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Vor dem Parlament in Kiew wurde diese Woche immer wieder gegen die ukrainische Regierung und Präsident Petro Poroschenko demonstriert. Die Proteste ziehen allerdings bisher nicht die Massen an.

Foto: Reuters / Valentin Ogirenko

Im Zentrum von Kiew sind Zelte aufgebaut. Es gibt eine Feldküche, brennende Regentonnen, wehende Fahnen und viel Polizei. Die Menschen drängen sich vor dem Parlament, der Werchowna Rada. "Schande, Schande!", rufen sie. Es sind Bilder, die an die große Protestbewegung des Maidan 2013/14 erinnern sollen: Michail Saakaschwili, von Anhängern auch Mischa genannt, beherrscht die große Inszenierung. "Ich weiß, was es heißt, Verantwortung zu übernehmen", ruft er von der Bühne. "Nie würde ich mit denen paktieren, die das Volk bestehlen!"

Saakaschwili, der ehemalige georgische Präsident, auf den Barrikaden in Kiew? Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko hat Saakaschwili nach dem Maidan 2014 in die Ukraine eingebürgert und zum Gouverneur von Odessa gemacht. Nachdem Saakaschwili immer offener den Präsidenten kritisierte, weil dieser Reformen blockiere, schmiss er das Amt vor einem Jahr hin. Woraufhin Poroschenko dem früheren Freund die Staatsbürgerschaft wieder entzog und ein Einreiseverbot verhängte. Das ließ Saakaschwili nicht auf sich sitzen – und durchbrach vor einem Monat mit Anhängern eine Absperrung an der polnisch -ukrainischen Grenze. Jetzt tourt er durch die Ukraine, um gegen die Führung in Kiew Stimmung zu machen. "Und wir werden immer mehr!", ruft er den Anhängern zu.

Genau daran gibt es aber Zweifel. Während der Protest in dieser Woche mit rund 6000 Teilnehmern begonnen hat, sollen es Ende der Woche nur noch etwa 150 Menschen gewesen sein, die in der improvisierten Zeltstadt ausharrten. Sie fordern drei Reformen – bisher ohne Erfolg: das Ende der Immunität für Abgeordnete, einen Anti-Korruptions-Gerichtshof und offene Wahllisten. Die Rhetorik richtet sich aber immer direkter gegen den Präsidenten und Süßwaren-Oligarchen Poroschenko: "Petja, kau ab!", haben Aktivisten mit Pralinen ein Schimpfwort, leicht abgewandelt, auf den Boden geschrieben.

Nur wenige Demonstranten

Nach der spektakulären Ein reise in die Ukraine vor einem Monat hat die Saakaschwili-Show an Schwung verloren. Hatten ihn bei seiner Rückkehr noch so unterschiedliche Politiker wie Ex-Ministerpräsidentin Julia Timoschenko oder der Maidan-Aktivist Mustafa Najem unterstützt, ist inzwischen einer nach dem anderen von ihm abgefallen. Den Protest vor der Rada führt er inzwischen nur noch mit den engsten Mitstreitern. Obwohl die Unzufriedenheit im Land groß ist – gesunkener Lebensstandard, Korruption, Krieg –, haben sich dem Protest doch weniger Menschen angeschlossen als erwartet. Die TV-Bilder von seinem illegalen Grenzübertritt sind längst nicht überall gut angekommen. "Saakaschwili wird die Opposition wohl eher kannibalisieren, als sie um sich zu einen", glaubt der Politologe Balazs Jarabik.

Auch in der Provinzstadt Bila Zerkwa, eine gute Autostunde südlich von Kiew, hat Saakaschwili zuletzt um Unterstützung geworben. Heute ist sein Auftritt aber eher ein Spektakel für Schaulustige als ein triumphaler Empfang. Nicht mehr als 200 Menschen, unter ihnen viele Pensionisten, haben sich neben dem Rathaus versammelt. Zu oft haben die Ukrainer Phrasen von einer besseren Zukunft gehört. "In Odessa hat er auch viel versprochen und nichts gehalten", winkt Pensionistin Swetlana ab. Ljudmilla, eine junge Saakaschwili-Anhängerin, ist enttäuscht, dass so wenige gekommen sind. Kein Wunder, seien doch alle Saakaschwili-Plakate in der Stadt von Unbekannten beschmiert worden: "Die Leute sind eingeschüchtert und fürchten sich vor Provokateuren." Noch dazu, als Saakaschwili in den regierungsnahen TV-Sendern angeschwärzt werde, findet sie.

Saakaschwili – ein Opfer des Systems? Fakt ist, dass seine "Bewegung neuer Kräfte" zuletzt in Umfragen bei unter zwei Prozent lag. Das politische Klima in der Ukraine ist aber tatsächlich rauer geworden. Poroschenko habe zuletzt versucht, "seine Macht zu konsolidieren", schreibt das Carnegie-Zentrum in einem Bericht. Oppositionelle und Antikorruptions-Aktivisten klagen zunehmend über Druck der Behörden, etwa des Geheimdienstes SBU. Da Saakaschwilis Zeltlager in Kiew nicht von der Polizei geräumt wurde, wird auch über einen internen Machtkampf zwischen Innenminister Arsen Awakow und Poroschenko spekuliert, die sich für die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen 2019 in Stellung bringen. Zuvor war es in Kiew zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Polizei gekommen. Saakaschwili wollte indes weiter machen. Die nächste Aktion war für Sonntag geplant. (Simone Brunner aus Kiew und Bila Zerkwa, 21.10.2017)