Als Zollbeamter verkleideter Demonstrant am Grenzübergang Dundalk/Killeen.

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Die Landgrenze zwischen der Republik Irland und dem britischen Nordirland erweist sich als schwierigstes Problem der Brexit-Verhandlungen.

Bei ihrem Besuch in Brüssel, der letztlich zu keiner Einigung führte, zeigte sich die britische Premierministerin Theresa May am Montag offenbar bereit, der britischen Provinz eine Sonderregelung einzuräumen, um die bisherige Durchlässigkeit der Grenze zu gewährleisten. Dies entspricht der Forderung Dublins, das dabei von den EU-Unterhändlern unterstützt wird. Hingegen lehnen die nordirischen Unionisten jede Abweichung vom britischen Wirtschaftsraum ab.

Für den EU-Abgeordneten David McAllister wäre ein "No Deal" bei den "Brexit"-Verhandlungen das schlimmste mögliche Szenario mit verheerenden Folgen für die britische Wirtschaft ("ZiB 2"-Interview).
ORF

Nach der Unabhängigkeit der Republik von Großbritannien 1937 blieben die beiden Inseln durch einen Wirtschaftsraum verbunden, gemeinsam traten beide Staaten 1973 der damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) bei. Das Referendumsergebnis vom Juni 2016 interpretierte Mays Regierung einseitig zum Schaden Dublins: Man strebe den Austritt aus EU-Binnenmarkt und Zollunion ("harter Brexit") an, lautete Londons Ansage. Bis zu 80 Prozent des irischen Warenhandels werden bisher über britische Häfen abgewickelt. Vor allem aber war eine der Voraussetzungen für die friedliche Beilegung des Bürgerkriegs in Nordirland die enge Verbindung der beiden Staaten auf der Grünen Insel.

Regierung platzte wegen Brexits

Während die Nordiren mehrheitlich (56 Prozent) für den EU-Verbleib stimmten, ist die größte Protestantenpartei DUP im Brexit-Lager. Der Gegensatz zu den katholisch-nationalistischen Parteien trug dazu bei, dass die Belfaster Regionalregierung im Jänner platzte. Im Londoner Unterhaus lässt sich Mays Minderheitsregierung von der DUP unterstützen. Ihre Partei werde nicht zulassen, dass in Nordirland "andere Regeln" gelten als im Rest des Vereinigten Königreichs, drohte DUP-Chefin Arlene Foster am Montag.

Genau davon ist aber die Rede. Die sogenannte Regelangleichung (regulatory alignment), damit die vielerorts kaum noch sichtbare Landgrenze nicht zur harten EU-Außengrenze wird, kann in der Realität nur funktionieren, wenn Nordirland die Mitgliedschaft in Binnenmarkt und Zollunion beibehält.

Auch Schotten wollen Ausnahmen

Bereits am Nachmittag meldeten die Verantwortlichen anderer Regionen Großbritanniens eigene Ansprüche an. Es sei "gar nicht einzusehen", sagte die schottische Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon, dass für andere Landesteile nicht ähnliche Ausnahmen gemacht werden könnten. Schottland hatte mit 62 Prozent für den EU-Verbleib gestimmt, die Hauptstadt London mit 60 Prozent. Ein ähnlicher Deal wie für Nordirland könne in London "zehntausende Jobs" sichern, gab Bürgermeister Sadiq Khan zu Protokoll.

Irlands Premierminister Leo Varadkar erklärte, er sei "überrascht und enttäuscht" darüber, dass die britische Regierung den bereits vereinbarten Text wieder vom Tisch genommen habe. Natürlich gestehe man Theresa May mehr Zeit zu; er sehe aber "keinen Grund, an dem vereinbarten Text etwas zu verändern".

Zur DUP sagte Varadkar: "Es ist die grösste, aber keineswegs einzige Partei Nordirlands. Die Nordiren haben für den Verbleib in der EU gestimmt und mit großer Mehrheit für das Karfreitagsabkommen." Dieses sehe vor, dass jede Änderung der nordirischen Verfaßtheit der Zustimmung durch das nordirische Volk bedarf.

Dublin hatte zuletzt ein Veto gegen die von London ersehnten Verhandlungen über die zukünftigen Handelsbeziehungen angekündigt. Dementsprechend schärfer wurde der Ton aus London und Belfast: Das Boulevardblatt "Sun" forderte den Nachbarpremier auf, doch lieber "seine Fresse zu halten". Foster beschuldigte Varadkar, dieser wolle das Friedensabkommen vom Karfreitag 1998 einseitig verändern. Ironischerweise hatte damals die DUP, anders als Dublin, die Unterzeichnung verweigert.

Bei den beiden anderen Themen, die bisher den Gesprächen über das zukünftige Verhältnis im Weg standen, haben die Verhandlungspartner offenbar Einigkeit erzielt. Vergangene Woche akzeptierte London die von der EU errechneten Bruttoverbindlichkeiten von rund 98 Milliarden Euro; netto wird die Insel über mehrere Jahre zwischen 40 und 55 Milliarden Euro in die Brüsseler Kasse zahlen müssen. Auch über die Rechte der gut drei Millionen EU-Bürger auf der Insel und rund einer Million Briten in der EU ist man sich weitgehend einig. (Sebastian Borger aus London, 4.12.2017)