SPD-Chef Martin Schulz (re.) will die SPD wieder in die Höhe bringen. Seinem Vize, Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (li.), werden allerdings auch Ambitionen auf den Chefsessel nachgesagt.

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20,5 Prozent – diesen Wert wird SPD-Chef Martin Schulz niemals vergessen. Es ist das Ergebnis, das die SPD mit ihm an der Spitze bei der Bundestagswahl im September eingefahren hat – das schlechteste in ihrer Geschichte.

Es war damals schon klar, dass Schulz – wenn er schon den Einzug ins Kanzleramt verpasst hatte – nun etwas anderes gelingen müsse: nämlich die desperate SPD wieder aufzurichten und sie zu neuer Stärke zu führen.

Wochenlang saß Schulz daher nach der Wahl mit seinen Vertrauten zusammen und brachte seine Gedanken über einen Erneuerungsprozess zu Papier. Nun hat er sie vorgestellt, und er spart dabei nicht mit Selbstkritik.

"Nicht die Medien, nicht die Demoskopen und auch nicht die politischen Gegner sind schuld an unserer Wahlniederlage", heißt es in dem Papier. "Der Kanzlerkandidat und die gesamte SPD haben diese Wahl verloren." Denn vielen Wählern sei gar nicht klar gewesen, wofür die Partei stehe. Auch sei die späte Kandidatenkür "aufgrund der mangelnden, strategischen, thematischen und organisatorischen Vorbereitung zur Achillesferse der gesamten Wahlkampfkampagne" geworden.

Allerdings erinnert Schulz auch an die "Begeisterung für die SPD, die wir im Februar und März nach der Kanzlerkandidatennominierung erlebt haben". Diese will er nun wiederentfachen und dafür das Profil der SPD schärfen. "Ziel ist es, innerhalb eines Jahres bis Ende 2018 zu einer mutigen und klaren innerparteilichen programmatischen Klärung zu kommen", so Schulz.

Mehr Kapitalismuskritik

Als Themen nennt er Europa, Digitalisierung, Integration und Chancengleichheit. Er macht auch deutlich, dass er stärker auf Kapitalismuskritik setzen will: "Zu lange haben die Sozialdemokraten Europa den Marktradikalen und Konservativen überlassen."

Organisatorisch plant Schulz einige Neuerungen, um die SPD-Mitglieder bei der Stange zu halten. Sie sollen spätestens 2019 den SPD-Chef oder die SPD-Chefin per Urwahl bestimmen. Außerdem will Schulz Onlineplattformen einrichten, damit sich die Mitglieder besser austauschen können.

Lob kommt dafür vom Vorsitzenden des mächtigen SPD-Landesverbandes Nordrhein-Westfalen, Michael Groschek: "Ich persönlich bin immer dafür, das Prinzip ,Basis statt Basta' zu stärken. Denn das Basta hat nicht immer die besten Entscheidungen in den letzten Jahren getroffen."

Parteitag im Dezember

Schulz ist bei der Basis sehr beliebt, beim Parteitag im März wurde er mit 100 Prozent der Stimmen zum SPD-Vorsitzenden und Kanzlerkandidaten gewählt. Er verspricht sich durch diese neuen Maßnahmen auch eine Stärkung seiner eigenen Person. Im Dezember findet in Berlin ein dreitägiger Parteitag statt, der erste nach dem Wahldebakel. Schulz will weitermachen und sagt: "Ich glaube, dass ich dafür auch eine deutliche Mehrheit bekommen werde."

Noch keine Unterstützung für eine Wiederwahl hat SPD-Vize Olaf Scholz signalisiert. Vielmehr drängt der Hamburger Bürgermeister, dem selbst Ambitionen auf den Parteivorsitz nachgesagt werden, auf einen anderen Kurs als Schulz. Er nennt die Ausrichtung auf wirtschaftliches Wachstum "zentrale Voraussetzung" einer fortschrittlichen Agenda. Es müsse gelingen, "Fortschritt und Gerechtigkeit" zu verbinden. Direkt hat er Schulz nicht angegriffen, aber als er unlängst eine "schonungslose Betrachtung der Lage" forderte, bei der es "keine Ausflüchte" geben dürfe, wusste jeder, wen er damit meinte. (Birgit Baumann aus Berlin, 6.11.2017)