Stacheldraht vor dem News-One-Studio. Die Kiewer Polizei schaut zu.

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Die Medienfreiheit in der Ukraine steht ein weiteres Mal auf dem Prüfstand: Nationalisten haben den Sender News One blockiert. Mit Sandsäcken und Stacheldraht wurde das Gelände abgeriegelt. Die Bewaffneten fordern eine Änderung der Senderpolitik. Die Regierung drängt zwar auf ein Ende der Blockade, doch die Polizei schaut zu.

Auslöser des Konflikts war eine Talkshow des Senders vor einer Woche, in der der Rada-Abgeordnete Jewgeni Murajew den Maidan als "Staatsstreich" bezeichnet hatte. Schon in der Sendung rief die Äußerung einen regelrechten Skandal hervor: Mehrere Teilnehmer der Diskussion verließen das Studio unter lautem Protest. Murajew ließ der Abgang seiner Opponenten ungerührt: Ihre Flucht dokumentiere nur, dass ihnen die Argumente fehlten, sagte er.

Die Ereignisse rund um den Maidan spalten die Ukraine bis heute tief: Bei den blutigen Auseinandersetzungen im Februar kamen rund 100 Demonstranten und 17 Polizeibeamte ums Leben. Zwar hat die neue Führung den Tod der sogenannten "himmlischen Hundert" als heldenhaft glorifiziert und sich selbst am Grab in Szene gesetzt, das Blutvergießen wurde aber bis heute nicht abschließend aufgeklärt.

Vorwürfe gegen Abgeordneten

Vor allen Dingen über die Todesschüsse, die zwischen dem 18. und 21 Februar fielen, gibt es nach wie vor widersprüchliche Angaben: Während die Behörden in Kiew Ermittlungen allein gegen Beamte der Spezialeinheit Berkut führten, von denen sich inzwischen der Großteil nach Russland abgesetzt hat, gibt es auch Berichte über Scharfschützen aufseiten der Opposition.

Zuletzt berichtete der Sender Canale 5 aus dem Berlusconi-Imperium über drei Georgier, die zugegeben haben sollen, während der Proteste sowohl auf Polizisten als auch auf Demonstranten geschossen zu haben, um "so viel Chaos wie möglich zu erzeugen". Als einer der Drahtzieher wurde dabei der Rada-Abgeordnete Serhy Paschinski beschuldigt, der unter Übergangspräsident Alexander Turtschinow die Präsidialverwaltung leitete.

Murajews Aussagen in der Sendung waren deutlich weniger brisant als diese Meldungen. Er kritisierte lediglich einen "gewaltsamen Umsturz", ohne dass sich das System von Korruption und Oligarchie grundlegend verändert habe. Trotzdem traf er offenbar einen empfindlichen Nerv bei radikalen Gruppierungen.

Der aus dem ostukrainischen Charkiw stammende Murajew ist für seine gegenüber der neuen Führung kritische Haltung bekannt, war auch bis zum Sturz von Präsident Viktor Janukowitsch dessen Parteigänger und saß für die Partei der Regionen im Parlament. Später wurde er für die Nachfolgepartei "Oppositionsblock" erneut ins Parlament gewählt. Inzwischen ist er aus diesem Block ausgetreten und leitet zusammen mit dem Medienmagnaten Wadim Rabinowitsch die ebenfalls euroskeptische Partei "Für das Leben". Von Rabinowitsch hat er auch 2014 den Sender News One übernommen, dessen Talkshow so hohe Wellen schlug.

Als "Sprachrohr des Kremls" – wie von den Nationalisten moniert – hat sich News One allerdings nicht betätigt. Bei dem Kanal arbeiteten seinerzeit auch bekannte kremlkritische Journalisten wie Matwej Ganopolski und Jewgeni Kisseljow. Allerdings hatte sich News One zuletzt bei der Regierung wegen der Berichterstattung über den in Ungnade gefallenen einstigen georgischen Präsidenten und Gouverneur von Odessa, Maichail Saakaschwili, unbeliebt gemacht.

Journalisten fordern Schutz

Die Journalisten des Senders haben Präsident Petro Poroschenko und Innenminister Arsen Awakow aufgefordert, die Meinungsfreiheit zu verteidigen und den Kanal vor Übergriffen zu schützen. Ersterer nannte die Blockade von Medien daraufhin "unzulässig", während der zweite die Besetzer zur Aufgabe aufforderte. Über Rhetorik ging die Reaktion der Obrigkeit – zumindest bis Montagabend – nicht hinaus. Die Polizei begründete ihr Nichteingreifen mit der unklaren Situation. Eine Sprecherin erbat sich Zeit, um "eine Entscheidung bezüglich der Einschätzung des Vorfalls zu treffen".

Die internationalen Beobachter waren in ihrer Einschätzung schneller: Die OSZE hat bereits ihre Besorgnis wegen der Besetzung des Senders geäußert und diese als Angriff auf die Medienfreiheit verurteilt. (André Ballin aus Moskau, 4.12.2017)