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Doppelstaatsbürgerschaften sind in Österreich derzeit nur selten erlaubt – für bestimmte Gruppen könnte sich das ändern.

Wien/Bozen – Während der Südtiroler Heimatbund eine Plakatierungsaktion in Wien plant, um sich für die geplante Doppelstaatsbürgerschaft für Südtiroler bei der türkis-blauen Regierung in Wien zu bedanken, ist ein anderer prominenter Vertreter Südtirols verärgert und erzürnt. Der Bergsteiger und Autor Reinhold Messner nimmt sich im Gespräch mit dem Standard kein Blatt vor den Mund. "Da steckt kein europäischer, sondern ein antieuropäischer Geist dahinter", sagt Messner, der Vorschlag für die Doppelstaatsbürgerschaften komme von "rechts außen".

Der 73-jährige Messner sieht sich darin bestätigt, im Sommer eine Kurz-Einladung zum Bergsteigen ausgeschlagen zu haben. "Was ich befürchtet habe, ist eingetroffen. Kurz und Strache schaffen es, Südtirol in Spannung zu bringen." Dem Kanzler wirft Messner vor, "von der Welt und unserer Geschichte keine Ahnung" zu haben. "Hat einer eine Ahnung, macht er nie und nimmer diesen Doppelpass-Vorschlag oder unterstützt ihn auch nur."

"Dieses Gespann steht sehr weit rechts"

1999 wurde Messner als parteiloser Kandidat für die Südtiroler Grünen ins Europäische Parlament gewählt, wo er fünf Jahre lang die italienischen Grünen vertrat. Er plant "sicher keine Rückkehr in die Politik", will sich aber "für ein friedliches Nebeneinander einbringen. Ich hoffe, am Ende haben wir Europäer alle einen europäischen Pass. Aber das werde ich nicht mehr erleben." Der Hoffnung stehe nun auch die Regierung Kurz im Wege. "Kurz hat sich Strache angepasst. Dieses Gespann steht sehr weit rechts."

Laut Messner, der 1978 gemeinsam mit Peter Habeler den Mount Everest ohne Flaschensauerstoff erstbestieg und 1986 der erste Mensch auf allen 14 Achttausendern war, habe Südtirol "eine lange Leidensgeschichte" hinter sich. "Nicht nur Kreisky, auch viele ÖVP-Regierungen haben Südtirol sehr unterstützt." Heute gelte die Südtiroler Autonomie "als eine der besten weltweit. Und dann kommen drittklassige Politiker daher und reden vom Doppelpass. Da werde ich irre."

Bedeutung bei Wahlen

"Lieber Landstreicher als Österreicher", diesen Spruch hat auch Messner in Südtirol schon gehört. "So etwas würde ich nie sagen. Aber in Südtirol gibt es bereits jetzt einige Radikale. Und wenn Kurz und Strache so weitertun, haben wir hier bald zwanzig Prozent Radikale. Ich kriege schon E-Mails, in denen steht: ,Herr Messner, wir stechen Sie ab.'"

Südtiroler mit Pass könnten auch bei Wahlen von Bedeutung sein, sagt Messner. Diese Meinung teilt Rainer Bauböck, Experte für Staatsbürgerschaftsfragen am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz. Mit ihrem möglichen Angebot – fix beschlossen ist das noch nicht -, Menschen in Südtirol die österreichische Staatsbürgerschaft zu verleihen, wollen ÖVP und FPÖ primär einen symbolischen Akt setzen, sagt Bauböck. Wahltaktische Überlegungen könnten dabei aber ebenfalls eine Bedeutung haben, so der Politologe.

Rund 520.000 Menschen leben in Südtirol, zwei Drittel von ihnen zählen sich zu Volksgruppen mit deutscher oder ladinischer Muttersprache; genau ihnen soll der Zweitpass zugutekommen. Die Aktion würde dazu führen, dass in Österreich zehntausende neue Wahlberechtigte hinzukommen. Bauböck glaubt, dass diese Gruppe politisch zu jenen Kräften tendieren würde, die ihnen den Zugang zum Pass ermöglicht haben.

Erfahrungen in Ungarn

Südtirol ist politisch rechtskonservativ dominiert. Die Südtiroler Volkspartei, die der ÖVP nahesteht, siegte bei den Landtagswahlen 2013 mit 46 Prozent der Stimmen vor den Südtiroler Freiheitlichen mit fast achtzehn Prozent. Eine deutschsprachige sozialdemokratische Partei gibt es in Südtirol nicht.

Erfahrungen damit, welche politischen Konsequenzen die Vergabe von Staatsbürgerschaften an Bürger im Ausland im großen Stil hat, gibt es in Ungarn. Der rechtskonservative Regierungschef Viktor Orbán hatte 2010 den Auslandsungarn Zugang zur Staatsbürgerschaft gegeben, in weiterer Folge bekam diese Gruppe das Wahlrecht. Zwar machte bei der jüngsten Parlamentswahl nur ein kleiner Teil Gebrauch davon – doch unter den 125.000 Auslandsungarn, die wählten, errang Orbáns Fidesz 95 Prozent der Stimmen. Das sicherte ihm einen zusätzlichen Parlamentssitz, bemerkenswerterweise baut die Verfassungsmehrheit der Fidesz im Parlament auf genau einen Sitz auf.

Bauböck warnt vor neuen Konflikten: Sollte Österreich den Pass anbieten, werde dies in Italien als massive Provokation empfunden werden, "weil damit zumindest auf symbolischer Ebene infrage gestellt wird, dass Südtirol voll zu Italien gehört". In der Folge erwartet Bauböck, dass in Italien der Druck wächst und die Politik den Autonomiestatus des Landes zunehmend infrage stellen könnte. All das berge viel Zündstoff für einen Konflikt, so Bauböck. (Fritz Neumann, András Szigetvari, 23.12.2017)