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Drei Stunden Temelín-Betrieb reichen für ein Jahr Pornhub.

Foto: AP

Nachrichten und Musik werden zunehmend digital konsumiert. Auch Geldtransaktionen haben sich längst zu einem guten Teil in die elektronische Sphäre verlagert. Und mit dem Aufkommen von Bitcoin und Co könnten auch die Währungen der Zukunft ganz ohne Papier und Münzen auskommen.

Eine unübersehbare Entwicklung ist auch jene des Videostreamings. Netflix, Amazon Prime und Konsorten laufen klassischen Sendern zunehmend den Rang im Wohnzimmer ab. Was für Actionfilme und Comedyserien gilt, gilt freilich auch für die Erwachsenenunterhaltung. Onlinepornos dürften laut diversen Berechnungen einen erheblichen Anteil des Datenverkehrs im Netz ausmachen.

Der "Atlantic" hat sich auf die Spur des ökologischen Impacts dieser Entwicklung, insbesondere des steigenden Stromverbrauchs, begeben. Dazu wurde auch der Forscher Nathan Ensmenger befragt, der aktuell zu diesem Thema arbeitet. Er nimmt für eine Beispielrechnung die bekannte Gratisplattform Pornhub her, die ihre Zugriffszahlen für 2016 online publiziert hat. Mithilfe einer von Netflix aufgestellten Formel für den Stromkonsum von Videostreaming errechnet er schließlich den Jahresstromverbrauch des XXX-Portals.

"Der jährliche Stromverbrauch von Luxemburg"

Die Onlineversion der "Krone" hat dies zu einem spektakulären Vergleich verleitet (Stand: 19.12.2017, 17.45 Uhr). Unter dem Titel "So viel Energie frisst das globale Porno-Streaming" wird erklärt, Pornhub würde im Jahr so viel Strom verbrauchen, wie das Land Luxemburg insgesamt. Zudem könne der Verbrauch das tschechische Atomkraftwerk Temelín zur Hälfte auslasten. Das ist allerdings komplett falsch.

Screenshot/Faksimile: krone.at - Hervorhebung: STANDARD

Der Fehler liegt in der von der "Krone" kolportierten Zahl. "Fast sechs Terawattstunden" soll Pornhub 2016 verbraucht haben. Diese Zahl ist tatsächlich "verblüffend", weil falsch. Tatsächlich sind es 5,967 Millionen Kilowattstunden (5.967.000) bzw. 5.967 Megawattstunden – ein Tausendstel der Angabe, die das Boulevardblatt liefert. Offenbar wurde hier eine Komma- mit einer Tausenderstelle verwechselt.

Dabei liefert der "Atlantic"-Artikel schon im nächsten Satz einen passenden Vergleich: Der Strom, den Pornhub schluckt, soll für den ganzjährigen Betrieb von 11.000 Glühbirnen ausreichen. Dass sich mit Temelín nur ein paar Tausend Haushalte versorgen lassen, ist keine plausible Annahme.

Screenshot/Faksimile: krone.at - Hervorhebung: STANDARD

Drei Stunden Temelín-Betrieb reichen aus

Die korrekte Rechnung funktioniert wie folgt: Die zwei aktiven Reaktoren von Temelín erzeugen laut Wikipedia-Angabe 2.026 Megawatt. Um die notwendige Laufzeit für Pornhub zu errechnen, reicht es, die Megawattstundenangabe durch diesen Wert zu dividieren (Verlustleistung und Eigenverbrauch werden der Einfachheit halber ignoriert). Das Ergebnis: Nach rund drei Stunden Vollbetrieb hat Temelín genug Strom erzeugt, um das Erwachsenenangebot ein Jahr lang versorgen zu können.

Der Verbrauch ist freilich immer noch beeindruckend, aber weit entfernt von "der Hälfte". Zumal Ensmenger betont, dass es sich um eine konservative Schätzung handelt, da Pornoseiten in der Regel nicht so gut optimiert seien wie Netflix. Zu beachten ist außerdem, dass es noch unzählige weitere ähnliche und beliebte Angebote im Netz gibt.

Streaming ökologisch wohl besser als physischer Verkauf

Auch eine Warnung des Forschers sollte beachtet werden: Dem ökologischen Impact des Stromverbrauchs von Videoportalen stehen auch Ersparnisse entgegen. Das Streaming führt dazu, dass weniger physische Kopien verkauft oder ausgeborgt werden, deren Erzeugung und Transport ebenfalls erheblichen Ressourcenaufwand bedeuten.

Tatsächlich könnte die Streaming-Ära sogar ein Gewinn für die Umwelt sein. Laut einer Untersuchung von Google (hier im Video ab circa 7:30) liegt der CO2-Fußabdruck von gestreamter Musik zumindest 40 Prozent unter jenem des physischen Vertriebs. Es ist anzunehmen, dass auch Videostreaming im Vergleich zu DVDs und Blu-Rays deutlich besser abschneidet. (Georg Pichler, 19.12.2017)

Update, 20:20 Uhr: Die "Krone" hat ihren Artikel mittlerweile – laut Zeitstempel um 20:15 – richtig gestellt. Die Ursprungsversion ist derzeit noch über das Web Archive abrufbar.

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