Für erwerbstätige Studierende könnten ab kommenden Wintersemester wieder Studiengebühren anfallen.

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Wien – Im Wintersemester 2018 könnten auch erwerbstätige Studierende, die bis jetzt von den Studiengebühren befreit waren, wieder zur Kasse gebeten werden – und das ganz ohne eine Gesetzesänderung: Das Wissenschaftsministerium lässt die derzeitige Regelung offenbar auslaufen.

Schon im Dezember 2016 hatte der Verfassungsgerichtshof den Paragrafen 92, Absatz 1, Ziffer 5 des Universitätsgesetzes (UG 02) wegen Gleichheitswidrigkeit aufgehoben. Die Gesetzesstelle regelt die Befreiung von den Gebühren wegen Erwerbstätigkeit.

Von Amts wegen behandelte das Höchstgericht den Fall einer Studentin der Uni Wien, die neben ihrem Studium sowohl unselbstständig als auch selbstständig berufstätig war. Sie legte, nachdem sie die vorgesehene Studienzeit überschritten hatte, Beschwerde ein, weil ihr Gebühren vorgeschrieben wurden. Ihr Antrag auf einen Erlass wurde vom Rektorat der Uni Wien abgewiesen, da sie im Jahr keine über der 14-fachen Geringfügigkeitsgrenze (5683,72 Euro pro Jahr) liegenden Gesamteinkünfte nachweisen konnte. Ihr im Steuerbescheid ausgewiesenes Einkommen fiel wegen Sonderausgaben im Bereich der selbstständigen Einkünfte geringer aus.

Fehler im Gesetz

Dies sei ein Fehler im Gesetz, so der Gerichtshof, der in seiner Entscheidung ein Beispiel anführt: Würde ein Student freiberuflich lektorieren und knapp über der Geringfügigkeit einnehmen, am Ende des Jahres aber einen neuen Drucker anschaffen und die Kosten dafür geltend machen, fiele er aus der Regelung. Dies könne nicht im Sinne des Gesetzgebers sein. So sei die Ausnahme vielmehr für jene gedacht, "die neben dem Studium einer Erwerbstätigkeit nachgehen, was zu einer entsprechenden Verlangsamung ihres Studienfortschritts führen kann".

Der VfGH riet daher, das Gesetz, das nach dem Zerbrechen der rot-schwarzen Regierung 2008 von SPÖ, FPÖ und Grünen gegen den Willen der ÖVP beschlossen wurde, bis 30. Juni 2018 zu reparieren. Dann läuft der Paragraf aus, ohne Nachfolgeregelung. Dass die UG-Novelle keine Regelung über den Paragrafen beinhaltet, zeige, dass das Ministerium die Regel auslaufen lassen wollte, heißt es von der Hochschülerschaft (ÖH) in einer E-Mail an alle Studierenden: "Obwohl der Verfassungsgerichtshof eindeutig die Reparatur des Paragrafen empfiehlt."

Auch die Wirtschaftsuniversität Wien geht davon aus, dass ab kommendem Wintersemester Studiengebühren für die Erwerbstätigen anfallen. Ab dann könne der "Erlass des Studienbeitrags aufgrund von Erwerbstätigkeit nicht mehr geltend gemacht werden", heißt es in einem Schreiben. Im Wintersemester 2016 haben an der WU 2170 Studierende die Erwerbstätigkeit als Erlassgrund in Anspruch genommen. Bei der Uni Wien waren es in den vergangenen Jahren durchschnittlich 8500 Personen. Die Einkommensspanne sei groß: von jenen, die knapp über der Geringfügigkeit liegen, bis zu Großverdienern.

Keine Reparatur

Das Wissenschaftsministerium erklärt auf STANDARD-Anfrage, entscheidend sei die Studiendauer, nicht die Erwerbssituation. "Wie bei den sonstigen Studierenden gelten die Studienbeiträge nur für Studierende, die Mindestdauer plus Toleranzzeit überziehen." Das Gesetz sei nicht repariert worden, da man sich nur mit der Studienplatzfinanzierung beschäftigt habe. Ob es noch zu einer Reparatur kommt, entscheide die kommende Bundesregierung. Das VfGH-Erkenntnis gebe der Studienbeitragsregelung aber "einen steuernden Sinn", dass "Langzeitstudierende an Universitäten dadurch ausnahmslos Beiträge zahlen müssen" – egal ob sie erwerbstätig sind oder nicht. "Ob das so bleibt, ob gänzlich neue Regelungen kommen", würde im Zuge der Regierungsverhandlungen nun definiert, heißt es aus dem Büro von Wissenschaftsminister Harald Mahrer (ÖVP).

In der FPÖ will man ebenfalls abwarten. In dem Bereich gebe es "aktuellen Handlungsbedarf", so ein Sprecher. Die Blauen hatten sich im Wahlkampf gegen Studiengebühren für Österreicher mit Matura eingesetzt, dass die ÖVP sich für die Gebühren aussprach, bedeute, dass man einen Kompromiss finden müsse, "der beide zufriedenstellt".

"Einfallstor" für Gebühren

Laut SPÖ betreffe die Regelung rund 25.000 bis 30.000 berufstätige Studierende. "Es kann nicht sein, dass jene Studierenden, die berufstätig sein müssen, um ihr Studium zu finanzieren, bestraft werden", reagiert die rote Wissenschaftssprecherin Andrea Kuntzl. Laut Kuntzl gebe es keine Anzeichen, dass an einer Lösung gearbeitet würde. "Man muss sich fragen, ob die ÖVP diese Bestimmung bewusst auslaufen lassen will und das als mögliches ‚Einfallstor‘ für allgemeine Studiengebühren sieht." (Oona Kroisleitner, 13.11.2017)