Wien – Beinahe hat der Bundespräsident die Kandidaten unverrichteter Dinge nach Hause geschickt. Die angehenden Ministerinnen und Minister haben am Montag soeben die Gelöbnisformel gemurmelt, da will Alexander Van der Bellen die Zeremonie schon abbrechen. Ein rascher Hinweis des Protokollchefs, dann greift sich der vermeintlich zerstreute Professor an den Kopf – und geleitet die künftigen Regenten doch noch an einen mit Urkunden und Füller ausgestatteten Barocktisch, um die obligatorischen Unterschriften zu leisten.

Bundespräsident Van der Bellen lobt die gute Zusammenarbeit während der Koalitionsverhandlungen, hat an die neue Regierung aber auch ein paar Wünsche.
DER STANDARD

Ein unbewusster Drang, das Unvermeidliche doch noch zu vermeiden? Dafür wirkt die Stimmung in der Präsidentschaftskanzlei an jenem Montagvormittag zu freundlich. So gelöst, wie Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache Hand in Hand mit ihren Lebensgefährtinnen über den langen roten Teppich durch die Prunkräume der Wiener Hofburg geschritten sind, empfängt sie auch der Hausherr im einstigen Schlafzimmer der Kaiserin Maria Theresia. Kein Vergleich zum Jahr 2000, als die erste Regierung aus ÖVP und FPÖ in Österreichs Geschichte angelobt wurde: Statt der konsequent nach unten gezogenen Mundwinkel, mit denen das damalige Staatsoberhaupt Thomas Klestil seinen Unwillen demonstrierte, setzt Van der Bellen ein Lächeln auf.

Beitrag aus der ZiB um 17 Uhr.
ORF

Als "konstruktiv, kooperativ und lösungsorientiert" habe er, der einstige Grüne, das türkis-blaue Team in den Gesprächen der letzten Tage kennengelernt. "Das schätze ich", sagt Van der Bellen, "obwohl wir – jetzt verrate ich ein großes Geheimnis – unterschiedlicher politischer Herkunft sind." Die gleiche Maxime, die er selbst nach seiner Wahl zum Präsidenten zu beherzigen versuchte, gelte nun auch für die neue Exekutive im Staat: Eine Regierung habe das Wohl aller – Van der Bellen spricht nicht von allen Österreichern, sondern von allen in Österreich – im Auge zu behalten.

Die türkis-blaue Regierung.
Foto: Matthias Cremer

Verantwortung auch für dunkle Seiten

Am Herzen liegt dem Mann an der Spitze der Republik noch der Hinweis, dass die Regierung die Verantwortung "für helle wie für dunkle Seiten" der heimischen Geschichte zu übernehmen habe, und auch eine Mahnung zum achtsamen Umgang mit der Sprache und den Schwachen. Die Wahl der Worte sei nicht gleichgültig, sondern forme Bewusstsein und Realität, sagt Van der Bellen, und: "Am Umgang mit den Schwächsten zeigt sich, was unsere Werte wert sind."

Was er selbst an solchen in die Koalitionsverhandlungen eingebracht hat, lässt sich aus den aufgezählten Prioritäten schließen: Kontinuität in der Europapolitik, Trennung von Justiz und Polizei, bessere Kontrolle der Nachrichtendienste, Vorsicht beim Ausbau der direkten Demokratie.

Persönliches, zu dezent für die Mikrofone der Fernsehkameras, hat Van der Bellen den einzelnen Regierungsmitgliedern zu sagen: Für jede und jeden nimmt er sich ein paar Sätze Zeit. Doch auch beim Abschreiten der mit Ausnahme von Kurz ausschließlich aus Newcomern bestehenden Riege passiert ein Fauxpas, der abermals in den Verdacht der Freud'schen Fehlleistung geraten könnte. Van der Bellen übersieht FPÖ-Chef Strache, geht gleich zum Nächsten in der Reihe weiter. Journalisten lachen, der Betroffene ebenso – und der Präsident macht sein Versehen mit einem doppelten Händedruck wieder gut. (Gerald John, 18.12.2017)