Indische Soldaten schieben 2012 auf dem Bumla-Pass in Arunachal Pradesh Wache. In dem Bundesstaat sind etwa 100.000 Soldaten stationiert.

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Der Dalai Lama ist im chinesisch-indischen Grenzstreit ein wichtiges Pfand für Indien. Im August besuchte er Arunachal Pradesh.

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Tausende Menschen wollten dort den spirituellen Superstar persönlich sehen.

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Soldaten sicherten den Ort vor dem Besuch des Dalai Lama.

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Neu-Delhi/Peking – Dass China und Indien gewisse Meinungsverschiedenheiten bezüglich des Verlaufs der Grenze zwischen ihren beiden riesigen Ländern haben, ist nichts Neues. 3.500 Kilometer teilen sie sich, meist entlang des höchsten Gebirges der Welt, des Himalaja. Und noch nie waren sie sich darüber einig, wo China aufhört und Indien beginnt.

Jetzt stehen sich die beiden Länder wieder im nordöstlichen Arunachal Pradesh gegenüber. Trotz diverser Augenzeugenberichte wollen aber weder China noch Indien viel davon wissen. Es ist nicht zum ersten Mal, dass die beiden Staaten ihre Grenzkonflikte herunterspielten.

Man nehme Ladakh im Nordwesten, in der Nähe von Kaschmir: Immer wieder kommt es dort zu Grenzübertritten. Denn Ladakh ist zwar heute Teil Indiens, aber historisch zahlte es auch Steuern an Tibet und wird daher von China beansprucht. Oder man nehme das Doklam-Plateau, das ziemlich mittig im Dreiländereck Indien/China/Bhutan liegt. Im vergangenen Sommer lieferten sich die beiden Länder dort einen 72 Tage langen "Stand-off", in dem viele Analysten eine akute Kriegsgefahr sahen. Am Ende wurde der Konflikt auf 3.000 Meter Seehöhe doch noch diplomatisch beigelegt.

Das Doklam-Plateau liegt im Dreiländerdreieck Indien/China/Bhutan.

Und dann ist da Arunachal Pradesh. Der nordöstlichste Bundesstaat Indiens ist immer wieder Schauplatz von Grenzkonflikten, weil er geostrategisch so wichtig ist: Wer die Berge kontrolliert, hat Zugriff auf die Ebenen südlich des Himalaja – und Kontrolle über einen der größten Flüsse Asiens, den Brahmaputra.

Dalai Lama als indisches Pfand

In Chinas Weltsicht ist die Region Arunachal Pradesh so wie Ladakh gar nicht Teil Indiens. Historisch zahlten auch die Machthaber in dieser Region Steuern an Tibet , worauf auch die Ansprüche Chinas beruhen. In den 1950ern hat sich China Tibet einverleibt. Das sieht Indien naturgemäß anders. Nachdem der Dalai Lama 1959 nach Indien geflohen war, hat das Land auch ein wertvolles Pfand in der Hand, um diese Ansprüche durchzuexerzieren. So war es wohl kein Zufall, dass der Dalai Lama gerade im August die tibetischsprachige Region Tawang in Arunachal Pradesh besuchte.

Manche munkeln gar: Es liegt in Indiens Interesse, dass der Dalai Lama und seine Exilregierung nie wieder nach Tibet zurückkehren. Das Erste, was der tibetische Führer dort nämlich machen würde, wäre, die historischen Ansprüche auf Arunachal Pradesh, Sikkim, Ladakh und so weiter an Indien zu stellen.

Straßenbau zum Faktenschaffen

Das ist alles nichts Neues. Seit Jahrzehnten sind diese Grenzverläufe umstritten. Neu ist, dass China nun in den Grenzregionen massiv Straßen baut. Anstatt diplomatisch zu verhandeln oder regelmäßig Soldaten über die Grenzen zu schicken, hat Peking begonnen, entlang des Himalaja Fakten zu schaffen. Die Volksrepublik investiert hohe Summen in den Aufbau von Infrastruktur.

Der Ausbau des Flusses Brahmaputra etwa, der genau über Arunachal Pradesh seine gigantische Kehre nach Indien macht, ist Priorität. Dort, am "Upper Siang", baut China gerade riesige Stauwerke. Hoch in den Bergen verstärkt China außerdem massiv den Straßenbau, in einem Tempo, mit dem Indien nicht mithalten kann. Und die neuen Straßen reichen immer wieder in indisches Territorium.

Stand-off im Himalaja: Nach Doklam Arunachal?

So ist es jetzt wieder knapp nach Weihnachten in Arunachal geschehen. Mit schwerem Straßenbaugerät marschierten chinesische Soldaten auf indisches Territorium. Augenzeugen berichten, dass indische Soldaten die Chinesen in der Nähe von Bishing, direkt am Brahmaputra gelegen, stoppten und die Maschinen konfiszierten.

Bishing liegt direkt an der Grenze, wo der Brahmaputra in einer großen Kehrtwende scharf nach Indien abbiegt.

Ob ein sogenanntes "Stand-off" stattfindet oder nicht, ob sich also wieder chinesische und indische Truppen gegenüberstehen, ist allerdings ungeklärt. Ein Anwalt aus der Region sagte gegenüber der indischen Zeitung "The New Indian Express", dass es sehr wohl dazu gekommen sei, wie er aus erster Hand wisse. Allerdings sei er von lokalen Behörden gebeten worden, darüber nicht öffentlich zu sprechen. Man wolle kein "zweites Doklam".

China: "Arunachal Pradesh gibt es nicht"

Offizielle Stellen verneinen das aber. Am Donnerstag ließ Geng Shuang, Sprecher des chinesischen Außenministeriums, verlautbaren, dass China keine Informationen über ein angebliches Stand-off habe. Und außerdem, so der Sprecher, habe China "ein sogenanntes Arunachal Pradesh ohnehin nie anerkannt".

2013 waren laut dem Himalaja-Experten Saul Mullard in Arunachal Pradesh 100.000 indische Soldaten stationiert. Für Indien sind die Himalaja-Gebiete nicht per se wichtig, sondern haben eine Bedeutung als Puffer zu den indischen Ebenen. Kontrolliert China den Himalaja, steht Indien unter immensem Druck. (Anna Sawerthal, 5.1.2018)