Die Zeiten, als Leute vor dem Wiener Gasometer bei Konzerten Schlange standen oder sich durch die Gänge angesagter Modeketten drängten, gehören längst der Vergangenheit an. Es ist ziemlich ruhig geworden in und um die ehemaligen Gasbehälter in Simmering. Wie viele Menschen sich in diesem vermeintlich unbelebten Stadtteil tummeln, wird erst zu Mittag klar. Dann nämlich verlässt das arbeitende Volk seine Wirkungsstätte, um sich auf die Suche nach Essbarem zu machen.

Schnitzel und Germknödel werden gerne in Betriebskantinen angeboten. Mit ausgewogener Ernährung haben diese Speisen nichts zu tun. Mittlerweile gibt es Alternativen zum klassischen Kantinenessen.
Foto: Lukas Friesenbichler

Abgesehen von ein paar Fast-Food-Läden, gutbürgerlicher Convenience-Küche und dem beliebten Straßenimbiss "Würstelmausi" ist das Angebot aber überschaubar. Kein Wunder also, dass einem der Griff zu einem schnellen, unbefriedigenden Snack oft nicht erspart bleibt. Selbst Mitarbeiter von Firmen mit betriebseigener Verpflegung sind nicht immer gesegnet. Was hier manchmal feilgeboten wird, ist nicht gerade das, was man als ausgewogene Ernährung bezeichnen würde.

Abhilfe will jetzt Genussexperte Marco Simonis schaffen. In der Wiener Innenstadt betreibt er die Bastei 10, ein Lokal, das Restaurant, Edelgreißlerei und Atelier zugleich ist. Nach einem kleinen Ableger in Mariahilf eröffnete er vor kurzem in einem Bürokomplex in der Modecenterstraße nun auch noch eine Kantine, die so gar nichts mit jenen Betriebsverpflegungsstätten zu tun haben will, die man sonst kennt.

Alles neu

Vom verstaubten Flair der alten Betriebskantine, die vorher hier untergebracht war, ist kaum noch etwas zu spüren. Dunkle Holzvertäfelungen und verstaubte Kunstpflanzen sind hellen Wänden und modernem Design gewichen. Nur der glänzende Terrazzoboden durfte bleiben – und die Küche, die das Herzstück der Kantine bildet und der eigentliche Grund für die Übernahme war. Der Gastronom sei auf der Suche nach einer großen Betriebsküche für Caterings gewesen, nachdem jene im Lokal in der Wiener Innenstadt zu klein geworden war.

Die Kantine schien perfekt. Und so wurde nicht nur die Küche, sondern auch gleich der Gastraum adaptiert. "Als ich unsere Kantine das erste Mal in ihrer Ursprungsform gesehen habe, wusste ich, dass es viel zu tun gibt. Eigentlich wusste ich das schon auf dem Weg dorthin, weil man das Frittierfett und das Suppenpulver schon von weitem riechen konnte", sagt Simonis. Statt mit Convenience-Ware werde frisch gekocht und dabei auf Regionalität und Saisonen geachtet. Das macht nicht nur wirtschaftlich Sinn, es wirkt sich vor allem positiv auf den Geschmack aus.

Die neue Kantine von Marco Simonis wirkt hell, modern und einladend. An den Charme des ehemaligen Betriebsrestaurants erinnert nur noch der Hochglanz-Terrazzoboden.
Foto: Die Abbilderei / Dieter Sajovic

"Unlängst kam ein Gast zu mir und hat mich gefragt, was wir in unser Essen geben, weil er sich viel fitter fühlt. Tatsächlich ist unser Geheimnis, nur mit frischen Produkten zu kochen und auf Geschmacksverstärker zu verzichten. Etwas, das eigentlich normal sein sollte. Es ist ein Umgewöhnungsprozess, weil natürlich viele Leute gerne Schnitzel zu Mittag essen", fährt Simonis fort. Dass man gerade in Österreich um das Schnitzel nicht herumkommt, ist auch dem Experten bewusst.

Hierzulande essen rund zwei Millionen Menschen unter der Woche zu Mittag außer Haus. Vernünftiges nehmen dabei wahrscheinlich nur die wenigsten zu sich. Das ist nicht nur schlechten Gewohnheiten geschuldet, es liegt oft schlichtweg am fehlenden Angebot. Nicht jede Firma leistet sich eine eigene Betriebskantine. Selbst große Unternehmen verzichten oft darauf, ihren Mitarbeitern eine Verpflegungsmöglichkeit zur Verfügung zu stellen.

Und dabei ist die Kantine nicht nur ein Ort, an dem man schnell sein Mittagessen zu sich nimmt, weiß Sodexo-Österreich-Geschäftsführer Michael Freitag. "In modernen und zukunftsorientierten Unternehmen leistet das Betriebsrestaurant einen wesentlichen Beitrag zur Kommunikation. Man kommt regelmäßig zusammen und hält auch – zum Beispiel bei einem Kaffee – kurze Meetings ab. Mitarbeiter haben hier, losgelöst vom Arbeitsplatz und in angenehmer Atmosphäre, die Möglichkeit, sich zu besprechen", sagt Freitag.

Bis zu 200 Personen können in Simonis' Kantine gleichzeitig essen.
Foto: Die Abbilderei / Dieter Sajovic

Gemeinsames Essen

Sodexo betreibt rund 60 Betriebsrestaurants in Österreich. Wie wichtig Mitarbeitern das Mittagessen in der Firma ist, zeigt eine aktuell veröffentlichte Studie des Unternehmens. Darin geben 56 Prozent der Befragten an, dass sich das gemeinsame Essen in betriebseigenen Räumen positiv auf ihr Wohlbefinden auswirke. Das entsprechende Kantinenkonzept spielt dabei eine wesentliche Rolle. Sodexo plant dieses individuell für unterschiedliche Unternehmen.

"Im Optimalfall starten wir mit einem Design-Thinking-Prozess, in dem wir eine genaue Zielgruppe definieren und die Anforderungen des Kunden ausloten. Da kommt es auf viele Faktoren wie etwa Öffnungszeiten, Raumangebot oder Firmenstrategie an. Ein IT-Unternehmen zum Beispiel, in dem es sehr flexible Arbeitszeiten gibt, hat spezielle Anforderungen. Das muss man bei der Konzeptionierung beachten. Das gilt auch für die angebotenen Speisen. Nachtschichtmitarbeiter etwa haben andere ernährungsphysiologische Bedürfnisse als Mitarbeiter in der Verwaltung", sagt Freitag und spricht lieber von Betriebsrestaurants oder Food-Courts als von der klassischen Kantine. Vielleicht, weil in unseren Köpfen Kantinen nach Fett riechen, laut sind und das Essen meistens wenig appetitlich aussieht.

Besseres Image

Wer jemals in einem modernen Betriebsrestaurant war, wie es sie beispielsweise in großer Zahl in Deutschland gibt, weiß, dass man sich von alten Denkmustern durchaus verabschieden kann. Dabei helfen auch prominente Köche, die immer öfter als Testimonials fungieren und der Kantine zu einem besseren Image verhelfen sollen.

Fernsehkoch Johann Lafer eröffnete eine Schulkantine in Deutschland, Spitzenkoch Roland Trettl erdachte vegetarische Menüs für Sodexo, und Jahrhundertkoch Eckart Witzigmann implementierte nachhaltiges Essen in den Betriebsrestaurants von BMW. Die Vorgabe Witzigmanns: Die verwendeten Produkte müssen regional sein, das Gemüse der Jahreszeit entsprechen und das Fleisch aus artgerechter Tierhaltung stammen. Dass man unter diesen Bedingungen kein Essen mehr zum normalen Menüpreis anbieten kann, liegt auf der Hand. Und trotzdem war die Nachfrage bereits in der Testphase erstaunlich hoch.

Aber nicht nur betriebsinterne Personen gehen immer öfter in Kantinen. Viele Unternehmen öffnen ihre Betriebsrestaurants für externe Gäste. Glaubt man den Plänen des "neuen" Parlaments, das gerade aufwendig saniert wird, gibt ab dem Sommer 2020 auch im Hohen Haus eine moderne und ansprechende Kantine, die nicht nur Mitarbeitern zur Verfügung stehen wird. Wie gut das funktioniert, zeigt beispielsweise das Betriebsrestaurant im Wiener Justizpalast, der nur wenige Schritte vom Parlament entfernt liegt.

Kantine oder Restaurant

Letztes Jahr ließ ebenfalls eine neue Kantine in Wien aufhorchen, die mehr ein Restaurant ist und nicht nur eigene Mitarbeiter anlocken soll. Im Iki am Campus der Erste Group kocht man asiatisch, und Gäste müssen sich nicht an einer Ausgabestelle für ihr Essen anstellen. Kein Wunder also, dass man für so eine Kantine in der Mittagspause durch die halbe Stadt fährt. Nicht nur das Essen, auch das Interieur wird man in einer klassischen Kantine kaum irgendwo finden. Hohe Glasfronten, schwarze Sessel und bronzefarbene Leuchten, die von der Decke schweben, schaffen Wohlfühlatmosphäre.

Dass das richtige Ambiente, neben dem Essen, eine wesentliche Rolle spielt, davon ist auch Marco Simonis überzeugt. "Bei der Planung war uns wichtig, dass die Räume frisch wirken und trotzdem zum Sitzenbleiben einladen. Eine Kantine muss ein Ort sein, an dem man sich wohlfühlt und kurz abschalten kann. Dazu gehören Möbel, auf denen man gut sitzt und die man gerne angreift, sowie beruhigende Farben. Außerdem spielen wir Vogelgezwitscher ein, um trotz hoher Frequenz ein bisschen Ruhe zu schaffen", sagt Simonis, in dessen Kantine rund 200 Personen gleichzeitig essen können.

Dass Betriebsrestaurants nicht nur praktisch sind, sondern auch die Produktivität steigern, ist unbestritten, bedenkt man, wie viel Zeit für die Suche, das Besorgen und das appetitliche Anrichten des Mittagessens verlorengeht. Und das alles noch bevor der erste Kollege die alles entscheidende Frage stellt: "Was wollen wir heute essen?" (Alex Stranig, RONDO, 30.10.2017)

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