Reinhard Göweil ist nicht mehr Chefredakteur der staatseigenen "Wiener Zeitung".

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Wien – Reinhard Göweil (57), Chefredakteur der Wiener Zeitung im Eigentum der Republik Österreich, ist am Freitag abberufen worden. Die Geschäftsführung schrieb von "Vertrauensverlust" und Handlungsbedarf aus "zwingenden arbeitsrechtlichen Gründen". Göweil bestreitet dies. Auf STANDARD-Anfrage nach dem Hintergrund der Abberufung sprach Göweil von einer "Intrige".

Nach dieser ersten Anfrage erhielt der STANDARD Informationen, wonach hinter der Abberufung der Vorwurf sexueller Belästigung stehe.* Die Gleichbehandlungsanwaltschaft wurde mit den Vorwürfen einer Betroffenen befasst und um eine Einschätzung ersucht. Nach Einschätzung der Gleichbehandlungsanwaltschaft soll der Vorfall als Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgesetz und als sexuelle Belästigung einzustufen sein. Werden Vorfälle gegen einen Mitarbeiter so eingestuft und nicht entkräftet, muss der Dienstgeber, insbesondere in einem republikseigenen Unternehmen, darauf reagieren.

Hanna Herbst, stellvertretende Chefredakteurin von "Vice" in Österreich, schreibt auf Facebook ebenfalls von Vorwürfen der Belästigung. Ihr liege ein Screenshot einer entsprechenden Nachricht an die Betroffene vor, ebenso deren Schreiben an die Gleichbehandlungsanwaltschaft.

Noch ist Drozda zuständig

Der STANDARD versuchte Göweil Freitagabend nochmals zu erreichen und damit zu konfrontieren. Eine Bitte um Rückruf mit den Vorwürfen auf der Mobilbox blieb zunächst unbeantwortet. Gegenüber der "Presse am Sonntag" gesteht Göweil mittlerweile einen Fehler ein, will aber gegen die Abberufung vorgehen.

Es habe den kolportierten Schriftverkehr mit der Journalistin auf Facebook tatsächlich gegeben. "Dass das ein schwerer persönlicher Fehler von mir war, das ist mir klar. Ich will da auch nichts beschönigen. Aber was da jetzt daraus gemacht wird, ist für mich schwierig zu verstehen". Dieser "kurze, blöde Chat ist im Jänner passiert, warum das jetzt aufpoppt, ist mir ein Rätsel."

Ihm sei wichtig zu betonen, dass er sich bei der Kollegin sofort in diesem Chat für seine verbale Entgleisung entschuldigt und seither nichts mehr von ihr gehört habe. Die Kollegin sei zu diesem Zeitpunkt nicht seine Mitarbeiterin gewesen, so Göweil. "Ich habe eine Trottel-Facebook-Nachricht geschickt und mich danach entschuldigt." Trotzdem werde er rechtlich gegen seine Abberufung vorgehen und noch am Samstag eine Stellungnahme dazu in den sozialen Netzwerken abgeben. Zudem betonte Göweil: "Wer immer diesen Chat-Verlauf nachlesen möchte, möge sich bei mir melden."

Die Wiener Zeitung ist dem Kanzleramt zugeordnet. Der damalige Kanzler Werner Faymann (SPÖ) ersetzte 2009 den von Wolfgang Schüssel (ÖVP) eingesetzten Chefredakteur Andreas Unterberger durch Göweil. Derzeit ist Medienminister Thomas Drozda (SPÖ) noch mit der Fortführung der Geschäfte betraut.

Wiener Zeitung: "Kein politischer Anlass"

Göweils Abberufung sei kein erstes Vorzeichen auf eine mögliche schwarzblaue Regierung, wie die "Wiener Zeitung" am Freitagabend auf Twitter entsprechenden Spekulationen entgegentrat: "Die Entlassung erfolgte aus zwingenden arbeitsrechtlichen Gründen. Es gab dafür keinen politischen Anlass."

Göweil selbst erklärte auf Twitter in einer Antwort auf den Tweet der "Wiener Zeitung": "Das bestreite ich ganz entschieden. Jeder möge sich einen Reim darauf machen."

Auf Facebook und Twitter sprach Göweil von einem "bloßen Vorwand" für die Abberufung. "Es wurde kein dienstlicher Vorwurf gemacht. Im kommenden Prozess wird diese Begründung wohl nachgeliefert werden müssen."

Mit Jänner 2014 wurde sein Vertrag um fünf Jahre verlängert. Herausgeberin ist die Republik Österreich, in deren Alleineigentum die Gesellschaft steht.

Der Schritt sei in Abstimmung mit der Eigentümerseite erfolgt und habe die Rückendeckung der Organe des Unternehmens, also des Aufsichtsrates, erklärte Geschäftsführer Riedler telefonisch gegenüber der APA. "Es war keine alleinige Entscheidung der Geschäftsführung", sagt Riedler. Es handle sich um eine fristlose Entlassung aus arbeitsrechtlichen Gründen, anderen Behauptungen trete man entschieden entgegen.

Die "Wiener Zeitung" wurde laut Eigenangaben im Jahre 1703 unter dem Namen "Wiennerisches Diarium" gegründet und 1780 in "Wiener Zeitung" umbenannt. Die Tageszeitung gilt als die älteste noch erscheinende Tageszeitung der Welt. (fid, APA, 20.10.2017)