Johannesburg/Wien – Seit Monaten treten sie immer wieder öffentlich auf, mittlerweile haben sie auch einen provokanten Hashtag gefunden. #BlackMonday heißt das Kennwort, unter dem weiße Farmer Südafrikas auf eine Gewaltwelle aufmerksam machen, die sie als rassistisch motivierte Angriffe gegen ihre Familien interpretieren. Schon 72 Menschen seien 2017 mit Stichtag 26. November bei teilweise bestialischen Gewaltakten umgebracht worden, die die Aktivisten als "Farm-Morde" klassifizieren. Mit weißen Holzkreuzen und Pick-ups machen die Farmer auf ihre Sache aufmerksam und darauf, dass die Polizei sich zu wenig für ihre Sicherheit einsetze. Nur wenige Schwarze sind bei den Protesten zu finden – dafür immer wieder Demonstranten mit der orange-weiß-blauen Flagge des Apartheid-Staates, der bis 1994 die Rassentrennung in Südafrika gesetzlich festlegte.

Mit weißen Kreuzen demonstrieren Farmer in Südafrika. Sie machen auf eine Mordwelle im ländlichen Raum aufmerksam, die sie als rassistisch motiviert betrachten.
Foto: APA / AFP / Gulshan Khan

Die Organisatoren der Proteste wehren sich zwar nach eigenem Bekunden gegen Instrumentalisierung, die "alte Flagge" ist bei vielen Protesten unerwünscht. Rechtsgerichtete Gruppen haben das Thema trotzdem weit über das Land und den Kontinent hinaus für sich entdeckt. Die US-Seite Breitbart, Organ des rechten US-Randes, berichtete etwa jüngst in grellen Tönen von den Morden und ließ dabei auch Vertreter rassistischer Gruppen zu Wort kommen. In sozialen Medien ist gar von einem drohenden "Genozid an den Weißen" zu lesen. Auch hier tut sich ein prominenter US-Rechter besonders hervor: Mike Cernovic, ein bekannter Fürsprecher von Präsident Donald Trump, der auf seinem Twitter-Feed auch offen rassistische Botschaften verbreitet. Aber auch jene unter den angesehenen Zeitungen Südafrikas, die im vor allem von Weißen gesprochenen Afrikaans erscheinen, berichten seit Wochen in großen Lettern über das Thema.

Die "Regenbogennation" im Kleinen

Jene südafrikanischen Qualitätsblätter, die in englischer Sprache erscheinen, bringen die Berichte meist kleiner. Sie beeilen sich, darauf hinzuweisen, wie sehr alle Südafrikaner von der Gewaltwelle im Land betroffen seien und dass die Farmer vor allem deshalb zum Ziel würden, weil ihre Angreifer sie für reich hielten. Viele Politiker des regierenden Afrikanischen Nationalkongress ANC tun sich schwer damit, die Gewalttaten zu benennen und als solche zu verurteilen. Und nicht nur an den Rändern der einstigen schwarzen Befreiungsbewegung finden sich auch jene, die mit kaum verhehlter Zustimmung zur Gewalt Stimmung für sich zu machen versuchen.

Bei den Demonstrationen waren nur wenige Schwarze vertreten.
Foto: APA / AFP / David Harrison

Wenn man nach einem Beispiel suchen wollte, um die Probleme Südafrikas mehr als zwei Jahrzehnte nach dem Fall der Apartheid darzustellen: Es wäre schwer, ein besseres zu finden als die Demonstrationen gegen die "Farm-Morde". In ihnen kristallisieren sich sowohl die Reste des Apartheid-Systems und kolonialistischen Denkens als auch viele Elemente der aktuellen brutalisierten Gesellschaft. Es geht um Misstrauen und Hass zwischen Weißen und Schwarzen, die in vielen Fällen die Nöte der jeweils anderen nur schwer anerkennen können. Und es geht um das Ausmaß von Gewalt und Kriminalität, die sich im Land endemisch ausbreiten und die Folgen der riesigen wirtschaftlichen Ungleichheit sind.

Statistische Dehnbarkeiten

Vor allem aber ist das Problem auch statistisch schwer zu fassen. Es eignet sich daher besonders gut dafür, jene Zahlen zu präsentieren, die zur eigenen politischen Interpretation passen: Klar scheint, dass sich die Fälle in letzter Zeit wieder gehäuft haben und dass sie zum Teil wesentlich brutaler ausfallen, als dies für einen "gewöhnlichen" Raubmord nötig wäre.

Dass unter diesen Morden auch solche sind, die rassistisch motiviert sind, ist daher sehr wahrscheinlich. Allerdings sind die absoluten Zahlen nur im Verhältnis zu den vergangenen Jahren gestiegen. Im Vergleich zu den 1990er-Jahren liegen sie immer noch bei nur rund 50 Prozent der damals registrierten Werte.

Schwarze junge Männer am meisten gefährdet

Insgesamt wurden in Südafrika zuletzt 19.000 Morde pro Jahr verzeichnet. Das entspricht mit rund 34 von 100.000 Einwohnern einem der höchsten Werte der Welt. (In Österreich, dem elftsichersten Staat der Erde, waren es 0,5). Aktivisten aufseiten der weißen Farmer präsentieren Rechnungen, die einen Wert von 93 bis 150 Morden pro 100.000 Farmbesitzer hochrechnen. Diese Zahlen sind sehr umstritten. Mehrere Fact-Checking-Seiten sind zu dem Ergebnis gekommen, dass sie nicht die volle Wahrheit abbilden, weil die Gesamtzahl der Farmer unterschätzt oder jene der Opfer zu hoch angesetzt wird. Relativ unbestritten ist aber, dass die Rate der "Farm-Morde" noch über der durchschnittlichen Mordrate in Südafrika liegt.

Die genaue Mordrate ist umstritten – klar scheint aber, dass die Zahl der tödlichen Überfälle auf Farmer wieder zunimmt.
Foto: APA / AFP / David Harrison

Diese Zahl betrifft allerdings alle Morde, die im Umfeld von Farmen passieren. Nicht alle der Opfer sind Farmbesitzer oder weiß. Und Statistiker weisen auch darauf hin, dass es Gruppen gibt, die noch gefährdeter sind: Jene Bevölkerungsschicht, die mit der größten Wahrscheinlichkeit Opfer eines Mordes wird, sind demnach noch immer junge, schwarze Männer. Sie sind auch von anderen Risikofaktoren, die mit Armut, mangelnder Ausbildung und fehlender medizinischer Versorgung einhergehen, überdurchschnittlich betroffen.

Im Trubel um die Farm-Morde geht vieles an Differenzierung verloren. Das betrifft die Opfer sowie die Täter. Zwar gibt es unter den Farmern tatsächlich eine beträchtliche Schicht, die der Apartheid nachtrauert und ihre Angestellten unfair behandelt. Viele distanzieren sich aber auch davon. Und bei weitern nicht alle Großbetriebe sind noch immer in der Hand Weißer. Auch schwarze Farmer werden gehäuft zum Opfer von Gewaltverbrechen, was das Argument eines geplanten "Genozids an den Weißen" stark entkräftet. Genaue Zahlen gibt es nicht, denn Südafrikas Polizeistatistik unterscheidet Opfer nicht nach Hautfarbe.

Motive unsicher

Stattdessen scheint denkbar, dass viele wegen ihres ökonomischen Erfolgs zum Ziel werden oder deshalb, weil sie sich in den Augen der Angreifer nur in ihrer Hautfarbe, nicht aber im Verhalten von ihren weißen Kollegen unterscheiden. Als mögliche Motive für die Wut werden häufig Fälle genannt, in denen Farmarbeiter Teile ihres Gehalts in Naturalien erhalten, weil ihre Arbeitgeber ihnen keinen verantwortlichen Umgang mit dem Geld zutrauen – eine Bevormundung, durch die sich nicht nur die Betroffenen an den Kolonialismus erinnert sehen. Die Polizei geht sowohl in ihren öffentlichen Statements (hier als .pdf) als auch in privaten Befragungen durch Menschenrechtler davon aus, dass in der großen Mehrheit der Fälle nicht Hass, sondern ein Raubversuch Hintergrund der Gewalttaten war.

Aber auch gegen diese ökonomischen Argumente gibt es Indizien: Wie der Statistiker Johan Burger jüngst Al-Jazeera erklärte, werden nämlich auch schwarze Farmarbeiter häufig Opfer von Gewalttaten. Sie machen bis zu 30 Prozent jener Mordfälle aus, die als "Farm-Morde" in den Statistiken aufscheinen und dort einen angeblichen "Genozid an den Weißen" belegen sollen.

Insgesamt sind zwar die meisten der Opfer von den Gewalttaten auf Farmen tatsächlich weiß. Das entspricht allerdings auch der Wahrscheinlichkeit: Denn obwohl Weiße nur rund neun Prozent der Bevölkerung ausmachen, besitzen sie in direkter Folge des Apartheid-Staates noch immer rund 73 Prozent des Ackerlandes.

Linkspolitiker Julius Malema spielt immer wieder auch mit Ressentiments gegen die Farmer.
Foto: APA / AFP / Gulshan Khan

Viele Politiker des ANC, die diesen Umstand jahrzehntelang kritisiert hatten, tun sich wohl auch deshalb schwer damit, mit dem Problem der "Farm-Morde" umzugehen. In anderen Fällen ist ein opportunistischeres Motiv aber nur schwer auszuschließen: Seit dem Erfolg der linken panafrikanischen Gruppe Economic Freedom Fighters (EFF) bei den jüngsten Wahlen ahnen manche, dass mit Ressentiments Stimmen zu gewinnen sind. EFF-Chef Julius Malema bezeichnet die Zwangsenteignung von Farmen nach dem Vorbild Simbabwes als "visionär" und landete 2010 vor Gericht, weil er das (verbotene) Hetzlied "Shoot the Boer" ("Erschießt die Buren") angestimmt hatte. Dieses bezieht sich auf die Ermordung weißer Farmer. (Manuel Escher, 27.11.2017)