Bundespräsident Steinmeier kurz vor seiner Rede in seinem Amtssitz in Berlin.

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Zuvor hatte er mit der geschäftsführenden Bundeskanzlerin Angela Merkel ein Gespräch geführt.

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Schloss am Montag eine Neuauflage einer Koalition mit der Union zusammen mit seiner Partei SPD heute aus: Martin Schulz.

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FDP-Chef Christian Lindner nach der Ankündigung, sich aus den Jamaika-Gesprächen zurückzuziehen.

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Bundeskanzlerin Angela Merkel will wieder als Kanzlerkandidatin der CDU antreten.

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Berlin – Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel strebt nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungsgespräche vorgezogene Neuwahlen an. Neuwahlen wären ein besserer Weg als eine Minderheitsregierung, sagte Merkel am Montag im deutschen Fernsehen. Sie bekräftigte, dass sie bei den Wahlen wieder als Kanzlerkandidatin der Union antreten wolle.

Einen Vorstoß zur Bildung einer großen Koalition mit den Sozialdemokraten schloss sie aus. Sie wolle entsprechende Gespräche zunächst Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier überlassen. Der frühere SPD-Außenminister hatte die Parteien zuvor aufgerufen, eine Regierung zu bilden. Auf die Frage, ob bei ihr am Sonntagabend persönliche Konsequenzen und ein Rücktritt im Raum standen, sagte die CDU-Chefin am Montag in Berlin in der ZDF-Sendung "Was nun, Frau Merkel?": "Nein, das stand nicht im Raum. Ich glaube, Deutschland braucht nun Stabilität."

CSU-Chef Horst Seehofer hat ihre Ankündigung begrüßt. Merkel habe in den vergangenen Wochen die Positionen der CSU zuverlässig unterstützt, auch in der Zuwanderungsfrage, sagte Seehofer am Montagabend in München. "Daher hat sie meine und unsere Unterstützung."

Bundespräsident Steinmeier gegen Neuwahlen

Der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier steht Neuwahlen aber skeptisch gegenüber. Er hat die Parteien an ihre Verantwortung zur Regierungsbildung erinnert. Diese könne nicht einfach an die Wähler zurückgegeben werden, sagte Steinmeier am Montag in Berlin. Er erwarte von allen Gesprächsbereitschaft, um eine Regierungsbildung möglich zu machen. Steinmeier kündigte an, sich mit den Parteien entsprechend auszutauschen.

Alle Parteien sollten ihre Haltung überdenken, so Steinmeier. "Wer sich in Wahlen um politische Verantwortung bewirbt, der darf sich nicht drücken, wenn man sie in den Händen hält", sagte er nach einem Treffen mit Kanzlerin Merkel in seinem Amtssitz Schloss Bellevue in Berlin.

Die Sondierungen für eine Jamaika-Koalition aus CDU, CSU, FDP und Grünen waren in der Nacht auf Montag gescheitert. FDP-Chef Christian Lindner hatte den Abbruch mit den Worten verkündet, seine Partei wolle lieber nicht regieren als falsch.

Dafür erntete die FDP lautstarke Kritik ein. Grünen-Unterhändler Jürgen Trittin kritisierte den Schritt der FDP etwa so: "In meinen Augen hat sie (die FDP, Anm.) gestern Abend aus Angst vor dem Tod in der Regierung Selbstmord begangen – sie hat Inhalte für das Scheitern geopfert."

Lindner verteidigt Jamaika-Aus

Lindner verteidigte den Abbruch. Eine Regierung aus so unterschiedlichen Parteien brauche gemeinsame Überzeugungen. "Und wo war denn die Jamaika-Idee der letzten 50 Tage?", fragte Lindner am Montag in Berlin. "Wir haben viele Kompromisse gemacht. Es gibt aber auch einen Kern von Grundüberzeugungen." Der Eintritt in eine Regierung hätte den Wählerauftrag zu einem Politikwechsel verfälscht. Es habe zwischen den Partnern einfach auch an Vertrauen gemangelt, sagte Lindner.

Auch FDP-Vize Wolfgang Kubicki sagte am Montag in Berlin: "Nichts wäre schlimmer, als eine Beziehung einzugehen, von der man weiß, dass sie in drei Monaten oder vier Monaten oder einem halben Jahr zu einer schmutzigen Scheidung führen würde."

Am Sonntagabend habe es im gemeinsamen Textentwurf noch 237 strittige Passagen gegeben, sagte Lindner. In der für die Liberalen so wichtigen Frage des Abbaus des Solidaritätszuschlags habe am Ende beispielsweise ein Kompromissvorschlag auf dem Tisch gelegen, der dem Wahlprogramm der CDU entsprochen habe.

SPD gegen große Koalition, für Neuwahlen

Bundespräsident Steinmeier wird in den kommenden Tagen also Gespräche mit den Vorsitzenden aller an den bisherigen Sondierungen beteiligten Parteien führen. Er werde aber auch Gespräche führen "mit den Vorsitzenden von Parteien, bei denen programmatische Schnittmengen eine Regierungsbildung nicht ausschließen". Und damit appellierte er an die SPD.

Die SPD hatte zuvor allerdings erklärt, sie stehe für eine große Koalition nach wie vor nicht zur Verfügung. Die Wähler sollten die Lage nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen neu bewerten können, sagte Schulz am Montag in Berlin und fügte hinzu: "Wir scheuen Neuwahlen nicht."

Damit bliebe für die geschäftsführende Kanzlerin Merkel nur noch die Möglichkeit einer Minderheitsregierung – eine Option, über die sie "nur sehr ungerne nachdenkt", wie sie sagte.

Minderheitsregierung unwahrscheinlich

Eine Minderheitsregierung der Union mit Grünen oder der FDP gilt als sehr unwahrscheinlich. Die CSU steht dieser Möglichkeit skeptisch gegenüber. In der CSU-Spitze gelten Neuwahlen demnach als die wahrscheinlichste Variante.

FDP-Chef Lindner wiederum legte sich zunächst nicht fest, ob seine Partei für eine Minderheitsregierung in Deutschland bereitstehen würde. Er halte es für "vermessen", angesichts der Ereignisse der vergangenen Tage und der Situation am Montag "in solche Spekulationen einzutreten".

AfD bietet sich als Mehrheitsbeschaffer an

Die Alternative für Deutschland (AfD) hat sich unterdessen den bürgerlichen Parteien als Mehrheitsbeschafferin angeboten. Sie könne sich vorstellen, eine Minderheitsregierung von Union und FDP zu tolerieren, sagte Vorstandsmitglied André Poggenburg am Montag in Berlin. Voraussetzung sei aber, dass diese Regierung nicht unter der Führung einer CDU-Vorsitzenden Angela Merkel steht", fügte Poggenburg hinzu.

Die AfD wird aber von den anderen vier Fraktionen im Bundestag boykottiert. Union und FDP haben ebenso wie SPD, Grüne und Linke jede Zusammenarbeit mit der AfD ausgeschlossen.

CSU-Chef Seehofer massiv unter Druck

In den vergangenen Wochen ist jedenfalls der Druck auf CSU-Chef Seehofer enorm gewachsen, auch Rücktrittsforderungen waren zu hören. Am kommenden Donnerstag will er seine Zukunftspläne bekanntgeben: "Ich habe ja gesagt: Wenn die Jamaika-Sondierungen zu Ende sind, werde ich klare Antworten geben. Und eine klare Antwort wird in der Parteivorstandssitzung an diesem Donnerstag erfolgen", sagte Seehofer am Montag in München.

Sorge in der EU

Das Scheitern der Sondierungsgespräche in Berlin löst auch in europäischen Hauptstädten Besorgnis aus. Während die Niederlande von einer schlechten Nachricht sprechen, bangt der französische Präsident Emmanuel Macron um einen verlässlichen Verbündeten. "Im Sinne Deutschlands und Europas wollen wir, dass unser wichtigster Partner stark und stabil ist, damit wir die Dinge gemeinsam voranbringen können", erklärte das Präsidialamt in Paris am Montag. (red, Reuters, dpa, 20.11.2017)