Bis zu drei Jahre kann die Therapie einer Essstörung dauern. Vor allem der Wechsel vom stationären in den ambulanten Bereich ist ein kritischer Zeitpunkt.

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Wien – Immer mehr junge Menschen entwickeln Essstörungen, sowohl Mädchen als auch Burschen. "Die Anzahl der erkrankten Menschen ist in Österreich zwischen 2007 und 2014 um 19 Prozent gestiegen", sagt Ingrid Reischl, Obfrau der Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK). Schätzungen zufolge dürfte sich allein in Wien die Zahl der Betroffenen, die etwa an Anorexie, Bulimie oder Binge-Eating-Disorder leiden, auf etwa 150.000 belaufen. Das heißt auch: Der Behandlungs- und Therapiebedarf wächst.

Ab 1. Jänner 2018 soll es nun in Wien ein erweitertes, längeres und engmaschigeres Versorgungsangebot geben, auf das sich die WGKK und der Krankenhausträger Vinzenz-Gruppe geeinigt haben. Mit dem neu verhandelten Vertrag wird die gesamte Behandlung für Patienten kostenlos, die Möglichkeit zur Einzeltherapie über die ambulante Einrichtung "Sowhat" ausgebaut.

Auch eines der Hauptprobleme soll damit kleiner werden: dass Patienten beim Wechsel vom stationären in den ambulanten Bereich "verlorengehen und sich nicht melden", wie Michael Heinisch, Geschäftsführer der Vinzenz-Gruppe, betont. Bis zu drei Jahre kann die Therapie dauern. Daher sei es notwendig, dass das interdisziplinäre Behandlungsteam aus Ärzten, Psychiatern, Psychologen, Diätologen und Bewegungstherapeuten vor allem bei der Nachversorgung der Patienten möglichst gut miteinander vernetzt ist, so Heinisch.

Zunehmender Druck und Körperkult

Wichtig ist den Initiatoren ein möglichst niederschwelliger Zugang: Als erster Schritt ist ein anonymes und kostenloses Telefongespräch mit "Sowhat" möglich. Darauf folgt ein persönliches Erstgespräch, bevor es zu Diagnostik, Clearing und Behandlung kommt. Eine enge Zusammenarbeit soll es auch mit dem Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern geben, denn "manchmal sind Patienten, die ausschließlich ambulant behandelt werden, unzureichend versorgt", so Heinisch.

Für die Zunahme von Essstörungen macht die ärztliche Leiterin von "Sowhat", Christine Tretter, den steigenden gesellschaftlichen, schulischen und von Eltern ausgeübten Druck verantwortlich. Als problematisch sieht sie auch den zunehmenden Verlust der Tischkultur an. "Es wird immer weniger selbst gekocht und zu bestimmten Zeiten gegessen." Auch mangelndes Bewusstsein für Ernährung und das Pflegen eines Körperkults tragen Tretter zufolge dazu bei, dass die Prävalenz von Essstörungen zunimmt. Sozialer Rückzug und depressive Verstimmungen können neben Gewichtsverlust erste Anzeichen für Magersucht sein. Bulimie ist schwieriger zu diagnostizieren, da die Betroffenen meist nicht an Körpergewicht verlieren. (gueb, 15.12.2017)