Sebastian Kurz

Foto: APA/AFP/AURORE BELOT

Nicht selten wird dieser Tage die Geschichte des baldigen Beitritts Österreichs zur Visegrád-Gruppe, bestehend aus Ungarn, Polen, Slowakei und Tschechien, bemüht. Dabei werden die gemeinsame Vergangenheit, die geografische Nähe, das in letzter Zeit auffällige Vermeiden manch öffentlicher Kritik an der ungarischen Regierungspolitik und die Ankündigung einer restriktiveren Migrations- und Asylpolitik ins Treffen geführt.

Länderbündnisse und thematische Allianzen in der EU machen durchaus Sinn. Ob allerdings eine etwaige Teilnahme an der Visegrád-Gruppe den eigenen Anliegen mehr Durchsetzungskraft verleiht, ist in etlichen Bereichen mehr als fraglich.

Denn die Interessenlagen sind derzeit großteils anders gelagert bzw. gänzlich konträr: Die vier Länder sind allesamt Nato-Mitglieder, Österreich ist neutral. Drei der vier Visegrád-Länder setzen auf Atomkraft, wir lehnen diese ab. Hierzulande wird eine EU-Mitgliedschaft der Türkei unisono ausgeschlossen, der polnische Präsident hat sie hingegen gerade erst wieder unterstützt. Auch die ökonomischen und sozialen Rahmenbedingungen unserer Nachbarn sind – nach 13 Jahren EU-Mitgliedschaft – noch lange nicht mit jenen in Österreich vergleichbar. Dies erklärt zumindest teilweise die unterschiedlichen wirtschafts- und steuerpolitischen Konzepte und einander diametral entgegengesetzte Positionen, etwa hinsichtlich Personen- und Niederlassungsfreiheit.

Gravierende Differenzen

Allein Fragen wie die Entsendung von Arbeitskräften, der Zugang zu Sozialleistungen oder konkret der in Österreich thematisierten Familienbeihilfe für im EU-Ausland lebende Kinder werden naturgemäß gänzlich anders bewertet. Die vier Länder sind – im Gegensatz zu Österreich – allesamt EU-Nettoempfänger. Und während Österreich Teil der Eurozone ist, sind dies drei von vier der Visegrád-Länder nicht. Durch zunehmende Einschnitte in die Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit in Polen und Ungarn gibt es zudem gravierende Differenzen im Bereich demokratischer Standards und der Definition gemeinsamer europäischer Werte.

Auch hierzulande dominieren derzeit Sicherheits- und Migrationsfragen den politischen Diskurs, allerdings leistet Österreich – anders als die Visegrád-Länder – einen beachtlichen Beitrag bei der Aufnahme und Integration von Flüchtlingen und Asylwerbern.

Kein Interesse an der Erweiterung der Gruppe

Trotz guter Beziehungen und enger wirtschaftlicher Verflechtung mit Österreich zeigen schon diese wenigen Beispiele, warum ein Visegrád-Beitritt derzeit eben kein Thema ist. Abgesehen davon: Auch die vier Visegrád-Länder betonen regelmäßig, dass sie ihrerseits gar kein Interesse an der Erweiterung der Gruppe haben.

Wobei der Schein manchmal trügt: So scheinen die Slowakei und Tschechien – bei aller auf das heimische Publikum zielenden EU-Skepsis – derzeit mehr daran interessiert, sich Richtung Kerneuropa zu orientieren als Ungarn und Polen. Österreich wäre gut beraten, sich mit konstruktiven Beiträgen aktiv in die Debatte zur Zukunft Europas einzuklinken, dann würden realitätsferne Visegrád-Fantasien rasch wieder verstummen. (Paul Schmidt, 22.10.2017)