Im Liedheft der Burschenschaft von FPÖ-Spitzenkandidat Udo Landbauer finden sich Texte, die die Opfer der Shoah verhöhnen. Landbauer will von nichts gewusst haben.

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Wien – Nachdem bekanntgeworden ist, dass die Burschenschaft des Spitzenkandidaten der FPÖ Niederösterreich, Udo Landbauer, in ihren Liedtexten Opfer des Holocaust verhöhnt, hagelt es Kritik bis hin zu Rücktrittsaufforderungen. Am Mittwoch gab die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt zudem bekannt, dass sie von Amts wegen ein Ermittlungsverfahren wegen eines möglichen Verstoßes gegen das Verbotsgesetz eingeleitet hat.

Der "Falter" berichtet in seiner aktuellen Aufgabe, dass ein Liedheft der Burschenschaft Germania zu Wiener Neustadt, deren stellvertretender Vorsitzender Landbauer ist, antisemitische und NS-verharmlosende Lieder in einem Liedheft auflegt. Dem Lied "Es lagen die alten Germanen" wurde etwa die Zeile "Da trat in ihre Mitte der Jude Ben Gurion: 'Gebt Gas, ihr alten Germanen, wir schaffen die siebte Million'" hinzugefügt.

Andere Lieder ehren zum Beispiel die Legion Condor, eine Einheit der deutschen Luftwaffe, die im Spanischen Bürgerkrieg Angriffe gegen die Zivilbevölkerung flog. Ebenfalls verherrlicht werden in den abgedruckten Texten die Wehrmacht und ihre Kriegsverbrechen rund um die Einnahme von Kreta im Zweiten Weltkrieg.

Rücktrittsaufforderungen

"Die Vorwürfe sind schwerwiegend und müssen restlos aufgeklärt werden", heißt es aus der ÖVP Niederösterreich zum STANDARD auf die Frage, ob die FPÖ nach dem Bekanntwerden der Vorwürfe noch als Partner für ein Arbeitsübereinkommen nach der Landtagswahl am Sonntag infrage komme. "Wer mit uns zusammenarbeiten möchte, muss sich jedenfalls klar von Antisemitismus und Menschenhass distanzieren."

Für SPÖ-Bundesgeschäftsführer Max Lercher muss der Fall Konsequenzen haben, er fordert den Rücktritt Landbauers. "Die FPÖ beweist mit solchen Aktionen einmal mehr, dass rechtsextremes Gedankengut selbst bei ihren Spitzenrepräsentanten weit verbreitet ist", so Lercher. Rücktrittsaufforderungen kamen am Mittwoch auch von SPÖ-Gedenkkultur-Sprecherin Sabine Schatz.

IKG: "FPÖ repräsentiert nicht das wahre Österreich"

Die Israelitische Kultusgemeinde sieht den Fall als einen von vielen. Wieder stehe ein FPÖ-Politiker aus dem deutschnationalen Lager im Mittelpunkt einer Affäre um NS-Verherrlichung und Holocaustrevisionismus, kritisierte IKG-Präsident Oskar Deutsch am Mittwoch in einer Aussendung. "Wieder nötigt uns ein antisemitischer FPÖ-Skandal, unseren Gesprächspartnern in Brüssel zu versichern, dass die FPÖ nicht das wahre Österreich repräsentiert", meinte Deutsch, der sich am Mittwoch anlässlich der Schoah-Gedenkveranstaltung im Europäischen Parlament in Brüssel befand. "Anstatt Österreich von Kellernazis zu befreien, hievt die FPÖ deutschnationale Burschenschafter in Spitzenfunktionen von Ländern und Bund." Wenn Landbauer seine Distanzierung ernst meine, müsse er zurücktreten, befand Deutsch.

SPÖ Niederösterreich sieht VP und Grüne gefordert

Die SPÖ Niederösterreich sieht neben der FPÖ auch ÖVP und Grüne in der Pflicht. Landbauer sitze als Stadtrat in Wiener Neustadt nämlich eigentlich auf einem Mandat der ÖVP, sagt Landesgeschäftsführer Reinhard Hundsmüller. Die Volkspartei sollte hier entsprechende Konsequenzen ziehen. Ähnliches forderte Hundsmüller von den Grünen, die in Wiener Neustadt in einer Koalition mit ÖVP, FPÖ und zwei weiteren Listen in der Stadtregierung sitzen. "Eigentlich müssten die Grünen die Stadtregierung verlassen." Wenn nicht, werde man den grünen Wählern bei der Landtagswahl in Wiener Neustadt das Angebot machen, Anstand zu wählen.

Auch für die Neos Niederösterreich "bleibt Landbauer als einzige Konsequenz der Rücktritt", sofern sich die Vorwürfe bestätigen. Spitzenkandidatin Indra Collini verweist auf das Proporzsystem in Niederösterreich, durch das die FPÖ bei leichten Zugewinnen automatisch einen Sitz in der Landesregierung erhalte. "Ein Regierungsmitglied mit dieser Geisteshaltung ist für unser Bundesland besonders bedrohlich."

Kurz verurteilt "widerwärtige" Liedtexte der Germania

Auch Bundeskanzler und ÖVP-Chef Sebastian Kurz hat am Dienstagabend auf Twitter auf die Vorwürfe gegen Landbauer reagiert: "Die publik gewordenen Liedtexte der Germania sind rassistisch, antisemitisch und absolut widerwärtig", erklärte Kurz, Koalitionspartner der FPÖ auf Bundesebene, auf Twitter. Dafür dürfe es in Österreich keinen Platz geben. "Es braucht daher volle Aufklärung, und die Verantwortlichen müssen zur Rechenschaft gezogen werden".

Blümel sieht Ansehen im Ausland unbeschadet

Der Text sei "absolut indiskutabel", so auch Kanzleramtsminister Gernot Blümel (ÖVP). Danach gefragt, ob damit dem Ansehen der Regierung im Ausland geschadet würde, meinte Blümel, er sei nun einige Male in Brüssel und Straßburg gewesen, und dort würden die Inhalte des Koalitionsübereinkommens gut aufgenommen. Man wolle daran gemessen werden, was man umsetze, bekräftigte der Minister das bekannte ÖVP-Wording.

Kern: "Geht sich nicht mehr aus"

Auch SPÖ-Chef Christian Kern meldete sich auf Twitter zu der Causa zu Wort und kritisierte: "Während Landbauer/FPÖ im Verdacht der Verhetzung und Wiederbetätigung steht, teilt Strache (Vizekanzler und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, Anm.) Landbauers Werbevideo auf FB." "Diesmal geht sich 'da war ich ja noch gar nicht auf der Welt' nicht mehr aus", meinte Kern weiters.

Kern spielte auf eine Reaktion Landbauers via Aussendung an, wonach er zum Zeitpunkt, als das Buch gedruckt wurde, elf Jahre alt war.

Strache: "Skandal andichten"

Parteichef Heinz-Christian Strache an, der am Dienstag auf Facebook seine Empörung äußerte – und zwar nicht über Landbauer, sondern über die Zeitung, die den Fall enthüllt hat. "Das linke Wochenblatt Falter versucht aktuell unserem Udo Landbauer einen Skandal anzudichten", schreibt Strache. Ähnlich äußerten sich am Mittwoch auch andere prominente FPÖ-Politiker. Strache sieht jedenfalls keine Notwendigkeit für Konsequenzen, was Landbauer betrifft.

Landbauer stellt Mitgliedschaft ruhend

Landbauer selbst kündigte in der Aussendung an, seine Mitgliedschaft "in diesem Bund umgehend ruhend" zu stellen und forderte die Einsetzung einer Untersuchungskommission, um die Angelegenheit zu klären.

Ein Sprecher Landbauers erklärte auf Anfrage des STANDARD, das Heft sei in der letzten Version 1997 gedruckt worden, Landbauer sei damals elf Jahre alt gewesen. Der FPÖ-Politiker ist rund ums Jahr 2000 in die Burschenschaft eingetreten. Landbauer kenne es daher "nur mit herausgerissenen Seiten und geschwärzten Stellen", weil man in der Burschenschaft "geschaut hat, dass das wegkommt, weil es absolut indiskutabel ist".

Ob es glaubwürdig ist, dass der Spitzenkandidat von den antisemitischen Inhalten nie etwas mitbekommen hat? "Wenn er es so sagt, ist es glaubwürdig", erklärt der Sprecher. Mit dem Heft sei "ein kompletter Blödsinn passiert", das sei aber das Problem der Germania, nicht Landbauers – obwohl er stellvertretender Vorsitzender der Burschenschaft ist.

Man ziehe in der Landespartei in solchen Fällen stets sofort personelle Konsequenzen – überhaupt sei "der Udo da wirklich über jeden Verdacht erhaben".

Germania distanziert sich

Die Burschenschaft Germania hat sich am Dienstagabend von den im Falter zitierten Liedtexten distanziert. Man lehne "jede Diskriminierung von Religionen zutiefst ab sowie jegliche Art von Antisemitismus", hieß es in einer Stellungnahme.

"Die pennale Burschenschaft Germania distanziert sich von jeder Verherrlichung der Verbrechen der NS-Diktatur", ließ die Burschenschaft wissen. Das Liederbuch sei vor 21 Jahren gedruckt worden. Warum überhaupt "derart menschenverachtende Liedertexte abgedruckt wurden beziehungsweise nicht restlos entfernt wurden", soll bei einer Versammlung der Verbindung am Mittwoch geklärt werden, hieß es weiters.

Philip Wenninger, stellvertretender Obmann der Mittelschülerverbindung, erklärte, dass man seit Jahren das 1997 gedruckte Liederbuch erneuern wolle. Bisher habe es aber am Geld gefehlt, soll es doch ein ledergebundenes Buch werden. Wie die nun publik gewordenen Texte, in denen der Judenmord verherrlicht wird, in das Liederbuch kamen, sei nun zu klären. Die Germania zu Wiener Neustadt hat laut Wenninger rund 70 Mitglieder und wurde 1917 gegründet.

SOS Mitmensch: "Kein Ausreißer"

Dass Landbauer mit den Texten nichts zu tun haben wollte, hält die Menschenrechtsorganisation SOS Mitmensch für wenig glaubwürdig. Landbauer pflege bereits seit Längerem ein Naheverhältnis zur antisemitischen Zeitschrift "Aula", so Sprecher Alexander Pollak. "Landbauer versucht die Öffentlichkeit jetzt an der Nase herumzuführen", meint Pollak: "Das brutal antisemitische Nazi-Liederbuch seiner Burschenschaft ist kein Ausreißer." (red, 23.1.2018)