Rekonstruktion einer Siedlung von Ur-Beringianern im Tanana River Valley in Alaska.

Illustration: Eric S. Carlson/Ben Potter

An dieser Stelle wurden die Überreste der beiden Mädchen gefunden.

Foto: Ben Potter

Kopenhagen/Wien – Die ersten Einwanderer erreichten den amerikanischen Kontinent nach heutigem Wissensstand über Beringia, eine eiszeitliche Landbrücke zwischen Asien und Nordamerika. Wann genau die Vorfahren der amerikanischen Ureinwohner im heutigen Alaska ankamen, ob dies in mehreren Wellen geschah und wie es danach weiterging, ist aber längst nicht geklärt.

Einem internationalen Forscherteam um Eske Willerslev von der Universität Kopenhagen und Ben Potter von der University of Alaska Fairbanks ist nun ein wichtiger Schritt zur Lösung des Rätsels gelungen: Sie entschlüsselten das Genom eines Kindes, das vor rund 11.500 Jahren im heutigen Alaska lebte, und identifizierten darin erstmals direkte genetische Spuren der ältesten Amerikaner.

Eine Gründerpopulation

Wie das Forscherteam in "Nature" berichtet, deutet alles darauf hin, dass sich eine einzige Ursprungspopulation vor 36.000 Jahren von Ostasiaten abspaltete und den amerikanischen Kontinent vor über 20.000 Jahren erreichte. Dort spaltete sie sich in weitere Populationen auf, aus denen wiederum alle heutigen Indigenen Amerikas hervorgingen.

Für ihre Studie untersuchten Willerslev und Kollegen die fossilen Überreste zweier Kinder, die in den vergangenen Jahren im Tanana River Valley in Alaska entdeckt worden waren – die ältesten Funde auf der amerikanischen Seite Beringias. Genetische Analysen ergaben, dass es sich bei den Mädchen um nahe Verwandte gehandelt haben muss, aus DNA-Resten des älteren Kindes ließ sich sogar das vollständige Genom rekonstruieren.

Dritte Gruppe

Das Ergebnis brachte eine Überraschung mit sich: Entgegen allen Erwartungen passten die genetischen Informationen nicht zu den beiden bereits bekannten frühen Vorfahrengruppen amerikanischer Ureinwohner, der südlichen und der nördlichen Gruppe. "Wir wussten nicht, dass diese dritte Population existierte", so Potter.

Die Forscher schließen daraus, dass sich diese Gruppe – sie nennen sie die Ur-Beringianer – schon vor 20.000 Jahren und damit als Erste von der Ursprungspopulation trennte und über Jahrtausende ganz in Beringia verblieb, während die übrigen Einwanderer gen Süden weiterzogen. Aus ihnen gingen dann der nördliche und der südliche Zweig der amerikanischen Ureinwohner hervor.

Rückwanderung nach Norden

Später, vor etwa 6000 Jahren, dürften sich die Ur-Beringianer dann wieder mit Angehörigen der nördlichen Gruppe vermischt haben, die zu dieser Zeit in den hohen Norden zurückkehrten, vermuten die Wissenschafter. Sie fanden Hinweise darauf, dass heutige Indigene in der Region DNA von Rückkehrern aus der nördlichen Gruppe in sich tragen.

Für Willerslev sind die Ergebnisse von großer Tragweite für die Debatte über die Besiedlung Amerikas. "Manche Forscher sind der Ansicht, dass Menschen Amerika schon viel früher erreichten – vor 40.000 Jahren oder sogar noch früher", so der Forscher. "Wir können zwar nicht beweisen, dass das falsch ist. Aber wenn es stimmen sollte, können diese Menschen keine direkten Vorfahren der indigenen Amerikaner gewesen sein." (David Rennert, 3.1.2018)