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JFK nur Sekunden vor den tödlichen Schüssen.

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Vor allem das Fehlen wichtiger Informationen gab Verschwörungstheorien zum Mord an John F. Kennedy bisher Auftrieb.

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Was Abraham Zapruder am 22. November 1963 in Dallas filmte, ist so oft unter allen nur möglichen Blickwinkeln betrachtet worden, dass es eigentlich nichts mehr hinzuzufügen gäbe. Der Besitzer eines Kleiderladens stand auf einem grasbewachsenen Hügel am Rande der Dealey Plaza, eines kleinen Parks im Zentrum der Stadt.

Mit seiner Kamera wollte er dokumentieren, wie John F. Kennedy in einer offenen, blank polierten Staatslimousine durch ein Spalier jubelnder Passanten fuhr. Daraus wurde ein Dokument für die Geschichtsbücher. Auf Zapruders Film ist zu sehen, wie Kennedy von Kugeln getroffen wird, abgefeuert von Lee Harvey Oswald, der sich im sechsten Stock des Schulbuchlagers von Dallas verschanzt hatte.

Drei Schüsse

1964 gelangte eine Sonderkommission, geleitet von Earl Warren, dem Vorsitzenden des Obersten Gerichts, auch auf Grundlage des Zapruder-Films zu dem Schluss, dass Oswald auf eigene Faust handelte. Ein verbitterter Mann, einst Scharfschütze der Marineinfanterie, der in der Sowjetunion Asyl gesucht und geheiratet hatte, bevor er in die USA zurückkehrte, wo seine Ehe in die Brüche ging.

Dreimal schoss er auf Kennedy. Beim ersten Mal verfehlte er sein Ziel. Beim zweiten traf er den Präsidenten im Nacken, die dritte Kugel ließ dessen Schädel buchstäblich explodieren. Nur hatten Augenzeugen damals den Eindruck, als sei zumindest die letzte, die tödliche Kugel nicht von hinten gekommen, sondern schräg von vorn – also von einem zweiten Schützen.

Es liegt nicht zuletzt an diesen Schilderungen, dass die Verschwörungstheorien bis heute blühen. Zumal es, so sagt es der Kennedy-Biograf Robert Dallek, schwer zu akzeptieren ist, dass ein so unbedeutender Mensch einen derart mächtigen Mann töten konnte, ohne Komplizen zu haben – Komplizen beim Militär, bei der CIA, der Mafia.

Jahrzehntelang unter Verschluss

Handelte Oswald wirklich allein? Laut einer Gallup-Umfrage haben 61 Prozent der Amerikaner ihre Zweifel – weshalb es umso dringlicher geboten schien, auch das Letzte unter dem Teppich hervorzukehren. So sollte es, vom Kongress vor genau 25 Jahren beschlossen, spätestens in der Nacht zu diesem Freitag geschehen. Das Nationalarchiv in Washington sollte alles freigeben, was noch unter Verschluss gehalten wurde.

In letzter Minute aber bekam Donald Trump, dem kraft seines Amtes das letzte Wort in dieser Sache zusteht, kalte Füße. Zuvor hatte der Präsident die Aktenflut zwar noch in einer Verkäuferpose angekündigt, die an Produzenten einer Reality-Show denken ließ, wenn sie die nächste Staffel anpreisen. "So interessant!", schrieb er in einem Tweet. Dann aber ließ er sich von CIA und FBI überzeugen, dass es im Interesse der nationalen Sicherheit liege, die heikelsten Papiere, etwa 300 von mehr als dreitausend Dokumenten, weiterhin wegzuschließen.

Geheimagenten und Bundespolizisten bekommen zusätzliche sechs Monate, um sie durchzusehen und womöglich brisante Passagen zu schwärzen. Experten wird Gerald Posner, der für sein Kennedy-Buch ("Case Closed") den Pulitzerpreis erhielt, reagierten irritiert. Die Behörden hätten ein Vierteljahrhundert Zeit gehabt, um die Aktenlage zu klären, "die Verzögerung wird beim Normalbürger nur den Eindruck verstärken, dass die Regierung etwas zu verbergen hat".

Fragmente eines Puzzles

Was es schon jetzt zu lesen gibt, sind Fragmente, die in den nächsten Tagen erst noch gründlich gesichtet und, falls möglich, zu einem Puzzle zusammengesetzt werden müssen. Da ist eine Notiz des langjährigen FBI-Direktors J. Edgar Hoover, angefertigt am 24. November 1963, nachdem Jack Ruby, ein Nachtklubbesitzer, Oswald in dem Moment erschossen hatte, als er aus dem Polizeigefängnis geführt wurde. Außer der Tatsache, dass Oswald tot sei, gebe es nichts Neues zu seinem Fall, schreibt Hoover lakonisch und klagt über den Schlendrian in Dallas.

Am Abend zuvor habe im dortigen FBI-Büro ein Mann angerufen, der sich als Mitglied eines Komitees zur Tötung Oswalds ausgab. Daraufhin habe man den Polizeichef der Stadt verständigt und die Zusicherung erhalten, dass der Häftling angemessen geschützt werde.

Da ist ein vertrauliches Memorandum, in dem die Reaktionen des Kreml auf die Bluttat zusammengefasst werden. Oswald, steht darin, gelte als Wahnsinniger, illoyal sowohl gegenüber seinem eigenen Land als auch gegenüber "allem anderen". Regierungsmitglieder in Moskau treibe die Angst, dass ohne politische Führung in den USA irgendein verantwortungsloser General einen Raketenangriff auf die Sowjetunion starten könnte. Da ist ein FBI-Report, in dem es heißt, freilich ohne konkrete Belege, Lyndon B. Johnson, Kennedys Nachfolger im Oval Office, habe zu Beginn seiner politischen Karriere dem Ku-Klux-Klan angehört.

Weiter viele Fragezeichen

Da ist schließlich das Protokoll einer Vernehmung von Richard Helms. Der ehemalige CIA-Direktor sagte 1975 unter Eid vor einer Sonderkommission aus, es ging um die Klärung des Verdachts, nach dem sein Geheimdienst ausländischen Politikern nach dem Leben getrachtet hatte. Dabei wurde Helms gefragt, "ob es irgendwelche Informationen darüber gibt, dass Lee Harvey Oswald auf irgendeine Weise ein CIA-Agent war oder Agent …" – an dieser Stelle bricht das Protokoll abrupt ab.

Dort, wo sich Historiker vor allem Aufschluss erhofft hatten, bleibt es allerdings bei Fragezeichen. Wenige Wochen vor seiner Tat reiste Oswald nach Mexiko-Stadt, wo er sowohl im Konsulat Kubas als auch in der sowjetischen Botschaft vorsprach. CIA und FBI haben ihn dort offenbar rund um die Uhr beschattet, und 54 Jahre später hoffte man, Erhellendes zu erfahren – Zusammenhängendes.

Was es bislang gibt, ist eine kurze Geheimdienstnotiz. Demnach soll sich der amerikanische Besucher am 28. September 1963 mit Waleri Wladimirowitsch Kostikow getroffen haben – angeblich ein KGB-Offizier, beschäftigt von der Abteilung für "Sabotage und Attentate". (Frank Herrmann aus Washington, 27.10.2017)