Von der Ausbildung bis zum Produktionsprozess: Nina Kusturica (li.) und Katharina Mückstein kennen viele Beispiele für sexistische Verhaltensmuster in der heimischen Filmszene.

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Es muss nicht gleich ein Fall in der Größenordnung eines Harvey Weinsteins sein – der Schaden ist immer groß. Auch Frauen in der heimischen Filmbranche sind in ihrem Arbeitsalltag an vielen Stellen mit sexistischen Verhaltensmustern konfrontiert.

Eine überschaubare Szene wie in Österreich macht es oft noch schwieriger, an die Öffentlichkeit zu gehen: "Es sind bevorzugt bekannte Frauen, die den Mund aufmachen. Wenn man hier etwas offen anspricht, sind sofort alle betroffen. Jeder kennt jeden."

Diese Enge wirkt sich auch auf Karrieren aus, ist Filmregisseurin Katharina Mückstein überzeugt. Seit der #MeToo-Debatte sind ihr viele Schilderungen aus den letzten Jahren wieder eingefallen: "Es sind kleine Sachen, die immer wieder passieren und auf Dauer am Selbstbewusstsein nagen. Das führt dazu, dass sich Frauen nicht frei bewegen können. Man meidet bestimmte Leute, obwohl sie mächtig sind und man von ihnen eigentlich etwas brauchte." Das ganze Arbeitsleben werde allmählich zum Spießrutenlauf.

Mückstein und ihre Regiekollegin Nina Kusturica sind für den FC Gloria aktiv, einen Verein von Filmschaffenden, der sich für Geschlechtergerechtigkeit in der heimischen Filmbranche starkmacht. Auf der Homepage ist eine Solidaritätsbekundung mit #MeToo zu lesen: "Machtmissbrauch hat viele Gesichter, oft ist das Ergebnis ein sexueller Übergriff, und in den allermeisten Fällen sind die Opfer Frauen." Deshalb ist man für diese neue Form der Öffentlichkeit dankbar: #MeToo helfe zu verdeutlichen, dass Übergriffe kein individuelles, sondern ein strukturelles Problem sind.

Starke Hierarchien

Doch mit welchen Maßnahmen lässt sich darauf konkret reagieren? Und wie lässt sich eine andere Kultur in einer Branche etablieren, in der von Berufswegen streng hierarchische Ordnungen herrschen?

Für Kusturica wäre ein längst überfälliger Schritt, Fördermittel für die Filmproduktion zwischen Mann und Frau gerechter zu verteilen: "Dann wird sich die Situation von oben bis unten automatisch verändern." Ein Zahlenbeispiel: Von den beiden größten Förderstellen, dem Österreichischen Filminstitut und dem Filmfonds Wien, gehen nach aktueller Statistik nur jeweils 25 Prozent an Projekte von Frauen.

Mückstein geht noch einen Schritt zurück: "Das System ist an allen Ecken und Enden sexistisch" – für die Filmemacherin ein Erbe der Geschichte. Sie bezieht sich auf das Wesen des filmischen Apparats, der seit Anbeginn den männlichen Blick auf weibliche Körper bevorzugt hat. "Deshalb geht es auch stets darum zu hinterfragen, welche Bilder wir machen, welche wir konsumieren. Denn was wir produzieren, spiegelt auch zurück auf unsere Arbeitsverhältnisse."

Anachronistisch

Es reicht aber auch schon, den Blick auf die Wiener Filmakademie zu richten, um eine Vorstellung davon zu bekommen, wie man das Verhältnis zwischen Regie und Darsteller vermittelt. "Vieles ist vollkommen anachronistisch. Mir wurde in meiner Regieausbildung von durchwegs männlichen Lehrern mehrfach suggeriert, man müsse Schauspielerinnen unbedingt dazu bringen, dass sie mit einem schlafen wollen – denn erst dann machen sie das, was du als Regisseur möchtest", erzählt Mückstein. Als Frau habe sie die Aufgabenstellung ziemlich ratlos hinterlassen.

Kusturica bildet selbst Nachwuchsfilmschauspielerinnen aus. Die Einstellungen der 18-Jährigen mache sie optimistisch: Nach den umstrittenen Aussagen der Schauspielerin Nina Proll zur #MeToo-Debatte hätten manche mit ihrem Vorbild gebrochen.

Für schwieriger hält es Kusturica, in etablierte Machtbereiche vorzudringen: "Es gibt kein Bewusstsein darüber, dass etwas falsch läuft – sonst wären wir ja nicht da, wo wir sind. Ich glaube, man muss sehr viel Aufklärungsarbeit leisten. Es ist wunderbar, wenn wir diese Arbeit mit jungen Menschen machen, aber was tun wir mit jenen, die schon in verantwortungsvollen Positionen sitzen?"

Um Alarm schlagen zu können, fehle die entsprechende Kontrollebene. Dafür, wie man auf der systemischen Ebene damit umgehen könne, gäbe es keinen Konsens. Die Regisseurinnen sind sich jedoch einig, dass man mit Machtpositionen und Hierarchien vorsichtig umgehen müsse.

"Als Regisseurin habe ich sehr intime Verhältnisse mit meinen Schauspielern, und dennoch gab es noch nie das Problem, die persönlichen Grenzen zu erkennen. Das ist etwas, was jedem zumutbar ist", sagt Mückstein, wenn man sie auf die delikaten Linien im Schaffensprozess anspricht.

Viel zu persönlich

Es finde auch kein fairer Wettbewerb statt, ergänzt Kusturica. "Ganz viel wird immer noch über persönliche Kontakte weitergegeben, da sind die Grenzen zwischen Freundschaft, Liebschaft und professioneller Zusammenarbeit diffus." Das bringt die Gefahr mit sich, dass Abhängigkeiten zu groß werden.

Dass es durch die politischen Entwicklungen in Österreich zu einer Zuspitzung kommen könnte, befürchtet Mückstein. "Ich gehe davon aus, dass harte Kämpfe auf uns warten." Eine restriktivere Frauenpolitik werde die Fronten sichtbarer machen: "Wir werden wohl eine Regierung haben, die vielen Frauen ans Bein pinkeln wird. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass dann alle den Mund halten und sagen, dann geh' ich nach Hause an den Herd und werde schnell noch einmal schwanger." (Dominik Kamalzadeh, 4.11.2017)