fließt um wohlfeile drei Euro, wem das zu viel ist, bringt Dosen aus dem Supermarkt mit.

Entsprechend gelöst ist die Stimmung, als Wiens Vizebürgermeister John Gudenus auftritt und verkündet: "Diese Wahl ist auch eine Wahl gegen Rot-Grün in Wien." Noch deutlicher wird die Zustimmung als er nachlegt: "Der Islam gehört nicht zu Wien, er gehört nicht zu Österreich und nicht zu Europa." Die FPÖ werde die österreichische Kultur schützen, sagt nicht nur Gudenus, sondern gleich danach auch der Dritte Nationalratspräsident Norbert Hofer – und er ergänzt: "Wir sind eine Partei, die patriotisch ist, nicht nationalistisch."

Aber auf solche Feinheiten ist das Publikum nicht aus, es wünscht sich einen gröberen Auftritt. Und den bekommt es von Strache, der eine Stunde lang all die Zurückhaltung und Verbindlichkeit, die er in vielen Fernsehdiskussionen an den Tag gelegt hat, vergessen lässt. Er spricht von einer "rot-schwarzen Raubritterregierung", von einer "Bonzenschutzmauer" vor dem Kanzleramt, an deren Stelle "Poller, der nächste Holler" aufgestellt würden, und fordert: "Tauschen wir die rot-schwarzen Politiker aus, bevor sie die österreichische Bevölkerung ausgetauscht haben."

Dann wird er pathetisch, gemahnt seine Fans an deren letzte Stunde und die Frage, die dann vielleicht Kinder und Enkel stellen würden: Was man denn getan habe, "damit wir nicht Zustände wie in Syrien erleben müssen". Dann werde man hoffentlich sagen können, dass man FPÖ gewählt habe. Applaus, Bundeshymne, blaue Konfetti. Diese werden wohl weggekehrt sein, wenn am Samstag der Bundeskanzler an derselben Stelle sprechen wird.

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Aus Deutschland schaute Cem Özdemir vorbei. Auch Ex-Grünen-Chefin Eva Glawischnig kam zum Wahlkampfabschluss ihrer Partei und unterstützte Spitzenkandidatin Ulrike Lunacek.
Foto: corn

15 Uhr, Marx-Palast, Wien-Landstraße, grüner Wahlkampfabschluss

"Nur die Grünen machen die Klimakrise zur Chefsache", plärrt der deutsche Grünen-Chef Cem Özdemir am Freitagnachmittag in ein Mikrofon in der Marx-Restauration im dritten Bezirk in Wien. Kurz zuvor ist er mit Ulrike Lunacek zu "I Am What I Am" von Gloria Gaynor in die Halle eingezogen. Inmitten der deutschen Koalitionsverhandlungen ist er kurz zur Unterstützung seiner österreichischen Kollegin angereist.

Wien sei nach Stuttgart die zweitschönste Stadt der Welt, traut sich Özdemir in seiner kurzen Ansprache anzumerken. Dafür gibt es verhaltenen Applaus, so mancher im Publikum raunt sogar. Besser kommt an, dass er den österreichischen Grünen für den Sonntag wie der deutschen Schwester bei der Bundestagswahl im September einen Zuwachs prognostiziert. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

Nach ihm betritt Lunacek die Bühne. "Es war ziemlich anstrengend, es hat oft auch Spaß gemacht", sagt sie über den Wahlkampf. Vor ein paar Tagen sei sie noch im Wörthersee baden gewesen – allerdings im Neoprenanzug. An eine Aufholjagd glaube auch sie noch. Vom Publikum aus hören ihr sämtliche grünen Spitzenpolitiker zu, auch Eva Glawischnig, die ihr freundlich zulächelt, hat sich eingestellt. Kämpfen will Lunacek jedenfalls bis zum Schluss. Dann gibt es Leberkässemmerln für alle – bio, versteht sich. Und natürlich auch irgendetwas aus Kichererbsen.

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Sebastian Kurz auf dem Weg zu den letzten 36 Stunden Wahlkampf.
Standard/Cremer

10.30 Uhr, Lichtenfelsgasse: Kurz bricht zur 36-Stunden-Tour auf

Ein junger Mann zieht noch schnell seine türkise Windjacke aus dem Rucksack und zieht sie über, weiße und türkise Luftballons mit der Aufschrift "Team Kurz" sind an Verkehrsschildern befestigt. Ein paar Dutzend Anhänger und Anhängerinnen von ÖVP-Spitzenkandidat Sebastian Kurz sind Freitagvormittag vor die Parteizentrale in der Wiener Lichtenfelsgasse gekommen, um ihren Obmann für eine letzte Wahlkampftour zu verabschieden. Jubel und Applaus branden auf, als er sich dann den Weg zu einem Podium bahnt, wo Kurz ein paar letzte offizielle Worte vor dem Wahlsonntag sagt. Einen traditionellen Wahlkampfabschluss gibt es nicht.

Kurz bedankt sich bei seinen Unterstützern und den Kandidaten für die letzten Monate, die "sehr intensive, aber auch sehr schöne Monate" gewesen seien. Seit seiner Übernahme der ÖVP sei es gelungen, 200.000 Unterstützer für die "Bewegung" zu finden: "Ich bin dankbar, dass wir diese Stärke entwickeln konnten."

"Illegale Migration stoppen"

Er verspricht, kleine und mittlere Einkommen zu entlasten, den "Missbrauch und die Zuwanderung ins Sozialsystem zu beenden" und "alles dafür zu tun", die "illegale Migration zu stoppen". In den letzten Monaten seien viele Ideen und Programme präsentiert worden, auch von der ÖVP. Bisher hätten aber "Kraft, Mut und Entschlossenheit" gefehlt, um diese Ideen auch umzusetzen. "Genau das ist unser Angebot bei dieser Wahl."

Dutzende Anhänger versammelten sich zur Verabschiedung vor der Parteizentrale.

Das sei aber nur möglich, wenn man Kurz und seine Bewegung auch wähle. "Ich bitte Sie, geben Sie uns Ihre Stimme, damit wir die Kraft bekommen, eine echte Veränderung in diesem Land möglich zu machen", sagt er zu den Unterstützern vor der Lichtenfelsgasse, deren Stimme ihm wohl sicher sein wird.

Dann steigt für eine letzte 36-Stunden-Tour in diesem Wahlkampf in einen türkis-weißen Bus. Der fährt ein paar Minuten später allerdings schon wieder leer die Ringstraße entlang. Die letzten Termine des ÖVP-Chefs sind in Wiener Neustadt am Freitag und im steirischen Liezen am Samstag.

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Peter Pilz und sein Team stellten sich noch einmal vor ihr "einziges Plakat".
Foto: Standard/Urban

10.30 Uhr, Parlament: Pilz kündigt eine Diät an

Der deutsche Tourist mit Stadtplan in der Hand ist von dem Trubel vor dem Parlament irritiert. "LI-S-TE PILZ", liest er seiner Frau das Plakat auf dem Gehsteig am Wiener Ring vor, um dann in einer möglichst schlechten Imitation des Wienerischen anzufügen: "Wass für a Schwammerl ist'n dess?" Selbst muss er lachen, die Gattin verzieht keine Miene. "Hier lang, Uwe!"

Pilz-Leute rekrutieren derweil Bürger auf der Straße, die willig sind, sich einen Pilz-Button anstecken und sich für ein Foto neben dem "einzigen" Plakat der Liste drapieren zu lassen. Oe24.tv berichtet das bereits live. Zwischen den Journalisten und Kameraleuten spaziert ein alter Mann mit Stock umher: "Heute gibt es Pilz mit Semmelknödel", flötet er schelmisch grinsend vor sich hin. Es wird Zeit, dass dieser Wahlkampf ein Ende nimmt.

Pilz will eine "große politische Alternative in dieser Republik aufbauen", sagt er beim Wahlkampfabschluss.

"Jetzt ist es nimmer lang, und das ist ein gutes Gefühl", hört man dann auch endlich Pilz vorne seine letzte Ansprache vor der Wahl einleiten. Er habe vor, eine "große politische Alternative in dieser Republik" aufzubauen – und im Wahlkampf zwar nur vier "völlig unausweichliche" Stamperl Schnaps getrunken, aber viel gegessen. Ab Montag macht der Ex-Grüne eine Diät, erklärt er am Freitagvormittag bei seiner letzten Wahlkampfveranstaltung. "Jetzt kommen zwei Tage der völligen Ungewissheit."

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Die ehemalige Grüne Flora Petrik tritt für die KPÖ Plus an.
Foto: KPÖ/Wurzinger

10 Uhr, Parlament: Flora Petrik posiert vor Wahlkabinen

Ein paar Schritte weiter, auf der anderen Seite der Parlamentsbaustelle, steht Flora Petrik. Die ehemalige grüne Jungrebellin ist nach dem Rauswurf der Jugendorganisation durch die grüne Mutterpartei bei der KPÖ angedockt, die deshalb nun als KPÖ Plus antritt. Hinter ihr wurden zwei wacklige Wahlkabinen mit roten Vorhängen aufgebaut. Petrik war zuvor bereits "flyern bei der U6", erzählt sie. Rund 200 bis 300 Leute würden gerade in ganz Österreich für die Kommunisten laufen und werben. Der Zuspruch sei groß, versichert Petrik. Ob sie auch nach der Wahl bei der KPÖ bleibe, sei derzeit aber noch nicht gewiss. (koli, mika, cs, jo, 13.10.2017)