Die Amerikanistin Alexandra Ganser geht Zukunftsvisionen in der Populärkultur auf den Grund.

Foto: Elliot Mandel

STANDARD: Das Anthropozän, also das Zeitalter, in dem der Mensch eine unauslöschliche Spur auf der Erde hinterlässt, wird längst als neue geologische Epoche gehandelt. Inwieweit haben sich diese fundamentalen Veränderungen in den Zukunftsvisionen Hollywoods niedergeschlagen?

Ganser: Mich interessieren Zukunftsentwürfe auf anderen Planeten, die mit Kolonialisierung einhergehen. Der Weltraumfilm ist eines der wenigen Filmgenres, das seit Ende des Kalten Krieges fast ausschließlich in Hollywoods Händen liegt. Dabei ist der Mars als erdnächster Planet jener Ort im All, der am häufigsten als kolonisierbar beschrieben wird. In diesen Diskursen wird immer über die Menschheit als Ganzes gesprochen, darüber, dass diese Erde nicht mehr zu retten ist. Die Apokalypse, der Ökozid wird vorausgesetzt, es wird ein Bild konstruiert, das suggeriert, dass es wahrscheinlicher ist, künftig auf dem Planeten Mars zu leben, als die Erde retten zu können. Das finde ich höchst problematisch. Besonders, wenn man sich die unglaublich hohen Kosten anschaut, die dafür nötig wären, um überhaupt auf dem Mars oder einer zweiten Erde leben zu können.

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Matt Damon versucht in "The Martian" als einsamer Cowboy am Mars zu überleben.
Foto: AP / Twentieth Century Fox

STANDARD: Viele Forscher arbeiten ernsthaft an der Frage, ob Leben woanders möglich wäre.

Ganser: Das stimmt. Mich interessiert vor allem, welche Zukunftsvorstellungen dabei vermittelt werden. Auch Elon Musk, der Gründer des Raumfahrtunternehmens Space X, und andere private Unternehmen treiben den Diskurs des Auswanderns auf einen anderen Planeten vehement voran. Staatliche Agenturen wie die Nasa sind da zurückhaltender. Darüber hinaus nimmt aber auch die Populärwissenschaft den Diskurs auf. National Geographic etwa hat die Serie Mars produziert und dabei ein ganz neues Genre begründet: Sie ist aufgebaut wie eine Qualitätsserie à la HBO, aber immer wieder unterbrochen durch Sprünge ins Jetzt, mit Kommentarsequenzen, etwa von Elon Musk. Es vermischen sich Fiktionalität und Projektionen in die Zukunft mit der Realität, es wird impliziert, dass es eine natürliche Entwicklung hin zum Leben auf dem Mars gibt, dass es im Wesen der Menschheit liegt, zu expandieren. Fiktion und Wissenschaft gehen dabei Hand in Hand.

STANDARD: Inwiefern beeinflussen sich Hollywood und Wissenschaft?

Ganser: Seit Beginn des sogenannten "Wettlaufs ins All" mit der Zündung der sowjetischen Sputnik-Rakete 1957 haben sich der Hollywood-Weltraumfilm und die tatsächlichen Entwicklungen in der Astrotechnologie wechselseitig beeinflusst. Die enge Zusammenarbeit zwischen der US-Filmindustrie und der Nasa hatte schon kurz davor durch Walt Disneys Man in Space und Man and the Moon (beide 1955) begonnen. In diesen didaktischen Filmen erklärt der deutsche Raketenkonstrukteur Wernher von Braun, der nach dem Krieg für die Nasa arbeitete, wie die Raumfahrt funktioniert, ergänzt mit animierten Cartoonsequenzen. Diese Zusammenarbeit setzt sich im 21. Jahrhundert fort. Der Film Der Marsianer (2015) von Ridley Scott wäre nicht entstanden ohne das Expertenwissen der Nasa. Die Nasa war eng an der Produktion und auch an der Vermarktung beteiligt. Abgesehen davon eröffnet die Science-Fiction Spielräume für das Denken, das war schon immer interessant für die Wissenschaft.

In Walt Disneys "Man in Space" von 1955 erklärt der deutsche Raketenkonstrukteur Wernher von Braun, der später für die Nasa arbeitete, wie die Raumfahrt funktioniert.
Rick Morgan

STANDARD: Inwieweit ist das Narrativ von der Weltraumeroberung amerikanisch geprägt?

Ganser: Viele dieser Filme spielen sich an der Schnittstelle zwischen nationaler "Final Frontier"-Rhetorik und globaler Wirkmächtigkeit ab. Dabei sind die Protagonisten fast immer Amerikaner, die akzentfrei reden – manchmal gibt es einen ausgewählten Schwarzen, der dann stirbt, wie etwa in Interstellar (2014) von Christopher Nolan. Die amerikanische Flagge und das Nasa-Logo sind ständig präsent. Die Rhetorik der Final Frontiers, der letzten Grenzen, die weiter ausgedehnt werden müssen, erinnert stark an jene der Eroberung des "Wilden" Westens im 19. Jahrhundert. Diese Erzählungen werden jetzt auf den Weltraum angewandt, es erscheint als naturgegeben, dass die Menschen immer weiterziehen müssen. Es handelt sich also um einen angloamerikanischen Kolonialisierungsdiskurs, der aus der Frühmoderne kommt. Dabei werden die politischen und ökonomischen Faktoren, die diese Erzählungen und Zukunftsdiskurse erst erzeugen sollen, ausgeblendet.

STANDARD: Was sind die Interessen, wenn nicht ein urmenschliches Streben nach Expansion hinter dem Aufbruch ins All steckt?

Ganser: Große Player wie Boeing, Space X, der Unternehmer Richard Branson und die Nasa selbst haben wirtschaftliche Interessen. Im Moment sieht man auch, wie die internationale Dimension der Raumfahrt unter US-Präsident Donald Trump stark zurückgefahren wird, man denke nur an nationalistische Parolen wie "America needs to be first on the moon again". Mit dem neuen Nasa-Direktor verfolgt Trump das große Projekt, seltene Erden, die wir für unsere Technologien brauchen, auf dem Mond und auf dem Mars abzubauen. Es geht um Bodenschätze, so wie auch schon im 19. Jahrhundert.

STANDARD: Science-Fiction zeigt das All aber weniger als Rohstofflager denn als Ort, an dem die Menschheit abseits der irdischen Konflikte vereint am Werk ist. Hat das nicht auch etwas Gutes?

Ganser: Wir brauchen positive Erzählungen über die Zukunft, gerade in Zeiten der heraufbeschworenen Apokalypse bzw. Postapokalypse. Wie der Soziologe Jens Beckert sagt: Das Entwerfen der Zukunft, wie es in einem Film passiert, ist ein gemeinschaftsstiftendes Element, damit wir auf der Erde wissen, worauf wir hinarbeiten, damit wir ein gemeinsames Ziel konstruieren. Das utopische Moment der Raumfahrt, die Idee, dass die Menschheit im All anders als auf der Erde sozialen Zusammenhalt findet, kommt sehr häufig vor, wie etwa auch im Film Interstellar, der die menschliche Zukunft im Weltraum als einzige Antwort auf den Ökozid entwirft. Aber wie der Wissenschaftssoziologe Bruno Latour in seinem neuen Buch Kampf um Gaia schreibt: Worauf gründet die Annahme, dass die Besiedelung eines fremden Planeten anders ablaufen sollte als jeder Territorialkonflikt auf der Erde – samt Gewalt, Ausbeutung und Rassismus?

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Der Weltraum als einzige Antwort auf den Ökozid auf der Erde: Matthew McConaughey in "Interstellar" von Christopher Nolan.
Foto: AP Photo / Paramount Pictures

STANDARD: Sie beschäftigen sich auch mit Terraforming. Was bedeutet der Begriff?

Ganser: Damit wird eine Technologie bezeichnet, mit der ein Planet und seine Atmosphäre chemisch und physikalisch so verändert werden, dass der Planet fruchtbar und bewohnbar wird: Man stellt Ökosysteme her. Der Begriff stammt ursprünglich aus der Science-Fiction und wurde später von der Wissenschaft aufgegriffen. Unter dem Eindruck der Ökologiebewegung entstanden in den 1970er-Jahren Filme, wo Terraforming im weitesten Sinn thematisiert wird, etwa Soylent Green und Silent Running. In vielen Filmen wird vorausgesetzt, dass das realistisch ist, obwohl so etwas Hunderte von Jahren dauern würde. In Der Marsianer versucht Mark Watney Kartoffeln auf dem Mars anzubauen. Man sieht, dass das einerseits machbar ist – Watney ist gelernter Botaniker -, andererseits sieht man, wie fragil das menschliche Überleben im All ist, wenn etwas schiefgeht. Das ist eine Umkehrung eines Zivilisationsnarrativs, das Leo Marx 1964 The Machine is in the Garden genannt hat, ein Buch, in dem er die Industrialisierung eines agrarischen Amerikas beschreibt: Nun ist der Garten in der Maschine – außerhalb ist nichts möglich. Das zeigt der Film gut, wenn auch immer noch unter beschönigten Voraussetzungen.

STANDARD: Hilft es der Wissenschaft nicht, wenn per Hollywood ein Bewusstsein für die Forschung im Weltall geschaffen wird?

Ganser: Das Einfrieren der Raumfahrtbudgets durch Ex-US-Präsident Barack Obama korreliert mit dem wachsenden Bedürfnis, die hohen Kosten für Raumfahrt zu legitimieren. Die Traumfabrik Hollywood scheint dafür nach wie vor der richtige Ort zu sein. Der Anspruch Hollywoods ist es heute, "harte" Science-Fiction zu machen, die möglichst auf Fakten beruht, die also ernstgenommen wird. Die Science-Fiction ist seriös geworden. Es ist ein Punkt erreicht, an dem der fortschreitende Ökozid mit Daten belegbar und der Klimawandel spürbar geworden ist. Ich wünsche mir, dass diese Ernsthaftigkeit und der unglaubliche Pioniergeist von Leuten wie Elon Musk dazu verwendet wird, eine grüne Revolution auf der Erde zu starten, anstatt die Vorstellung zu verbreiten, wir könnten das Universum nachhaltig gestalten, wenn wir es schon auf der Erde nicht schaffen.

(Karin Krichmayr, 19.1.2018)