"Guten Morgen. Heute geht's weiter" – Kanzlerin Angela Merkel sieht die Verhandlungen nur unterbrochen. Am Freitag wird weiter verhandelt.

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Berlin – Freitagfrüh war erst einmal Schluss – nach etwa 15-stündigen Beratungen: Die Unterhändler von CDU, CSU, FDP und Grünen vertagten in Berlin ihre Sondierungen auf den Mittag. Die Frist für einen Abschluss wollen sie notfalls bis Sonntag ausweiten. "Es geht weiter. Das ganze Wochenende, davon gehen wir mal aus", sagte Unionsfraktionschef Volker Kauder.

"Es gibt keine Alternative", so ORF-Korrespondentin Birgit Schwarz aus Berlin – jede dieser vier Parteien habe auch viel zu verlieren. (Sendung "ZiB 13")
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FDP-Chef Christian Lindner betonte, dass ein Bündnis der vier unterschiedlichen Parteien zustande kommen könnte. Ein solches "historisches Projekt darf nicht an ein paar Stunden, die fehlen, scheitern", sagte er. Die Unterhändler hätten in vielen Bereichen Gemeinsamkeiten festgestellt. Allerdings gebe es noch unterschiedliche Auffassungen besonders in der Migrations- und Finanzpolitik. FDP-Vize Wolfgang Kubicki zeigte sich dagegen enttäuscht, es sei kein Vertrauen aufgebaut worden.

"Ab in die Verlängerung"

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte nach Ende der Gespräche nur: "Guten Morgen. Heute geht's weiter." Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) betonte, wenn alle ernsthaft wollten, könne das etwas werden. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) sagte, man müsse jede Chance nützen, zu einem Verhandlungsergebnis zu kommen. Das gebiete die Verantwortung für das Land. "Es gab bei vielen Themen ein Verstehen, aber keine Kompromisse. Das ist das Traurige."

CDU-Generalsekretär Peter Tauber erklärte, man glaube nach wie vor, dass es sich lohne, eine gute Lösung für das Land zu finden. Grünen-Chef Cem Özdemir sagte: "Wir gehen in die Verlängerung." Wie lange diese dauern werde, "hängt auch vom Schiedsrichter ab", meinte er, ohne den Namen Merkel zu nennen. "Entscheidend ist das Ergebnis.".

Differenzen bei Klimaschutz

Donnerstagabend waren die Sondierungen wegen massiver Differenzen beim Klimaschutz, dem Familiennachzug von Flüchtlingen, dem Abbau des Solidaritätszuschlags und letztlich wieder bei den Finanzen ins Stocken geraten. Daraufhin bemühten sich die Verhandlungsführer in Einzelgesprächen, wieder Bewegung hineinzubringen. So habe CSU-Chef Horst Seehofer nicht nur mit Merkel und dem hessischen Regierungschef Volker Bouffier (CDU) gesprochen, sondern auch mit dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne).

Knackpunkt Familiennachzug

Seehofer bezeichnet den Familiennachzug als zentralen Knackpunkt. Die CSU pocht auf eine weitere Aussetzung des Familiennachzugs für Menschen mit eingeschränktem Schutz über März 2018 hinaus, die Grünen halten das für untragbar. Hier gehe es um hunderttausende Personen, sagte Seehofer, der ohne Zeitlimit für ein Bündnis kämpfen will. "Deshalb können wir einer Lösung, die eine Ausweitung der Zuwanderung zum Ergebnis hat, nicht zustimmen."

Seehofer warf einzelnen Grünen-Politikern vor, mit "bewusst in die Öffentlichkeit getragenen Thesen" über angebliche Machtkämpfe in der CSU das Gesprächsklima zu belasten. "Das sind alles Falschbehauptungen. Wir brauchen nicht die Falschbehauptungen aus Moskau zurückdrängen, sondern es müssen sich manche wie die Grünen fragen, warum sie solche Falschbehauptungen in die Welt setzen", sagte Seehofer, der parteiintern stark unter Druck steht.

Reduzierung der Kohlestromproduktion

Die Grünen deuteten an, Merkels Angebot bei Klimaschutz und Kohleausstieg als ersten Schritt zu werten, der annehmbar sei, wenn sich die CSU in der Flüchtlingsfrage bewege. Merkel hatte eine Reduzierung der Kohlestromproduktion um sieben Gigawatt angeboten. Union und FDP hatten ursprünglich nur drei bis fünf Gigawatt zugestehen wollen, die Grünen wollten acht bis zehn Gigawatt. Dem Vernehmen nach soll es dabei um Strom aus Braunkohle gehen. Die Produktion sollte allerdings im Einvernehmen mit den Kraftwerksbetreibern reduziert werden.

Die Grünen kündigten schon vor Beginn der entscheidenden Runde an, auf ihre bisherige Forderung nach einer höheren Dieselsteuer zu verzichten. Das erfordere aber Gegenleistungen der anderen Parteien. Fraktionschef Anton Hofreiter zählte dazu unter anderem strengere Regeln für den Kohlendioxidausstoß, ein Bonus-Malus-System bei der Kfz-Steuer als Kaufanreiz für emissionsarme Autos und wirksame Lösungen für die Luftreinhaltung in den Städten.

Streit um Soli

Den Angaben zufolge haben die Verhandlungsführer um Merkel auch lange mit dem geschäftsführenden Finanzminister Altmaier über die Finanzierung verschiedener Projekte beraten. Zum Solidaritätszuschlag, der entscheidend für den finanziellen Spielraum der künftigen Regierung ist, hieß es in einem Verhandlungspapier: "Der Solidaritätszuschlag wird schrittweise abgebaut." Allerdings waren die Details der vorgesehenen drei Stufen weiter umstritten.

Die FDP will sich beim Abbau des Solidaritätszuschlags nicht mit einem abgespeckten Kompromissangebot von Union und Grünen zufriedengeben. Der Vorschlag, ihn in der Periode bis 2021 um acht bis zwölf Milliarden Euro abzubauen, sei zu wenig, erfuhr die Deutsche Presse-Agentur am Freitag aus FDP-Verhandlerkreisen. "Das reicht uns nicht", hieß es. Die FDP pocht auf einen vollständigen Wegfall des Zuschlags zur Einkommensteuer von derzeit 5,5 Prozent. Damit müsste der Bund auf Steuereinnahmen von gut 20 Milliarden Euro verzichten. Union und Grüne verlangen von der FDP Vorschläge für eine Gegenfinanzierung, weil sonst Spielräume für andere Jamaika-Projekte zu klein würden.

Die Verhandlungsgruppen gingen mit einem 61 Seiten starken Einigungsentwurf in die Gespräche. In dessen Präambel heißt es: "Uns eint die Verantwortung für die Menschen und die Zukunft unseres Landes." Das Wahlergebnis habe die vier Parteien vor die Aufgabe gestellt, eine handlungsfähige und erfolgreiche Bundesregierung zu bilden. "Wir wollen aus unterschiedlichen Auffassungen neue und überzeugende Antworten gewinnen."

Schulz befürchtet "Paralyse"

Der deutsche SPD-Chef Martin Schulz hat davor gewarnt, dass eine mögliche Jamaika-Koalition unter Führung von Merkel Europa schweren Schaden zufügen wird. Es gebe dramatische Widersprüche in der Europa-Politik von CDU, CSU, FDP und Grünen, sagte der frühere EU-Parlamentspräsident in Berlin zu den Sondierungsgesprächen.

Die sich abzeichnende Koalition – von Schulz stets als "Schwampel" (schwarze Ampel) bezeichnet – werde Europa nicht voranbringen. "Es ist zu befürchten, dass die Bundesrepublik in der EU keine Rolle mehr spielen wird, weil sie nicht handlungsfähig ist", so Schulz weiter. Deutschland werde als Partner des mutigen französischen Präsidenten Emmanuel Macron ausfallen. Das schwarz-gelb-grüne Bündnis dürfte im permanenten gegenseitigen Misstrauen vereint sein. So würde das größte EU-Mitgliedsland zur "Paralyse Europas" beitragen. Die SPD hat wiederholt erklärt, dass sie im Falle eines Scheiterns der Sondierungen von CDU, CSU, FDP und Grünen nicht als Alternative für eine neue Große Koalition zur Verfügung stünden. (APA, red, 17.11.2017)