Wenn wie 2017 eine schier unübersehbare Flut von Spielen erscheint, ist auch der Ausschuss dementsprechend zahlreich. Allein auf Steam wurden im vergangenen Jahr pro Woche regelmäßig über 200 neue Spiele veröffentlicht, und die allermeisten davon fanden weder kritische Resonanz noch eine nennenswerte Anzahl von Käufern. Das ist schade für die zahlreichen Perlen, die somit unterhalb der Aufmerksamkeitsgrenze geblieben sind, aber in den allermeisten Fällen ist das sang- und klanglose Untergehen auch der fragwürdigen Qualität geschuldet.

Besonders bitter ist es allerdings, wenn große Spiele enttäuschen, die sich wegen massiver PR oder sonst geschürter Erwartungen eigentlich im Licht der Aufmerksamkeit sonnen dürften. Bei denen ist nämlich die Fallhöhe um einiges größer als bei all den zu Recht kaum beachteten Klein- und Kleinstproduktionen mangelnder Qualität.

Der GameStandard hat die größten Enttäuschungen des Spielejahres zusammengetragen, die aus ganz unterschiedlichen Gründen hohe Erwartungen enttäuscht haben. Ein – naturgemäß subjektives – Worst of.

Mass Effect: Andromeda

Zugegeben: Als Nachfolger zu einer der am heißesten geliebten Rollenspielserien der Gegenwart hat man es nicht ganz leicht, die Erwartungen von Millionen Fans wirklich zu erfüllen. Was Bioware und Electronic Arts mit "Mass Effect: Andromeda" Anfang des Jahres allerdings auf die Bildschirme gebracht haben, blieb so weit hinter den Hoffnungen der weltweiten Spielerschaft zurück, dass man die Enttäuschung noch in Nachbargalaxien wahrnehmen konnte.

Bugs, ein bizarr missglücktes Animationssystem, holpriges Storytelling und diverse Katastrophen in der Entwicklungsgeschichte ließen das massiv beworbene Schwergewicht weit unter den Verkaufserwartungen bleiben. Eine Fortsetzung der Franchise steht nach diesem Griff daneben in den Sternen – möglicherweise schauen die Figuren in "Andromeda" ja auch deshalb in düsterer Vorahnung mit derart origineller Mimik aus der Wäsche.

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Star Wars: Battlefront 2

Das Spiel an sich ist nicht das größte Problem von "Star Wars: Battlefront 2", denn der größte Shitstorm der jüngeren Spielegeschichte entzündete sich an ganz etwas anderem: Das exzessive System von Mikrotransaktionen, Lootboxen und Grinding erzürnte schon vor Veröffentlichung zahllose Spielerinnen und Spieler so sehr, dass nach diversen Boykottaufrufen Electronic Arts die Notbremse ziehen und das ungeliebte Monetisierungssystem, das zuvor eher im Free2Play-bereich beheimatet war, für ungewisse Zeit auf Eis legen musste.

Der Schaden war allerdings bereits angerichtet: Um 60 Prozent brachen die Verkäufe physischer Kopien im Vergleich zum Vorgänger ein, EA musste einen Knick seines Börsenwerts von drei Milliarden Dollar hinnehmen. Vielleicht rappelt sich das Spiel im Gefolge von "Die letzten Jedi" noch ein wenig auf und die Macht der Fanchise lässt doch noch Geld sprudeln – bei großen Teilen der Spielerschaft rangiert Branchenriese EA in Sachen Sympathie allerdings inzwischen knapp hinter dem Imperium.

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1-2-Switch

Nintendos neue Konsole Switch ist einer der großen Lichtblicke des Spieljahres 2017 – umso seltsamer, dass sich einer der am meisten beworbenen Titel des neuen Konsolenkonzepts auf derart bizarre Weise als inhaltsleere Gurke herausstellte. Die Minispiele, mit denen Nintendo die technischen Möglichkeiten der JoyCon-Controller demonstrieren und das begrabene Erbe der revolutionären Wii-Bewegungssteuerung antreten wollte, hätte man besser kostenlos der Konsole beigelegt – dann wäre der Ärger über die fragwürdige Qualität mancher der 30 Spielchen zumindest nicht mit dem Gefühl einhergegangen, auch noch gar nicht so wenig Geld dafür verschwendet zu haben.

"1-2-Switch" ist nicht der erhoffte Party-Spaß in der Tradition von "WiiSports" oder "Nintendo Land" geworden, die zudem gratis den früheren Nintendokonsolen beilagen. Stattdessen bekam man eine Tech-Demo, bei der die Schauspieler in den Tutorialvideos weitaus mehr Spaß hatten als man selbst beim Spielen. Wer hätte gedacht, dass mit einem Spiel, bei dem man melken kann, selbst gemolken wird?

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Outlast 2

Auch im Indiebereich gibt es Studios, die dank origineller Ideen und solider Technik eine große Anzahl von Fans erreichen – kein Wunder, dass manche von ihnen dann auch den altbekannten Fehlern der großen Industrie folgen. Dass "Mehr vom Selben" nicht immer ein Garant für gelungene Fortsetzungen ist, bewies dieses Jahr der First-Person-Horror-Schocker "Outlast 2", in dem Blut, Beuschel sowie ein Potpourri gut abgehangener Redneck-Satanistenklischees so vehement und ermüdend penetrant zum Einsatz kamen, dass das zentrale Gameplay dabei zur Nebensache geriet. Vom leicht besorgniserregenden Faible der Entwickler für liebevoll animierte Kastrationen ganz zu schweigen.

Verstecken und Schleichen stellten sich in "Outlast 2" als optional heraus, denn "Augen zu und durch" führt im Dorf der rustikalen Mörderdeppen weit eher ans Ziel. Ein Spiel, das man sich getrost lieber als Let’s Play ansehen kann – die kreischenden YouTube-Personalities werden fürs Vortäuschen von Angst wenigstens mit Anzeigengeld bezahlt.

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Yooka-Laylee

Es ist ein zweischneidiges Schwert, wenn große Spieleklassiker der Gamesgeschichte auf die eine oder andere Weise neuveröffentlicht werden: Möglicherweise kommt man dann nämlich drauf, dass deren Glanz nur der nostalgisch verklärten Erinnerung an die eigene vergangene Jugend geschuldet und der Spaß nur bedingt in die Jetztzeit zu transferieren ist. Schon "Mighty No. 9" hat 2016 beweisen, dass die Beteiligung der Original-Entwickler an modernen Remakes nicht unbedingt zu guten Spielen führen muss: 2017 wurde der Klassiker "Banjo Kazooie" durch das von seinen Machern als Hommage und indirekte Fortsetzung veröffentlichte "Yooka-Laylee" ins unschmeichelhaft grelle Licht der Gegenwart gezerrt.

Wie beim ebenfalls vor kurzem erschienen Remake des ebenso kultisch verehrten "Outcast" gilt hier: Für den wahren Fan sind auch die objektiven Schwächen dieser Gamesklassiker liebevoll verteidigte Stärken – weniger nostalgisch Geblendete fragen sich allerdings, ob so etwa im Jahr 2017 tatsächlich noch zeitgemäß ist. Wer vorurteilsfrei und ohne Nostalgiebonus an diese Spiele herangeht, muss leider verneinen. (Rainer Sigl, 25.12.2017)

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