Raynald Aeschlimann ist heiser, aber glücklich. Vor wenigen Stunden hat der Omega-Präsident gemeinsam mit seinem Boss, Swatch Group-Chef Nick Hayek, und dem Star-Architekten Shigeru Ban ein rotes Band durchgeschnitten: Die neue Omega-Fabrik in Biel, wo sich der Hauptsitz des Unternehmens und quasi das Epizentrum der Schweizer Uhrenindustrie befindet, ist damit auch offiziell eröffnet. Die letzten Führungen mit den Ehrengästen und Journalisten aus aller Welt sind absolviert, die Interviewfragen beantwortet, jetzt kann er endlich loslegen.

Drei Jahre wurde an dem ultramodernen Gebäude gebaut. 150 Mio. Franken (ca. 129 Mio. Euro) wurden in den Holzrahmenbau investiert.
Foto: Omega

Eine "Musterfabrik"

Denn seit Aeschlimann mit 46 Jahren den Posten von seinem Vorgänger Stephen Urquhart übernommen hat, hat er diesen Moment herbeigesehnt. Nun hat er den Platz und die Möglichkeiten, die Marke Omega, das heißeste Pferd im Stall der Swatch Group, zu einer neuen Blüte zu führen. Drei Jahre wurde an dem ultramodernen Gebäude gebaut. 150 Mio. Franken (ca. 129 Mio. Euro) wurden investiert. Der auf Energieeffizienz ausgelegte Holzrahmenbau, zur Gänze aus Schweizer Fichtenholz und Beton, trägt die Handschrift des Pritzker-Preisträgers Shigeru Ban. Der helle Kasten erstreckt sich auf 70 Meter Länge, ist 30 Meter breit und 30 Meter hoch. Eine "Musterfabrik" werde es sein, sagt Raynald Aeschlimann.

Laut dem japanischen Stararchitekten Shigeru Ban ist der gesamte Komplex die größte Holzkonstruktion der Welt.
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Roboter am Fließband

Im Inneren kommen menschliche Fachkenntnis und Hightech zusammen. Ein vollautomatisiertes Lagersystem, drei Stockwerke hoch, umfasst mehr als 30.000 Kisten mit allen Teilen, die man für die Uhrenproduktion benötigt. Besucher können das Lagersystem und die Roboterarme durch eigens eingebaute Fenster live bei der Arbeit beobachten. (Notiz am Rande: Dass Besucher Zutritt erhalten sollen, ist ein Novum in der sonst so verschwiegenen Schweizer Uhrenindustrie – und bestimmt ein nützliches Marketinginstrument.) Roboterarme übernehmen auch für Menschen monotone und zeitaufwendige Aufgaben: Sie messen, fotografieren, verlagern, drehen und ziehen die Uhren automatisch auf. Sie ermöglichen eine durchgängige und gleichbleibende Produktion: ein Fließband, das niemals aus dem Takt gerät.

Roboterarme übernehmen auch für Menschen monotone und zeitaufwendige Aufgaben: Sie messen, fotografieren, verlagern, drehen und ziehen die Uhren automatisch auf.
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Gewaltiger Abstand

Die rund 300 Mitarbeiter an diesem Standort (800 Mitarbeiter sind es bei Omega insgesamt) können sich daher ganz auf die Prüfergebnisse und die Einstellung der Uhr konzentrieren. Papier wurde aus den staubfreien Räumen der Fabrik verbannt und durch Tablets ersetzt.

Seit 135 Jahren produziert Omega in Biel. Nun schickt sich die Marke an, dem großen Konkurrenten Rolex, ebenfalls in Biel ansässig, den Rang abzulaufen. Noch scheint der Abstand gewaltig: Rolex liegt mit einem geschätzten Jahresumsatz von 4,7 Mrd. Franken (rund 4 Mrd. Euro, 2016) noch weit vor Omega, der zweitstärksten Uhrenmarke der Schweiz, mit einem Jahresumsatz von geschätzten 1,9 Mrd. Franken (1,6 Mrd. Euro, 2016). Dennoch: "Wir wollen Rolex als Nummer eins ablösen", schwört Aeschlimann das Unternehmen auf das Primärziel ein.

300 Mitarbeiter sind an diesem Standort tätig.
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Masterchronometer

Seit einigen Jahren liefern sich die beiden Marken ein imageträchtiges Duell, wer die präziseste mechanische Uhr im Portfolio hat. Der wichtigste Pfeil im Köcher von Omega sind Zeitmesser mit Masterchronometer-Werk, inklusive entsprechender, unabhängiger Zertifizierung. Die ersten Uhren mit diesem hochpräzisen Werk kamen vor vier Jahren auf den Markt. In den kommenden drei Jahren sollen alle Zeitmesser mit diesem Werk ausgestattet werden. Ein jährlicher Output von 400.000 Stück Masterchronometer-Zeitmesser strebt der ehrgeizige Omega-Direktor zunächst an. 700.000 Stück könnte die neue Fabrik bei Vollauslastung herstellen, sagt Aeschlimann.

Teil der neuen Fabrik ist ein automatisiertes, drei Stockwerke hohes Lagersystem.
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Vorsichtige Expansion

Ein Szenario, das möglicherweise bald eintreten könnte? "Die Nachfrage ist tatsächlich so hoch, dass wir momentan auch am Samstag produzieren", sagt er. Das scheint auch notwendig zu sein, denn Nick Hayek meinte jüngst gegenüber der "NZZ am Sonntag": "Omega liegt mit 70.000 Bestellungen im Rückstand." Die Marke werde heuer im zweistelligen Prozentbereich wachsen, fügt Aeschlimann an. Grund dafür sei die steigende Nachfrage in China. Dennoch sei er vorsichtig.

Die Uhren durchlaufen in der Fabrik zahlreiche Härtetests.
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Online-Stores kommen

Das sei ihm auch geraten: Wie sich gezeigt hat, haben sich einige Marken, die sich ganz auf den asiatischen Markt ausgerichtet haben, ordentlich die Finger verbrannt. "Wir werden uns genau anschauen, in welche chinesischen Städte wir gehen", sagt er daher und verweist auf eine heilsame Schrumpfkur in den vergangenen Krisenjahren, die die gesamte Branche in Bedrängnis brachten: Von rund 7.000 Verkaufsstellen weltweit habe man 3.000 geschlossen. Während man stationär reduziert, geht man anderswo in die Offensive: Zwei Wochen nach Eröffnung der neuen Fabrik lancierte die Marke ihren ersten Online-Store in den USA. Weitere sollen folgen. (Markus Böhm, RONDO, 28.12.2017)

Raynald Aeschlimann leitet seit 2016 Omega, die umsatzstärkste Marke der Swatch Group.
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