Ex-General Slobodan Praljak (rechts) und der frühere politische Chef der bosnischen Kroaten, Jadranko Prlić (links), vor der Urteilsverkündung.

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Sarajevo / Den Haag – Er wollte sich offensichtlich als Justizopfer und Märtyrer stilisieren und folgte damit der weitverbreiteten Ansicht unter Kroaten in Kroatien und Bosnien-Herzegowina, dass das Haager UN-Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien ein "politisches Gericht" sei. Nachdem die Urteile gegen sechs bosnische Kroaten am Mittwoch bestätigt worden waren, nahm einer von ihnen, der frühere General Slobodan Praljak, einen Schluck aus einer kleinen braunen Flasche und erklärte, er werde das Urteil nicht akzeptieren und habe sich soeben vergiftet.

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Kurze Zeit später starb Praljak in einem Spital in Den Haag. Das Urteil konnte zunächst von den Richtern nicht fertig verlesen werden – erst später wurde die Verkündung fortgesetzt. Auf einer symbolischen Ebene zeigt Praljaks Verhalten, wie wenig Einsicht, Selbstkritik und Anerkennung der Fakten bei vielen Südosteuropäern vorhanden ist, wenn es um die Kriege in Kroatien, Bosnien-Herzegowina und dem Kosovo geht.

Cuno Tarfusser, Richter am Internationalen Strafgerichtshof (ICC), sprach gegenüber der italienischen Nachrichtenagentur Ansa nach der Selbsttötung von Praljak von "gravierenden, kaum vorstellbaren Sicherheitslücken". Im Gefängnis des UN-Tribunals (das auch vom ICC genutzt wird) müssten nun die Sicherheitsvorkehrungen weiter verschärft werden.

Zu 20 Jahren Haft verurteilt

Praljak war jener Mann, der im November 1993 den Befehl gab, die weltberühmte osmanische Brücke in Mostar zu sprengen. Der 72-Jährige, der zu 20 Jahren Haft verurteilt wurde, war sowohl im kroatischen Verteidigungsministerium tätig als auch Kommandant der bosnisch-kroatischen Armee (HVO).

Die Sprengung der Brücke von Mostar
Vittorio Vida

Das Gericht urteilte, dass Praljak gewusst hatte, dass die muslimische Bevölkerung in Prozor gefangen genommen wurde, dass es in Mostar zu Morden durch die HVO kam und Moscheen zerstört wurden. Er habe keinerlei "ernsthafte Bemühungen" unternommen, diese Verbrechen der HVO zu verhindern, sondern Morde an Muslimen sogar begünstigt.

Das Berufungsurteil ist historisch aber vor allem deshalb wichtig, weil damit die Einmischung der kroatischen Führung, etwa des verstorbenen Präsidenten Franjo Tuđman, in den Krieg im Nachbarland Bosnien-Herzegowina bestätigt wurde. So waren bis Jänner 1994 etwa 3.000 Soldaten der kroatischen Armee in Bosnien-Herzegowina stationiert, wie die Uno damals schätzte.

Lob für Praljak von Kroatiens Präsidentin

Für Kroatien sei das Urteil "inakzeptabel", sagte Regierungschef Andrej Plenkovic und kündigte an, alle rechtlichen und politischen Instrumente zu prüfen, um Teile des Urteils anzufechten. "Die Staatsspitze konnte auf keine Weise mit den Fakten und Interpretationen, wie sie in dem Urteil von 2013 aufgeführt werden, verbunden gewesen sein", so Plenkovic.

Das offizielle Kroatien behauptet bis heute, keine Partei im Krieg in Bosnien-Herzegowina gewesen zu sein. Gleichzeitig meinte jedoch die kroatische Präsidentin Kolinda Grabar-Kitarović nun vor dem Urteil, sie hoffe, dass die bosnischen Kroaten freigesprochen würden. Grabar-Kitarović lobte bei der Präsentation eines Buches über ihn sogar Praljaks Rolle und dessen "Errungenschaften" im Krieg.

Praljak und fünf weitere politisch und militärisch Verantwortliche wurden wegen Mordes, Deportationen, Vergewaltigung, Zerstörung von Eigentum, Städten und Dörfern, Plünderung und anderer schwerer Verbrechen zwischen April 1993 und April 1994 verurteilt. Der Hintergrund: Ende 1992 verschärfte sich der Konflikt zwischen der HVO und der Armee Bosnien-Herzegowinas, die mehrheitlich aus Muslimen bestand. Die HVO – Praljak war Chef des Generalstabs – griff zahlreiche muslimische Orte an, Häuser wurden niedergebrannt, Menschen erschossen.

Schaffung "Großkroatiens" als Ziel

Es ging letztlich darum, einen Teil Bosnien-Herzegowinas ethnisch zu säubern, damit dieser an Kroatien angeschlossen werde, um ein "Großkroatien" zu schaffen. Dort sollten nur noch Menschen katholischen Namens leben, Bosnier mit muslimischen oder orthodoxen Namen sollten "verschwinden". Genannt wurde diese Region Herceg-Bosna. Tuđman selbst hatte sich immer wieder für die Aufteilung Bosnien-Herzegowinas zwischen Serbien und Kroatien ausgesprochen.

Der Prozess war der einzige, bei dem es um die direkte Verantwortung Kroatiens für Verbrechen gegen Muslime im Nachbarland ging. Von Zagreb aus wurde er deshalb mit Argusaugen beobachtet. In dem Verfahren wurde bewiesen, dass die Regierung unter Tuđman nicht nur direkt in den Bosnien-Krieg involviert war, sondern Tuđman selbst Teil einer "verbrecherischen Unternehmung" war.

Gebete für Angeklagte in Mostar

Tuđman wird in Kroatien und in der Herzegowina heute von vielen verehrt – kürzlich wurde sogar der Zagreber Flughafen nach ihm benannt. Im herzegowinischen Mostar fanden sich am Abend vor dem Urteil in der Kathedrale viele Menschen ein, die für die sechs Angeklagten beteten. Der Pfarrer widmete die gesamte Messe den Ex-Militärs.

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Messe für Slobodan Praljak in Mostar, 28. November
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Dazu aufgerufen hatte die Veteranenvereinigung "Das kroatische Herz der Hoffnung". Vor einer Marienstatue wurden Kerzen in den kroatischen Nationalfarben entzündet. Viele Vertreter der katholischen Kirche in der Herzegowina sind sehr nationalistisch. Während es bei allen anderen ethnonationalen Parteien in Bosnien-Herzegowina Ansätze von Selbstkritik und Schuldeinsicht gab, fehlen diese bei der größten bosnisch-kroatischen Partei HDZ zur Gänze.

Das erstinstanzliche Urteil gegen Praljak und die fünf weiteren bosnischen Kroaten wurde am 29. Mai 2013 gefällt. Sie wurden damals zu insgesamt 111 Jahren Haft verurteilt. Das Gerichts sah es als erwiesen an, dass sie zu einer "gemeinsamen verbrecherischen Unternehmung" gehört hatten, um die Kriegsziele zu erreichen.

Das Haager Jugoslawien-Tribunal schließt nun im Dezember, die noch verbleibende Arbeit wird von einer Übergangsinstitution fertiggestellt. Seit vielen Jahren führen bereits nationale Gerichte in Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Serbien und dem Kosovo zahlreiche Verfahren gegen Kriegsverbrecher durch. Im Kosovo wird ein Spezialgericht bald die ersten Anklagen erheben. Der Haager Gerichtshof wurde noch während des Bosnien-Kriegs 1993 gegründet, 161 Personen wurden angeklagt, tausende Zeugen gehört, tausende Ermordete exhumiert, der letzte Flüchtige, Goran Hadžić, wurde im Juli 2011 verhaftet. (Adelheid Wölfl, 29.11.2017)