Heinz-Christian Strache und Sebastian Kurz beim Pressegespräch am Sonntag.

Foto: Matthias Cremer

STANDARD-Redakteur Gerald John und Innenpolitik-Ressortleiter Michael Völker im Gespräch mit Heinz-Christian Strache und Sebastian Kurz.

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Wien – Die neue Bundesregierung hat vor, die geplante Kürzung der Mindestsicherung zu erzwingen: Dies kündigen Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache im STANDARD an. Geplant sei ein Grundsatzgesetz, das den für die Sozialhilfe zuständigen Bundesländern entsprechende Vorgaben macht, erläutern die Parteichefs von ÖVP und FPÖ, die am Montag von Bundespräsident Alexander Van der Bellen als Kanzler und Vizekanzler angelobt werden sollen.

Bisher hatten Regierungen stets versucht, mit den Ländern via Verhandlungen einen Konsens zu finden. Der rot-schwarzen Koalition war dies zuletzt aber nicht gelungen, weshalb die gemeinsamen Standards der Mindestsicherung ausgelaufen sind. ÖVP und FPÖ wollen die Leistungen für Flüchtlinge nun massiv senken: Während das Niveau derzeit in den meisten Ländern bei etwa 840 Euro pro Monat liegt, soll die Leistung nur noch 365 Euro plus 155 Euro Integrationsbonus betragen. Für alle Familien soll eine Begrenzung von 1.500 Euro gelten.

Entlasten will die türkis-blaue Koalition Lohn- und Einkommensteuerzahler sowie Unternehmer. Dies soll in Schritten erfolgen, Strache konkretisiert: Kleine und mittlere Einkommen sollen in einer ersten Etappe um zwei Milliarden Euro entlastet werden.

Dass es problematisch sei, wenn nun Innenministerium und Verteidigungsministerium von ein und derselben Partei – der FPÖ – geführt werden, versuchen Kurz und Strache zu entkräften: Die Regierung habe vereinbart, dass die dort angesiedelten Nachrichtendienste, an denen sich die Befürchtungen festmachen, künftig auch Präsident, Kanzler und Vizekanzler berichten müssen.

STANDARD: Die ÖVP hat acht Ressorts, die FPÖ nur sechs. Ist das eine Regierung auf Augenhöhe?

Kurz: Die Koalitionsverhandlungen haben stets auf Augenhöhe und in einem respektvollen Umgang stattgefunden. Genau so wollen wir das in den fünf Jahren der Regierungsarbeit anlegen. Das Wahlergebnis hat einen gewissen Unterschied zwischen ÖVP und FPÖ gebracht, insofern ist es legitim, dass wir mehr Personen in der Regierung stellen. Wenn man sich aber das Gesamtpaket anschaut, sowohl inhaltlich als auch personell, finden sich hier beide Partner deutlich wieder.

Strache: Wir sind weder stärkste Partei, noch haben wir die absolute Mehrheit, wir sind drittstärkste Kraft geworden. Auf Basis dessen haben wir sehr respektvoll und auf Augenhöhe die Verhandlungen geführt.

STANDARD: Sie haben die Ressorts bekommen, die Ihnen wichtig sind?

Strache: Richtig. Es war uns ein Anliegen, den Bereich Sicherheit, Soziales und Arbeit sicherzustellen. Als Spiegelressort zum Finanzministerium haben wir auch das Infrastrukturressort. Im Finanzministerium haben wir einen exzellenten Staatssekretär. Umgekehrt hat die ÖVP eine Staatssekretärin im Innenressort. Zudem ist der öffentliche Dienst in meinem Ressort gelandet. Man kann also von Ausgewogenheit reden.

STANDARD: Ist Karoline Edtstadler als Staatssekretärin die türkise Aufpasserin im blauen Innenministerium?

Kurz: Edtstadler ist Staatsanwältin, war zuletzt am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, sie ist eine absolute Powerfrau. Sie wird im Sicherheitsbereich ihren Beitrag in dieser Regierung leisten, aber auch unsere starke Stimme als Volkspartei im Bereich Sicherheit sein.

Strache: Weder Fuchs noch Edtstadler werden Aufpasser sein. Das wird eine gute Zusammenarbeit auf allen Ebenen sein.

STANDARD: Klare Kompetenzen gibt es keine für die Staatssekretäre?

Kurz: Es wird für beide klare Kompetenzfelder geben, aber darüber hinaus hat ein Staatssekretär natürlich die Möglichkeit, im gesamten Ministerium präsent zu sein und mit dem Minister gemeinsam zu arbeiten.

STANDARD: Es gibt massive Bedenken dagegen, dass die FPÖ mit Innenministerium und Landesverteidigung beide Sicherheitsressorts führt, dass alle bewaffneten Einheiten und Nachrichtendienste damit in einer Hand sind.

Strache: Es braucht sich niemand zu fürchten. Grund dazu gab es auch in der Vergangenheit nicht, als etwa unter Kreisky diese Ressorts in Händen einer Partei waren. Es sind zwei unterschiedliche Persönlichkeiten in Ministerverantwortung. Bedenken sind nicht angebracht, aber wir haben uns sehr wohl Gedanken gemacht, wie man die Situation entkrampfen kann. Wir werden deshalb im Bundesministeriengesetz sicherstellen, dass die Dienste, sowohl die militärischen Dienste als auch der Verfassungsschutz, dem Bundeskanzler, dem Vizekanzler und natürlich dem Bundespräsidenten regelmäßig berichten müssen. Über diese Berichtspflicht hinaus wollen wir den Rechtsschutz beauftragten mit Verfassungsmehrheit in Richtung Kanzler und Vizekanzler verlagern.

STANDARD: Hat der Präsident nicht darauf gedrängt, Inneres und Verteidigung anders zu vergeben?

Kurz: Das war kein Thema beim Bundespräsidenten.

Strache: Wir haben mit dem Bundespräsidenten eine respektvolle Gesprächsebene. Er hat den Wunsch geäußert, dass Innen- und Justizressort nicht in der Hand einer Partei sind. Dem sind wir nachgekommen. Grundsätzlich steht eines fest: Jede demokratisch gewählte Partei, die im Hohen Haus sitzt, ist fähig, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Keine Partei ist nur partiell regierungsfähig, um das einmal klar auszusprechen.

STANDARD: Ein Herzstück des Regierungsprogramms ist die Steuerentlastung. Wie viele Milliarden schweben Ihnen wirklich vor?

Kurz: Wir werden die Entlastung in Österreich schrittweise zustande bringen. Das Volumen hängt natürlich ein Stück weit von den Reformen ab, die uns gemeinsam gelingen, und natürlich auch von der Entwicklung der Konjunktur. Im ersten Schritt wollen wir Einkommen, die unter 1.900 Euro brutto liegen, entlasten, im zweiten Schritt werden wir den Familienbonus einführen – eine starke steuerliche Entlastung von 1.500 Euro pro Kind für Familien, die Steuern zahlen.

STANDARD: Im Koalitionspakt fehlen die zwölf Milliarden, die Sie beide als Entlastung versprochen haben. Sind Sie draufgekommen, dass das nicht so realistisch war?

Kurz: Was wir im Wahlkampf angekündigt haben, findet sich auch so in unserem Regierungsprogramm. Unser großes Ziel war immer, die Steuer- und Abgabenquote in Österreich in Richtung 40 Prozent zu senken – dann wären wir auf deutschem Niveau. Das wird möglich sein durch einen schlankeren Staat, der im System spart, damit bei den Menschen wieder mehr ankommt. Bis zum Ende der Legislaturperiode möchten wir dieses Ziel erreicht haben.

Strache: Das heißt natürlich auch, die Schuldenquote weiter nach unten zu treiben. Es sind kleine Schritte notwendig, um irgendwann auf den Berggipfel zu kommen, wir sind uns der schwierigen Aufgabe bewusst. Das Gesamtvolumen von zwölf Milliarden bleibt etwas, das wir uns wünschen – ob das dann auch gelingt, ist eine andere Frage. Wir haben aber eines von vornherein festgemacht: Wir werden sehr rasch mit den ersten konkreten Steuerentlastungen beginnen. Deren Volumen wird in etwa bei zwei Milliarden liegen. Zu diesem ersten Schritt gehört auch die Anhebung der Mindestpension auf 1.200 Euro netto für jene, die 40 Jahre lang gearbeitet und eingezahlt haben.

STANDARD: Sie sprechen ständig von den kleinen Einkommen. Doch tatsächlich haben 1,5 Millionen Menschen mit kleinen Einkommen nichts von Ihren Steuerplänen, weil sie keine Lohn- und Einkommensteuern zahlen, sondern vor allem Sozialbeiträge. Für die gibt es keine Entlastung. Vom Kinderbonus sind Niedrigverdiener dezidiert ausgeschlossen.

Kurz: Das ist unrichtig, wir haben vor, die Sozialversicherungsbeiträge für die kleinsten Einkommen zu senken. Das haben wir im Wahlkampf angekündigt, so ausverhandelt, das findet sich nun auch im Programm.

Strache: Vielleicht ist es unbeachtet geblieben, aber wir haben es so festgelegt, schriftlich definiert.

STANDARD: Im Programm steht nur etwas von der Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung. Doch die sind für Einkommen unter 1.342 Euro brutto im Monat schon jetzt null. Vielen, die etwa Teilzeit arbeiten, bringt das nichts.

Kurz: Bei jenen Menschen, die Vollzeit arbeiten, handelt es sich bei 1.300 Euro brutto im Monat um die kleinsten Einkommen. Die werden bis zu einer Höhe von 1.900 Euro im Monat entlastet.

Strache: Das sind im Jahr 350 bis 500 Euro netto, die man durch unsere Entlastung mehr hat – und das brauchen die Menschen auch.

STANDARD: Das Arbeitslosengeld soll mit der Bezugsdauer sinken. Glauben Sie, dass die Leute freiwillig keinen Job haben, dass man ihnen Geld streichen muss?

Kurz: Darum geht es nicht. Wir haben mit Experten eine generelle Reform des Systems entwickelt. In den letzten Jahren ist die Arbeitslosigkeit gestiegen, eine Veränderung ist notwendig – aber auch bei der Mindestsicherung. Wenn für Asylberechtigte derartige Summen wie derzeit ausbezahlt werden, ist es für Menschen mit niedriger Qualifikation nicht attraktiv, überhaupt arbeiten zu gehen. Da ist es lukrativer, nebenbei ein paar Stunden schwarzzuarbeiten.

STANDARD: Es gibt längst die Verpflichtung, arbeiten zu gehen, sonst droht Leistungskürzung. Erreichen Sie damit nicht eher, was Sie nicht wollen können: verarmte Menschen, die umso mehr Integrationsprobleme haben und für Radikalismus anfällig sind?

Kurz: Das sehe ich nicht so: Integration funktioniert vor allem über den Spracherwerb, aber auch über den raschen Einstieg in den Arbeitsmarkt. Menschen, die den ganzen Tag daheim oder im Park verbringen, können nicht unser Weg für die Integration sein. Außerdem: Die Mindestsicherung ist ein Pull-Faktor, der dazu führt, dass Asylwerber gezielt nach Österreich kommen.

Strache: Da pflichte ich bei. Systematische Zuwanderung ins Sozialsystem darf nicht stattfinden.

STANDARD: Wie wollen Sie die Kürzung der Mindestsicherung für Flüchtlinge auf 365 Euro plus 155 Euro Integrationsbonus in den zuständigen Ländern durchsetzen? Wien etwa wehrt sich.

Kurz: Wir können mittels Grundsatzgesetzgebung einen Rahmen vorgeben, in dem sich die Bundesländer bewegen dürfen. Diese Möglichkeit werden wir nutzen. Dann wird es klare Regelungen für alle Länder geben. Wenn sich die Wiener Regierung an die Gesetze halten will, dann wird sie unseren Vorgaben folgen müssen.

Strache: Wenn Wien das verweigert, wird die Landesregierung das vor der eigenen Bevölkerung begründen müssen. Bei der Schuldenentwicklung in der Stadt wird sie da einigen Erklärungsbedarf haben.

STANDARD: Beim Ausbau der direkten Demokratie hat die FPÖ eine Vierprozenthürde für verpflichtende Volksabstimmungen angestrebt, die ÖVP ist mit zehn Prozent in die Verhandlungen gegangen, herausgekommen sind 14 Prozent.

Kurz: Nein, Entschuldigung, wir haben zehn Prozent der Bevölkerung in unserem Programm stehen. Wenn Sie nachrechnen, werden Sie draufkommen, dass das in etwa neunhunderttausend Wahlberechtigte sind. Also ist rausgekommen, was wir vorgeschlagen haben.

STANDARD: Also hat sich die ÖVP durchgesetzt?

Strache: Nein, wir haben uns beide durchgesetzt. Uns war es wichtig, dass das schrittweise durchgesetzt wird, natürlich mussten wir der ÖVP entgegenkommen. Wir werden im Parlament einen verfassungsgesetzlichen Antrag zur Einführung der direkten Demokratie einbringen. Wenn das die Opposition verweigert, machen wir eine Volksbefragung. Nach einem klaren und deutlichen Ergebnis wird auch die Opposition eine Bewertungsgrundlage haben.

STANDARD: Haben Sie Angst, dass das Rauchverbot einer Volksbefragung unterzogen werden könnte?

Strache: Ich habe überhaupt keine Angst. Ich will die verbindliche Volksabstimmung.

STANDARD: Selbst wenn das Rauchen abgeschafft werden könnte?

Strache: Selbstverständlich.

Kurz: Ich bleibe Nichtraucher. (Gerald John, Michael Völker, 17.12.2017)