Alle Jahre wieder: Sich gegen die Grippe wappnen. Es gibt einem Tag für Tag ein sicheres Gefühl, sich nicht anzustecken – in der vollen U-Bahn zum Beispiel.

Karin Pollack beschäftigt sich von Berufs wegen mit Gesundheit. Insofern lässt sie sich gegen die Influenza impfen. Warum krank sein, wenn es sich vermeiden lässt?

Foto: cremer/rawicka/istock

Wissen ist nicht immer von Vorteil. Wer weiß, was alles passieren kann, macht sich tendenziell mehr Sorgen. Und ich umso mehr: Es ist wirklich unglaublich, wie viele Krankheiten es gibt und was einem theoretisch alles zustoßen kann. "Der Körper ist eine tolle Maschine", denke ich so gut wie täglich, und was ich noch denke: Der Mensch ist keine abgeschlossene Einheit in der Natur, sondern steht in ständiger Wechselwirkung mit seinem Umfeld.

Konkret mit vielen Viren und Bakterien. Manche sind gut, manche egal und manche auch schlecht, weil sie uns zusetzen. Definitiv eine Herausforderung sind Grippeviren. Die machen so richtig krank. Mit Bomben und Granaten. Eine Kollegin im Büro hat es letzte Saison erwischt. "Ich war zu schwach zum Teekochen," erinnert sie sich dieser Tage. Kurz davor kam das Mail, in dem die Möglichkeit einer Grippeimpfung angekündigt wurde. Ein Stockwerk runter, eine Spritze – und zurück an den Schreibtisch: Da kann niemand behaupten, er hätte es wieder einmal nicht zum Hausarzt geschafft.

Allein: Die Betriebsärztin, die viele Unternehmen betreut, sagt: "Kaum ein Unternehmen schafft die Zehnprozenthürde," und meint die Durchimpfungsrate. Obwohl heuer mit einer schweren Grippe zu rechnen ist, nimmt das niemand wirklich ernst und viele das Risiko in Kauf.

Andere Sorgen

Ich wollte wissen, warum. "Du, ich habe momentan echt andere Sorgen", sagt ein anderer Kollege, eine Freundin hat Angst vor den Nebenwirkungen. "Vor welchen?", frage ich. Vor Autismus, sagt sie. Sorglos, oder waren es Lähmungserscheinungen? Meine alte Tante meinte: "Du, mich hat die Grippe in 70 Jahren noch nie erwischt," und ein anderer Bekannter meinte, dass mit den Impfungen sei ein reines Pharmageschäft. Er riskiert es lieber und entwickelt dann echte Abwehrkräfte, also wirklich eigene und so.

Die Mutter meines Patenkindes hat in Impffragen sogar ihren Hausarzt konsultiert. Er hätte sie nicht unbedingt empfohlen, sagt sie, und deshalb lässt sie diese Spritze aus. Tja, mit Argumenten für eine Impfung tut man sich da also schwer.

Warum ich mich impfen lasse?

Erstens: Ich bin ungern krank und vermeide es, wo ich nur kann. Abgesehen von den Influenzaviren gibt es ja ohnehin immer auch viele andere Erreger, die Schnupfen, Husten und Heiserkeit verursachen. Bei mir kommt wenigstens die Grippe nicht noch dazu.

Zweitens: Gegen Viren gibt es keine Medikamente, heißt: sieben lange Tage leiden.

Drittens: Ich bin viel unter Menschen. Im Zug, in der U-Bahn, im Flugzeug. Besonders beim Smalltalk haben die Viren freie Bahn, denke ich oft, wenn mich wieder mal einer anspuckt. Zur Erinnerung: Die Viren werden auch durch Tröpfcheninfektion übertragen, gefühlsmäßig gibt mir da die Impfung ein gutes Gefühl. Der, der mir ins Gesicht spuckt, macht mich wenigstens nicht krank.

Viertens: Ich kenne Leute, die gerade Krebs hinter sich haben, die alt und krank sind. Ich könnte es mir nie verzeihen, ihnen als Überträgerin auch noch die Influenza angehängt zu haben. Denn Grippeviren sind immer noch ein Killer, die immer erst die Schwachen dahinraffen.

Und fünftens: Krankheit ist kein Weg, den Körper zu stärken, wie das hirnlose Esoteriker behaupten. Weil das schlichtweg nicht stimmt.

Aber leider bin ich mit diesen Argumenten recht allein unterwegs. Ich weiß auch: Impfung funktioniert nur dann richtig gut, wenn sich viele impfen lassen. Herdenimmunität sagen die Fachleute. Die Herde scheint mehrheitlich nicht mitzuziehen. Nichtwissen ist nicht nur in politischen Fragen ein Killer, auch die Krankheiten haben etwas davon. (Karin Pollack, 29.10.2017)

Zum Weiterlesen

Experten warnen vor schwerer Grippesaison

Grippe: Impfen oder nicht impfen

Verpflichtende Immunisierung für Gesundheitspersonal im Gespräch