Paulus Hochgatterer, Der Tag, an dem mein Großvater ein Held war. Erzählung. 111 Seiten, 18,50 €. Deuticke, Wien 2017.

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Ein Hof in "Niederdonau", offenbar im Umland von Amstetten. Die letzte Phase des Krieges mit seinen Fliegerangriffen, der Untergang der Naziherrschaft mit einigen grauenhaften Fanatikern und den Vielen, die zu überleben trachten. Der Leithner-Bauer, sein Bruder und Knecht Laurenz, die Bäurin, fünf Töchter. Solche Orte, solches Personal kennen wir aus zahlreichen literarischen Werken. Paulus Hochgatterer aber ist ein origineller Erzähler; eine derart interessante Form auf engem Raum ist eine Seltenheit eindringlicher Sprachkunst.

Im Oktober 1944 nimmt die Familie Leithner die dreizehnjährige Nelli auf, deren donauschwäbische Familie im zerbombten Sankt Valentin umgekommen ist. Fünf Monate später sucht eine Gruppe von Städtern auf dem Hof Zuflucht, mit ihnen ein junger Mann. Michail Levjochin, ein aus der Gefangenschaft geflohener Weißrusse, trägt ein eingerolltes Bild mit sich, malt Linien und geometrische Figuren. Er sei ein "Suprematist", sagt er, also eine Art russischer Konstruktivist. Nelli nimmt sich seiner an, gibt ihn als Donauschwaben aus. Dann, nur einige Wochen vor Kriegsende, quartiert sich ein Leutnant mit zwei Gefreiten ein. Die kleine ländliche Welt stellt er barsch unter sein "Endsieg"-Kommando über Leben und Tod – und damit den Bauern und seine Familie vor eine existenzielle Entscheidung.

Geschichte aus einer Umbruchszeit

Dieser Geschichte aus einer Umbruchszeit, die wir nun gut zu kennen meinen, die freilich noch immer einiges im Unklaren birgt, hat Hochgatterer eine bestechende Form verliehen. Trotz ihrer scheinbaren Einfachheit, die – auch im Stil – zum Ort des Geschehens passt, verweigert sie Eindeutigkeit.

Der Tag, an dem mein Großvater ein Held war nennt Hochgatterer seine Erzählung. Der Titel verspricht narrative Glaubwürdigkeit im Rückblick. Der gewiefte Autor weiß allerdings um die Problematik der Vergangenheitsschilderung. Wie Musils Mann ohne Eigenschaften reflektiert: Wohl dem, der sagen kann "als", "ehe" und "nachdem". Hier aber geht das nicht.

Hochgatterer führt zwar zunächst auf dieses Terrain erzählerischer Gewissheit, indem er Nelli aus der Ich-Perspektive im Präsens das Wort gibt. Sie sieht genau hin, sie "mag es, wenn die Dinge auftauchen". Jedoch unterbricht er ihre mit genauen Daten versehenen Darstellungen der Geschehnisse und Zustände, die konzentrierten Beobachtungen von Natur und bäuerlicher Arbeit. Bei ihrer Unmittelbarkeit bleibt es nicht. "Die Geschichte vom nicht ertrunkenen Kind", "Die Geschichte vom nicht erhängten Soldaten", "Die Geschichte vom nicht erschossenen Suprematisten" sind in der Vergangenheitsform und der Draufsicht einer Erzählinstanz geschildert. Dies entspricht dem Diktum von Musil, der es als Anstoß zur Reflexion über das Erzählen nahm. Hochgatterers Überschriften setzen ungewöhnliche Verneinungen, mit ihnen die Möglichkeiten eines glücklichen Ausgangs. Und so trägt das letzte Kapitel den Titel "Die Geschichte vom glücklichen Ende" – das sich allerdings vom literarischen Verfahren in Frage gestellt findet. "So wäre es am ehesten gewesen", lauten die zentralen Sätze.

Deren Pendant in den Nelli-Kapiteln sind die Imaginationen (einige Male: "ich stelle mir vor") und die Unsicherheiten der Dreizehnjährigen. Sie erfassen sogar das erste Identitätssignal, den Vornamen: "Sie sagen, ich heiße Nelli. Manchmal glaube ich es, manchmal nicht."

Schlanker Stil

Dazu passen Motivik – etwa das Katholische und Märtyrerlegenden – sowie der schlanke Stil, der nicht viele Worte braucht, um Ort, Umstände, Geschehen anschaulich zu machen. Ein einfacher Satz erhält in diesen Kriegstagen eine besondere Bedeutung. Dass der einzige Sohn der Bauernfamilie eingerückt ist, vermittelt Hochgatterer zunächst in einer kleinen Nebenbemerkung: "denn Leo ist derzeit nicht da." Auch sein Schicksal braucht keine lange Erklärung, es gleicht dem so vieler junger Männer, die "derzeit" nicht mehr da waren. Der Knecht Laurenz vertraut Nelli an: "Der Briefträger habe ihm wortlos den Umschlag ausgehändigt, und ihre Augen hätten sich sozusagen auf dem Wehrmachtsstempel getroffen." Wortlos! Den Eltern des Gefallenen habe er die Nachricht "nicht erzählt", es gebe "Dinge, die kann man einfach nicht." Geschichten erzählen hingegen die ausgebombten Flüchtlinge aus der Stadt, andeutungsweise von einem Fall der Fliegerlynchjustiz (über die der Historiker Georg Hoffmann kürzlich eine ebenso erhellende wie erschreckende Studie vorgelegt hat), dem dann ein "Geschichte"-Kapitel nachgeht.

Der Ausnahmezustand steht im Motto dieses schmalen Bandes. Er gilt sowohl für die erzählte Zeit, Mitte März bis 1. April 1945, als auch für die Erzählweise selbst. In der ihm eigenen Meisterschaft von Knappheit und Präzision gelingt es Paulus Hochgatterer, zugleich Historisches nahezubringen und der Geschichte seiner Figuren wohltuend irritierend die Ungewissheit der Erinnerung zu verleihen, ohne die Gewissheit zu schmälern, wie inhuman die Zustände damals waren. So lesen wir von Schicksalen und sind bei packender Lektüre zum Nachdenken angehalten. (Klaus Zeyringer, 7.11.2017)