Schon das für 2013 bis 2018 konzipierte Regierungsprogramm der rot-schwarzen Vorgängerregierung erschöpfte sich für den Bereich Außenpolitik auf etwas mehr als sechs Seiten – das neue Regierungsprogramm von ÖVP und FPÖ bringt es gerade einmal auf dürre dreieinhalb Seiten. Der geringe Umfang allein ist freilich kein qualitativer Maßstab; sehr wohl aber das Wenige, was über die ziemlich allgemein gehaltenen Formulierungen hinausgeht.

Ja zu Europa und zum Euro

Im Kapitel "Europa und Außenpolitik" fühlt man sich kurz an Donald Trumps "America First"-Rhetorik erinnert: "Maßstab unseres internationalen Handelns sind die Interessen Österreichs und seiner Bevölkerung." Doch noch im gleichen Atemzug erfolgt dann eh die Zusicherung, Österreich sei weiter "integraler Teil der Europäischen Union und der gemeinsamen Währung Euro" – ein Passus, der wohl im Hinblick auf Skepsis bezüglich der bisher europaskeptischen bis offen europafeindlichen Linie der FPÖ zu sehen ist. Soll heißen: Keine Sorge vor einem Öxit, und auch ein Abschied aus der Währungsunion steht nicht auf der Agenda.

Im Gegenteil, man verspricht, europäischer Musterknabe zu sein: "Wir werden als aktiver und zuverlässiger Partner an der Weiterentwicklung der EU mitwirken, wobei das Prinzip der Subsidiarität im Mittelpunkt stehen soll."

Die EU soll sich also nicht weiter ausbreiten, sondern "sich auf die wesentlichen, für gemeinsame Lösungen geeigneten Themen fokussieren". Welche das sind oder sein können und sollen, darüber wird man weiterhin vortrefflich streiten können – wohl auch innerkoalitionär. Gemeinsamer Nenner: "Weniger, aber effizienter."

EU-Vorsitz 2018

In der zweiten Jahreshälfte 2018 übernimmt Österreich den Ratsvorsitz in der EU – ein besonders heikler Zeitpunkt, denn in jenen Monaten beginnt die finale Phase der Brexit-Verhandlungen zwischen Europäischer Union und Vereinigtem Königreich. Den Vorsitz begreift die neue Regierung als "besondere Gestaltungsmöglichkeit" – wobei die weitreichenden, konkreten Verhandlungen freilich auf anderer Ebene als im Rat erfolgen.

Nachbarschaftspolitik

Das Vorhaben, die "Zusammenarbeit mit den mitteleuropäischen Nachbarstaaten weiter zu stärken", haben auch schon andere Regierungen bekräftigt. In diesem Fall wird man sehen, ob damit vor allem eine Annäherung an die Staaten der Visegrád-Gruppe – also Ungarn, Slowakei, Tschechien und Polen – gemeint ist. Sie alle verbindet eine eher europakritische Haltung, vor allem in Flüchtlings- und Migrationsfragen.

Südtirol

Ebenfalls in den Bereich Nachbarschaftspolitik fällt das Bekenntnis der neuen Bundesregierung zu einer "aktiven Wahrnehmung der Schutzfunktion für Südtirol". Die vor allem von der FPÖ propagierte Idee von Doppelstaatsbürgerschaften wird nicht im Kapitel "Europa und Außenpolitik" erläutert, sondern ein paar Seiten später im Kapitel "Ordnung und Sicherheit": Demnach wird "im Geiste der europäischen Integration und zur Förderung einer immer engeren Union der Bürgerinnen und Bürger ... in Aussicht genommen, den Angehörigen der Volksgruppen deutscher und ladinischer Muttersprache in Südtirol, für die Österreich auf der Grundlage des Pariser Vertrages und der nachfolgenden späteren Praxis die Schutzfunktion ausübt, die Möglichkeit einzuräumen, zusätzlich zur italienischen Staatsbürgerschaft die österreichische Staatsbürgerschaft zu erwerben".

Damit wird freilich noch nichts präjudiziert: Etwas "in Aussicht" nehmen, bedeutet noch gar nichts, weder wird ein konkretes Ergebnis noch ein Zeitrahmen formuliert.

Neutralität

Ein österreichisches Regierungsprogramm kommt natürlich nicht ohne Hinweis auf die Wahrung der verfassungsmäßig festgeschriebenen Neutralität des Landes auch – so auch dieses Mal. Diese wird als "wichtiger identitätsstiftender Faktor" gepriesen. Und nicht zum ersten Mal verweist eine österreichische Bundesregierung auch stolz auf die Rolle des Landes als "historische Drehscheibe" und als "Ort des Dialogs" zwischen den Welten.

Russland: da – Türkei: njet

Überraschend konkret wird das Papier – freilich nur in einem Halbsatz – mit dem expliziten Hinweis, die "Entspannungspolitik zwischen dem Westen und Russland vorantreiben" zu wollen – bekanntermaßen ein Herzensanliegen vor allem der FPÖ. Auch in Sachen Ukraine setzt man auf Engagement zur Entschärfung des Konflikts – hier engagierte sich im vergangenen Jahr vor allem ÖVP-Chef Sebastian Kurz.

Sehr konkret auch die Haltung der Bundesregierung gegenüber der Türkei: Hier setzt man nicht auf Entspannung, sondern auf Abgrenzung: Keine Zustimmung zu einem EU-Beitritt. Und: Endgültiger Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen zugunsten eines "Europäisch-Türkischen Nachbarschaftskonzeptes".

Westbalkan weiter auf EU-Kurs halten

Wie bisher bekennt man sich hingegen zur EU-Erweiterung um die Staaten des Westbalkan – eine Politik, die auch schon in der direkten Vorgängerregierung explizit betont wurde. Der damals neue Außenminister und nun neue Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hatte diese Haltung durch seine allererste Auslandsreise nach Kroatien unterstrichen – damals das jüngste EU-Mitgliedsland. In dieser Hinsicht soll Kurs gehalten werden und Rücksicht auf die individuellen Situationen in den Ländern genommen werden.

Grenzsicherung

Die Bundesregierung konstatiert – nicht zu Unrecht – Defizite beim Außengrenzschutz der Europäischen Union. Österreich verspricht daher einen "Beitrag" in dieser Hinsicht, nämlich in einer nicht näher definierten Stärkung der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und FRONTEX. Schlagworte in diesem Zusammenhang: "Grenzraumkontrollen" sowie "Auslotung und Ergreifung sämtlicher Möglichkeiten von nationalen Grenzschutzmaßnahmen". Das alles freilich nur, "solange der europäische Außengrenzschutz nicht gesichert ist". Man darf sich also realpolitisch auf einen längeren bis sehr, sehr langen Zeitraum einstellen – mit völlig offenem Ende.

Uno-Engagement

Bewährt ist das Vorhaben, wie schon bisher zur "Prävention und Lösung von Konflikten am Krisenmanagement sowie an der Friedenssicherung im Rahmen internationaler Organisationen, vor allem der Vereinten Nationen, aktiv mitwirken" zu wollen. In diesem Zusammenhang bekräftigt die neue Bundesregierung auch die unter Rot-Schwarz angekündigten Kandidaturen für den UN-Menschenrechtsrat 2019/2021 und für den Uno-Sicherheitsrat 2027/2028.

Wie schon bisher verpflichtet sich Österreich zur Mitarbeit bei internationalen Missionen, diesmal kehrt die Regierung die Themen "EU-Außengrenzschutz, Westbalkan, Nordafrika und Migrationsrouten" hervor.

Auch weiterhin ernüchternd: Entwicklungspolitik

Beim Thema Entwiklungshilfe will die neue Regierung den Fokus vor allem auf den "anhaltenden Migrationsdruck" lenken. Die schon unter Rot-Schwarz oft bemühte Formel von der "Hilfe vor Ort" gilt auch jetzt.

In diesem Zusammenhang gelte es auch, die strategische Ausrichtung und die Effizienz der Arbeit zwischen der österreichischen Agentur für Entwicklungszusammenarbeit (ADA) und dem Außenministerium zu "überprüfen". Das mag in manchen Ohren wie eine Drohung klingen: Schon jetzt liegen die Budgetmittel für die klassische Entwicklungshilfe chronisch weit unter dem von der Uno empfohlenen Niveau. Eine Trendumkehr nach oben wird nicht festgeschrieben – und ist daher auch alles andere als wahrscheinlich.

Das Ziel, die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit (EZA) auf die internationale Vorgabe von 0,7 Prozent des BIP zu erhöhen, wird "langfristig" angegangen – man kann es also für die kommende Legislaturperiode getrost abschreiben. Nicht zuletzt auch deswegen, weil dieses Ziel gekoppelt werden soll mit der Bereitschaft von Drittstaaten, in Österreich abgelehnte Asylwerber zurückzunehmen. De facto eine Pattsituation, für die man den Schwarzen Peter bequem dem Anderen zuschieben kann.

Auslandsvertretungen, Kriegsmaterial

Nicht nur als Vertretung Österreichs in der Welt, sondern auch als über die Welt verteilte Horchposten begreift man die österreichischen Botschaften und Konsulate. Zusätzlich will man "Österreich-Häuser" im Ausland schaffen. Diese sollen somit zentrale Anlaufstellen für Visaangelegenheiten, Wirtschaftsberatung, Sprachkurse und Kulturprogramme werden. Mehr als bisher will man mit der österreichischen Wirtschafskammer kooperieren und so Parallelstrukturen vermeiden. In Krisen- und Kriegsregionen und solchen mit besonderer Terrorgefahr sollen Botschaften zu "Sicherheitshubs" für Auslandsbürger werden.

Reformbedarf sieht man – mit Berechtigung – bei den existierenden Exportkontrollmechanismen für Militärgüter, Dual-Use-Güter und Kriegsmaterial. Die bisher auf Innen-, Wirtschafts-, Verteidigungs- und Außenministerium verteilten Zuständigkeiten sollen vereint werden – in welchem Ressort sie dann landen, darauf hat man sich noch nicht festgelegt.

(Nukleare) Abrüstung

Ein besonderes Anliegen des bisherigen Außenministers Sebastian Kurz war und ist das Vorantreiben von Initiativen zur nuklearen Abrüstung und zur Rüstungskontrolle. Diese Politik soll fort- und laut Regierungsprogramm auch festgeschrieben werden.

Israel und der Nahe Osten

Wie auch alle anderen europäischen Partner hält Österreich auch künftig an dem Ziel fest, den Nahostkonflikt auf der Basis einer Zweistaatenlösung zu beenden. Diese soll Israel "dauerhaft sichere Grenzen" garantieren und einen "lebensfähigen palästinensischen Staat ermöglichen". Das alles natürlich mit besonderer Berücksichtigung der israelischen Sicherheitsinteressen in der Region – eine gängige Formel.

Neuordnung des Außenministeriums

Kein Wort ist – zumindest im Kapitel "Europa und Außenpolitik" – über die Umgestaltung des Außenministeriums zu lesen. Wie berichtet, soll der Großteil der Europa-Agenden ins Kanzleramt zu Regierungschef Sebastian Kurz übersiedeln.

Fazit: Viel Standortbestimmung, wenig Vision. Die Außenpolitik gehört wohl eher nicht zu den Großbaustellen der kommenden Bundesregierung. Das Bekenntnis zu Europa ist vorhanden, allerdings könnte es engagierter ausfallen – da bremst wohl der blaue Koalitionspartner. Zu den europäischen Playern wird man solcherart wohl nicht gezählt werden können. (Gianluca Wallisch, 16.12.2017)