Die wenigen Wölfe in Österreich polarisieren gewaltig: Zwei repräsentativen Umfragen aus dem Herbst 2017 zufolge sind mehr als 70 Prozent der Österreicher pro Wolf. Die meisten Vertreter von Landwirtschaft und Jagd sind aber dagegen. Kläglich oft das Niveau der Debatte, es wird heftig demagogisiert und Angst geschürt. Nicht nur in Österreich übrigens, sondern auch in Südtirol und Bayern. Schade, denn es ginge auch ruhig und lösungsorientiert. Dazu möchte ich mit ein paar Fakten und wenig gehörten Argumenten beitragen.

Illustration: Felix Grütsch

Keine Frage – es ist letztlich eine politische Entscheidung, ob und wie wir in Zukunft wieder mit Wölfen leben wollen. Ja, sie gefährden ungeschützte Weidetiere, und sie können sehr selten auch Menschen gefährlich werden. Dennoch ist Gelassenheit angesagt. Denn im Gegensatz zu den etwa 80 Rudeln und hunderten Wölfen vor allem im Norden Deutschlands gibt es hierzulande gerade einmal 20 Tiere: ein Rudel auf dem Truppenübungsplatz Allentsteig plus gelegentliche Zu- und Durchwanderer aus unterschiedlichen Richtungen.

Extrem hohe Wilddichten

Die Wölfe breiten sich selbstständig wieder aus, sie wurden weder in Österreich noch anderswo in Europa "angesiedelt". Der wohl wichtigste Grund für ihre rasche Rückkehr sind die extrem hohen Wilddichten. Trotz der noch geringen Zahlen müssen Länder und Bund bald Konzepte zum möglichst konfliktarmen Zusammenleben mit dem Wolf finden. Denn die Wölfe sind zunächst einmal gekommen, um zu bleiben.

Ihren Schutz gibt die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der EU vor, sie dürfen nur aus schwerwiegenden Gründen und nach individueller Identifizierung "entnommen" werden. In Österreich stehen sie im Jagdrecht und sind ganzjährig geschont. Illegale Abschüsse werden als Verbrechen behördlich verfolgt; erst unlängst wurde in Frankreich ein Wolfswilderer mit 120.000 Euro Bußgeld und dem lebenslangen Entzug der Jagdkarte bestraft.

Europaweit bemühen sich aber vor allem die Vertreter der Landwirtschaft um die Lockerung des Wolfsschutzes.

Auch für Österreich ist eine rasche Vermehrung und Ausbreitung der Wölfe zu erwarten. Dann aber steigen ihre lokalen Dichten kaum mehr an, weil etablierte Rudel ihre Nachbarn und Durchzieher vertreiben oder sogar töten. Das Beispiel Deutschland zeigt, dass es über weite Bereiche auch ohne Eingriffe in die Wolfsbestände geht. Prinzipiell sind Wolfsdichten vor allem von den Beutedichten abhängig. Die effizienteste Kontrolle der Wolfsdichte besteht daher darin, die extrem hohen Rot- und Schwarzwildbestände auszudünnen. Dagegen wäre es unklug, bestehende Rudel durch Bejagung zu stören; dann vermehren sie sich stärker, und der Druck auf Weidetiere steigt.

Demokratiepolitischer Faktor

"Brauchen" wir eigentlich Wölfe, oder machen sie bloß den Leuten auf dem Land das Leben schwer? Dass eine Mehrheit der österreichischen Bevölkerung ihre Rückkehr begrüßt, macht die Wölfe zuallererst zu einem demokratiepolitischen Faktor – zumal 70 Prozent der landwirtschaftlichen Einkommen von der öffentlichen Hand kommen. Aus ökologischer Sicht können sich Wölfe günstig auf die Biodiversität auswirken, auf eine naturnahe Waldentwicklung und auf die Gesundheit von Wildpopulationen.

Wölfe sind daher natur- und artenschutzrelevant, sie sind eigentlich die natürlichen Verbündeten der Jäger und Forstleute. Man sollte aber gerade in einem christlichen Land auch die Ethik nicht außer Acht lassen. Wölfe sind zwar global eher wenig gefährdet, aber sind Mitgeschöpfe nur dann schützenswert, wenn es sie am Aussterben sind? Und ist es vertretbar, von den Leuten in Afrika und Asien zu verlangen, unter großen Opfern die Elefanten für uns schützen, während wir nicht willens sind, mit ein paar Wölfen (sowie Bären und Luchsen) zu leben? So lösen die großen Beutegreifer längst fällige gesellschaftliche Debatten aus: Ist es etwa wirklich sinnvoll, zwischen Natur- und Kulturlandschaft zu unterscheiden? Und dürfen nur die Menschen Natur und Landschaft für sich beanspruchen? Ist es in einem der reichsten Länder der Welt wirklich angebracht, sofort nach der Flinte zu rufen, wenn Wolf, Bär, Luchs, die Fischotter oder auch die Greifvögel das Weitermachen wie bisher stören?

Beispiel Schweiz

Sowohl Wölfe, als auch die traditionelle Beweidung der Almen sind ökologisch wertvoll. Tatsächlich ist anstatt des hierzulande lautstark verkündeten Entweder-oder ein Sowohl-als-auch möglich. Dies zeigen Beispiele aus der Schweiz. Im Calandagebiet etwa schlossen sich Schafshalter zusammen und lassen nun ihre 700-köpfige Herde von einer Hirtin mit Hunden führen. Sie verloren trotz des dort ansässigen Wolfsrudels über die letzten zwei Jahre kein einziges Schaf. Und es wurden auch keine Wanderer von den Schutzhunden gebissen. Generell gingen in der Schweiz die Verluste in der Almhaltung stark zurück, weil die Wölfe die Halter zu mehr Aufmerksamkeit motivieren.

Je nach den lokalen Gegebenheiten kann sachgerechter Herdenschutz mittels geeigneter Elektrozäune, Hunden, und/oder Behirtung erfolgen. Es gilt, sich der alten Kulturtechniken zu besinnen, die über 10.000 Jahre Weidetierhaltung in Anwesenheit von Wölfen ermöglichten. Weil sowohl Wolf als auch Weidetierhaltung ökologisch begründete, gesellschaftliche Anliegen sind, muss beides möglich sein. Dazu braucht es vor allem die ideelle und finanzielle Unterstützung der Weidetierhalter.

Wolfsfreie Zonen

Manche Wildbiologen und Interessenvertreter halten "wolfsfreie Zonen" in den Alpen für eine mögliche Lösung. Skepsis ist angebracht; solche Zonen sind allein aufgrund der Beweglichkeit der Jungwölfe weder realistisch noch praktikabel. Für die Weidetierhalter bieten sie kaum Schutz, weil aus angrenzenden Gebieten ständig Wölfe einwandern. Daher führt an sachgerechten und rechtzeitigen Herdenschutzmaßnahmen kein Weg vorbei, auch um Wölfe rechtzeitig dazu zu "erziehen", Wildtiere, nicht aber Schafe zu erbeuten. Solche Traditionen werden dann übrigens in den Rudeln über Generationen weitergegeben. Es wäre also ein Fehler, Rudelbildung verhindern zu wollen. Nicht zuletzt ist kompetenter Herdenschutz auch tierschutzrelevant, denn jedes verletzte oder getötete Weidetiere ist eines zu viel.

Um mit Wölfen wieder konfliktarm zusammenzuleben, braucht es kreatives Umdenken, Wissen und die Investition in ein gesamtösterreichisches und -europäisches Konzept, das die Betroffenen nicht im Regen stehen lässt.

Effizientes Wolfsmanagement bedeutet zweierlei: Wildmanagement, also eine Reduktion der Bestände an Rot- und Schwarzwild durch die Jagd, plus sachgerechten Herdenschutz. Und auch den unsentimental-raschen Abschuss einzelner identifizierter Wölfe, die Menschen dauerhaft zu nahe kommen oder sich nicht davon abhalten lassen, Weidetiere zu erbeuten. Ein solches Management braucht ein begleitendes Wolfsmonitoring und zusätzlich genügend Mittel für unabhängige wissenschaftliche Top-Forschung. Derzeit gibt es trotz der redlichen Bemühungen von Wildbiologen zu wenig davon. Und es braucht das ernsthafte und respektvoll-konstruktive Zusammenwirken aller. Schlitzohrigkeit, wie die leider immer noch bis in die "hohe Politik" verbreitete "Schießen-Schaufeln-Schweigen"-Mentalität, ist dabei nicht hilfreich. (Kurt Kotrschal, 22.6.2018)