Stehen und Marschieren sind für Bundesheersoldaten Alltag. Bei großer Kälte oder Hitze wird das zur Belastung – zumal, wenn jemand krank oder gesundheitlich angeschlagen ist.

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Auch bei den dem STANDARD zugespielten Stellungsunterlagen des toten Rekruten: die Heeres-Gesundheitskarte. Das Verteidigungsministerium hat gegen den Whistleblower Anzeige gegen unbekannt erhoben, wegen Verstoßes gegen den Datenschutz.

Wien/Horn – Im Sommer sorgte der Tod eines 19-jährigen Grundwehrdieners im niederösterreichischen Horn für Entsetzen. Der junge Mann war nach einem Marsch bei rund 35 Grad Celsius zusammengebrochen. In der Folge wurde, unter anderem, über die medizinische Betreuung beim Heer diskutiert. Denn der Rekrut, der als Gardist ausgebildet werden sollte, hatte, bevor er starb, hohes Fieber – war aber dennoch mitmarschiert.

Das Fieber – so ergab eine zeitnah durchgeführte Untersuchung – war einer Blutvergiftung geschuldet. Im Blut des 19-Jährigen habe man zwei hochgefährliche Keime gefunden. Als Erkrankung sei dies "extrem selten", hieß es bei der ermittelnden Staatsanwaltschaft Krems.

Laut Truppenarzt "adipös"

Doch besagte Infektion dürfte nicht das einzige gesundheitliche Problem des Wieners gewesen sein. Laut Stellungsunterlagen, die dem STANDARD zugespielt worden sind – ein Umstand, der das Verteidigungsministerium zu einer Anzeige gegen unbekannt wegen Verstoßes gegen den Datenschutz bewogen hat –, war er zum Zeitpunkt seiner Musterung am 29. Jänner 2015 schwer übergewichtig: "Adipös", notierte der Truppenarzt.

Auch das an diesem Tag angefertigte EKG wies Auffälligkeiten auf. "Abnorme Ergebnisse von kardiovaskulären Funktionsprüfungen", schrieb der Doktor auf. Der Rekrut könnte unter einer "Linksherz-Hyperthrophie" gelitten haben, meint dazu eine vom STANDARD mit den EKG-Kurven konfrontierte Internistin. Das würde bedeuten, dass der damals 17-Jährige einen verdickten Herzmuskel hatte. Prinzipiell sei das nichts Seltenes, in diesem jungen Alter jedoch sehr ungewöhnlich. Hypertrophie würde vor allem im Zusammenhang mit Bluthochdruck vorkommen.

Frage des Herzmuskels

Auf dem EKG-Befund ist zudem handschriftlich "unspezifische Repolarisationsstörung inferior" notiert. Laut der befragten Ärztin können solche Störungen ebenfalls auf einen verdickten Herzmuskel hinweisen. Möglich sei, dass der Rekrut unter einer Hypertrophen Kardiomyopathie gelitten habe: einer Erkrankung, bei der der Herzmuskel auch in jungen Jahren sehr dick wird und bei der man bei starker Belastung Rhythmusstörungen erleiden kann.

Für grundwehrfit erklärt wurde der junge Mann 2015 dennoch. Mit Wertungsziffer fünf auf der Tauglichkeitsstufenskala fiel eine weitere militärärztliche Überprüfung, wie sie bei Wertungsziffer drei oder vier angeordnet wird, aus. Ob man ihm riet, Herz und Kreislauf gründlich untersuchen zu lassen, weiß Michael Bauer, Sprecher des Verteidigungsministeriums, nicht.

Ohne eigene Befunde

Zur Einstellungsuntersuchung zweieinhalb Jahre später habe er jedenfalls keine eigenen Befunde mitgebracht. Aber er habe in der Zwischenzeit "rund 15 Kilo abgenommen" gehabt.

Besagter Check fand am 10. Juli 2017 statt, nur dreieinhalb Wochen vor dem fatalen Ausbildungsmarsch. Überprüft wurde zum Beispiel das Gewicht: Den dem STANDARD zugespielten Unterlagen zufolge wog der 1,92 Meter große junge Mann 115 Kilo – laut Body-Mass-Index (BMI) nach wie vor ein adipöser Wert.

Mit 162/86 waren auch seine Blutdruckwerte erhöht, detto hatte er mit 98 Schlägen in der Minute einen hohen Ruhepuls. Seine Heeres-Wertungsziffer wurde trotzdem erhöht, von fünf auf die hohe Zahl acht. Ein anonym bleibender Kenner des Bundesheeres mutmaßt, dass dies mit der beachtlichen Körpergröße in Zusammenhang gestanden haben könne: "Er war ein idealer Garde-Kandidat, und für die Garde braucht man eine hohe Eignung."

Kein Leistungssportler

Anders sieht das Ministeriumssprecher Bauer: Der BMI messe nicht alles, meint er. Vielmehr sei der Betreffende "ein Wasserballer, also ein Sportler" gewesen, nicht fett, sondern muskulös.

"Er war kein Leistungssportler und nie in unserer A-Mannschaft, sondern er hat nur mitgespielt", relativiert dies Nurten Yilmaz, Nationalratsabgeordnete der SPÖ und Präsidentin des Arbeiter-Schwimmvereins Wien, wo sich der junge Mann als Wasserballer betätigt hatte. 2016, kurz vor der Matura, habe dieser sich eine Auszeit genommen und sei danach nicht mehr im Verein aufgetaucht.

Von "mehr als einer Ursache" für den Tod des Rekruten spricht auch Helmut Graupner, Opferanwalt der Familie. Graupner kennt die unveröffentlichte Expertise des Gerichtsgutachters Wolfgang Denk zu dem Fall, die Grundlage einer möglichen Anklage der Staatsanwaltschaft wegen fahrlässiger Tötung unter besonders gefährlichen Umständen ist. Er begrüßt die Veröffentlichung im Sinne der Familie. Auf die Frage, ob Herzprobleme mit zum Tod geführt hätten, antwortet Graupner: "Ja, das war ein Element." (Bianca Blei, Irene Brickner, 4.12.2017)